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Ersatz für Tierversuche: Petrischale statt Mäusekäfig

Wissenschaftler wollen weniger Tierversuche einsetzen

Künftig könnte auf den experimentellen Einsatz dieses Nagers verzichtet werden.
Künftig könnte auf den experimentellen Einsatz dieses Nagers verzichtet werden.

Es müssen nicht immer Tiere leiden: Häufig können Tierversuche dank moderner Biotechnolgie durch andere Verfahren ersetzt werden. Zum Beispiel sogenannte Organoide: Aus Stammzellen gezüchtete Zellkulturen, die die physiologischen Eigenschaften menschlicher Organe imitieren. Nieren, Magen und selbst das Gehirn lassen sich so simulieren. In Laborversuchen kann anschließend getestet werden, wie die Miniorgane etwa auf neue Medikamente reagieren. Der traditionelle Lebendversuch am Tier wird so unnötig.

Nicht nur aus ethischen, häufig auch aus schlicht praktischen Gründen sei es sinnvoll, Tierversuche zu ersetzen, erklärt Thorsten Ruppert, zuständig für Grundsatzfragen im Verband der forschenden Arzneimittelhersteller, am Montag vor dem Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses. »Tierversuche sind teuer und aufwendig«, sagt er. Laborversuche seien oft schon aus Kostengründen vorzuziehen. Die Versorgung einer einzigen Labormaus koste über ihre Lebenszeit etwa 2000 Euro, bei genveränderten Tieren könnten die Kosten pro Tier sogar schnell in den höheren fünfstelligen Bereich klettern. »Da gibt es allein aus ökonomischen Gründen einen Anreiz, Alternativen zu finden«, so Ruppert.

Die Suche nach diesen Alternativen wird international häufig mit dem Begriff »3R-Forschung« beschrieben. »3R« steht für die drei englischen Begriffe Replace, Reduce und Refine. Tierversuche sollen also möglichst ersetzt werden (Replace), bestehende Versuchsanordnungen so überarbeitet werden, dass möglichst wenige Versuchstiere genutzt werden müssen (Reduce), und die Versuche sollen so durchgeführt werden, dass das Tierleid möglichst gering bleibt (Refine).

Die 3R-Forschung hat aber auch ihre Grenzen. »Es gibt Bereiche, da wird es nie eine Alternative geben«, sagt Christa Thöne-Reineke, Professorin für Tierversuchskunde an der Freien Universität. Dies gelte etwa für die Wildtierforschung. »Dort können wir auf absehbare Zeit nicht auf Tierversuche verzichten«, so Thöne-Reineke. Ihr Forscherkollege Stefan Hippenstiel von der Charité führt noch ein Beispiel aus der Humanmedizin an: Viele Menschen leiden an angeborenen Herzklappenfehlern. Weil das Herz über die Lebenszeit stark wächst, kann die Behandlung nicht an Organoiden simuliert werden. »Das geht nur mit Großtierversuchen«, sagt Hippenstiel.

Manchmal sind es allerdings keine medizinischen Gründe, die den Ausschlag geben. »In vielen Ländern werden Tierversuche bei der Zulassung neuer Medikamente zwingend verlangt«, sagt Thorsten Ruppert vom Verband der forschenden Pharmaunternehmen. Wollen Unternehmen ihre Produkte dort vertreiben, müssten sie teilweise die Tierversuche nachholen – obwohl die Wirksamkeit der betroffenen Medikamente schon mit Alternativmethoden bewiesen sei.

Notwendig seien Tierversuche auch außerhalb des Forschungsbereichs. »Ohne Tierversuche können wir niemanden ausbilden«, so FU-Professorin Christa Thöne-Reineke. Im Studium sei es unverzichtbar, dass der Tierärztenachwuchs auch Versuche an Tieren durchführe.

»Von einer gequälten Kreatur kriegt man keine verwertbaren Daten.«

Christa Thöne-Reineke FU Berlin

Christiane Hohensee, Fachreferentin beim Verband der Tierversuchsgegner, hält Tierversuche dagegen auch in der Ausbildung für unnötig. »Studierende sollten schon im Studium die Möglichkeit bekommen, sich den neuen Methoden zuzuwenden«, sagt sie. »Heute ist es nicht mehr nötig, diese Schnippelkurse zu machen.« Könnten Studierende schon im Studium mit Alternativmethoden arbeiten, würde das dazu beitragen, die Forschung in diesem Bereich voranzutreiben.

Um die Zahl der Tierversuche weiter zu reduzieren, hat Hohensee noch eine andere Idee: Forscher sollten die Ergebnisse von Tierversuchen zwingend in einer Datenbank eintragen müssen. Denn Veröffentlichung erfuhren sonst vor allem Studien, die die Hypothesen der Forscher bestätigen. Zeigen die Versuche gegenteilige oder uneindeutige Ergebnisse, würden sie anschließend nur selten in Fachjournalen veröffentlicht werden. »Eine Datenbank würde Doppelversuche verhindern«, sagt Hohensee. Dann könnten Forscher, die an ähnlichen Projekten arbeiten, schon im Vorfeld prüfen, zu welchen Ergebnissen bisherige Versuche geführt haben.

»Wir haben schon jetzt zu viel Bürokratie und Formalismus«, klagt dagegen Christa Thöne-Reineke. Anträge auf Tierversuche würden häufig monatelang vom zuständigen Landesamt für Gesundheit und Soziales bearbeitet. Das liege auch daran, dass Tierschutzorganisationen die Prozesse mit zahlreichen Anfragen lähmten. Dabei gebe es ein großes Verantwortungsbewusstsein unter den Wissenschaftlern: »Alle möchten, dass es den Tieren gut geht«, sagt sie. »Von einer gequälten Kreatur kriegt man keine verwertbaren Daten.« Weil die Forscher auch persönlich für Tierrechtsverletzungen haftbar gemacht werden könnten, greift sie zu einem drastischen Bild: »Unsere Mitarbeiter stehen nach der aktuellen Gesetzeslage immer mit einem Bein im Gefängnis.«

Auch wenn sich alle einig darüber zu sein scheinen, dass Forschung über Alternativen zu Tierversuchen gefördert werden muss, ist noch unklar, wo dies künftig passieren wird: 2026 läuft die Förderung für ein Forschungszentrum der staatlichen Einstein-Stiftung aus, 2028 endet ein 3R-Forschungsprojekt an der Charité. Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) stellt in Aussicht, dass zeitnah ein »berlinweites Zentrum« an den Start gehen soll, in das auch außeruniversitäre Forschungsinstitutionen einbezogen werden sollen.

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