Pyrotechnik: Das Pech, ein Fußballfan zu sein

Christoph Ruf kritisiert die Unnachgiebigkeit der Justiz bei der Pyrotechnik

Beim Auswärtsspiel des Karlsruher SC im Hamburger Volksparkstadion vor mehr als zwei Jahren wird Pyrotechnik abgebrannt.
Beim Auswärtsspiel des Karlsruher SC im Hamburger Volksparkstadion vor mehr als zwei Jahren wird Pyrotechnik abgebrannt.

Am heutigen Dienstag steht das Team des Karlsruher Fanprojekts mal wieder vor Gericht. Es geht um die Revision des vergangenen Urteils, das die Mitarbeiter zur Zahlung von jeweils 7200 Euro wegen Strafvereitelung verpflichtet hat. Bliebe es dabei, wären sie vorbestraft. Vor einigen Monaten hatte sogar eine Beugehaft im Raum gestanden.

Ihr Vergehen ist, dass sie nach einem Pyrotechnikvorfall, infolge dessen elf Zuschauer unter Atembeschwerden litten, ihr vermeintliches Wissen nicht an die Polizei weitergegeben haben. Dass genau das dem Berufsethos entspricht, ist unstrittig. Kein Fußballfan wird sich schließlich jemals wieder an das Fanprojekt wenden, wenn er befürchten muss, dass die Infos bei der Polizei landen. Den drei Beschuldigten wurde zum Verhängnis, dass es die Politik seit 50 Jahren nicht schafft, das Zeugnisverweigerungsrecht, das Juristen, Journalisten oder Pfarrern wie selbstverständlich zusteht, zumindest auch auf die neuralgischen Bereiche der Sozialarbeit auszudehnen.

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Allerdings hätte die Karlsruher Justiz die drei unabhängig von der Gesetzeslage nicht ins Visier nehmen müssen. Andere Staatsanwaltschaften haben in vergleichbaren Fällen darauf verzichtet. Vielleicht, weil sie im Gegensatz zu den Kollegen in Baden »den Wert der Sozialen Arbeit« verstanden haben, wie nicht nur der Präsident des Karlsruher SC, Holger Siegmund-Schultze, vermutet. Nach der Pyro-Aktion wurden auch zwei Ultras verurteilt – zu 14 Monaten Haft ohne Bewährung. Dabei konnte nicht mal bewiesen werden, dass die beiden an der Aktion beteiligt waren. Doch die Tatsache, dass sie davon gewusst hätten, reichte dem Richter zu einer Verurteilung wegen »schwerer Körperverletzung in elf Fällen«. Die Staatsanwaltschaft hatte Bewährungsstrafen gefordert.

Funfact am Rande: Von den elf Opfern, die unter Atembeschwerden litten, wollte keines Anzeige erstatten. Für sie war es mit einer Entschuldigung getan. Wir halten fest: Kein klagewilliges Opfer, keine Beweise für die Beteilung an der Pyroaktion – 14 Monate Knast.

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.

Bei einem eine Woche vorher verhandelten Fall war das ganz anders. Viele Opfer, vermutlich eine Tote, jede Menge Indizien, die manch einem als Beweise genügt hätten. Dennoch wurde zeitgleich mit dem Karlsruher Verfahren ein gewisser Christian B. vom Vorwurf der Vergewaltigung von drei weiteren Frauen und des Missbrauchs von zwei Kindern freigesprochen.

Die Richterin vom Landgericht Braunschweig sah keine wirklichen Beweise dafür, dass der Mann, der derzeit wegen der Vergewaltigung einer 72-Jährigen einsitzt, die dreijährige »Maddie« in Portugal umgebracht habe. Freispruch für B. also, obwohl ein Zeuge ausgesagt hatte, dass sich B. damals in Portugal genau dieses Mordes gerühmt und Täterwissen preisgegeben hätte. Freispruch, obwohl der Vater einer vergewaltigten 11-Jährigen B. vor dem Tatort festgehalten hatte. Freispruch, weil die Richterin argumentierte, der Vater könne B. auch festgehalten haben, nachdem der in der Nähe des Tatortes uriniert habe. Freispruch, weil die Richterin auch alle anderen Zeugen unglaubwürdig fand.

Im Zweifel also doch für den Angeklagten? Christian B. hat noch mal Glück mit der Justiz gehabt. Vor allem das Glück, kein Fußballfan zu sein. 

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