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Schwarz-Rot in Berlin: Dilettanten am Werk
Grüne kritisieren Senat zur Halbzeitbilanz scharf
Schwarz-Rot nähert sich dem Ende der ersten Halbzeit: Weil die Wiederholungswahl keine Auswirkung auf die Länge der Legislatur hatte, wird der seit Mai vergangenen Jahres amtierende Senat insgesamt nur drei Jahre bis zur nächsten Abgeordnetenhauswahl im Jahr 2026 im Amt bleiben. Rein rechnerisch ist es bis zur Hälfte der Amtszeit allerdings noch etwas mehr als einen Monat hin. Doch die Grünen zogen bereits jetzt ihre Bilanz über das bisherige Regierungswirken von CDU und SPD. Die Arbeit des Senats sei von »Dilettantismus« geprägt, konstatierte Grünen-Fraktionschefin Bettina Jarasch am Dienstag bei einer Pressekonferenz. »Die Koalition macht große Versprechen, aber bricht sie fortwährend.«
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Am deutlichsten werde dies an dem »Haushaltschaos«, das den Senat seit fast einem Jahr beschäftigt. »Der Senat hatte die Hausaufgabe, das Chaos in den Griff zu bekommen – diese Aufgabe wurde nicht erledigt«, so Jarasch. Der Senat will bis Ende des Jahres festlegen, wie die drei Milliarden Euro eingespart werden sollen, die für das kommende Jahr zu viel verplant sind. »Es ist wahr, dass auch die Vorgängerregierung mehr Geld ausgegeben hat, als sie eingenommen hat«, sagte Jarasch. Angesichts von Corona und Ukraine-Krieg sei das unvermeidbar gewesen. Doch Schwarz-Rot habe die Haushaltslage weiter verschärft, weil alle Rücklagen aufgebraucht worden seien. »Wenn absehbar ist, dass man abbremsen muss, nimmt man doch vorher nicht noch mal Anlauf«, so Jarasch.
Um die Größe der finanziellen Verpflichtungen zu verringern, hat der Senat einen Stopp von Förderungszusagen verhängt. Jarasch kritisierte das scharf: »Es gibt einen Sozialabbau, aber alle waschen sich die Hände in Unschuld.« Freie Träger könnten wegen des Zusagestopps kurz vor Jahresende nicht planen. Weil keine neuen Förderverträge unterzeichnet werden, wüssten die Träger nicht, wie viele Mitarbeiter sie im kommenden Jahr noch beschäftigen können.
Was das konkret bedeutet, skizzierte Gabriele Schlimper, Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin. »Als verantwortungsvoller Arbeitgeber müsste man seine Mitarbeiter jetzt eigentlich zum Amt schicken«, sagte sie. Nur so könne die Frist von drei Monaten beim Übergang ins Arbeitslosengeld eingehalten werden. Betroffen seien etwa die sogenannte Frühe Hilfen für junge Familien, Schuldnerberatungen oder die sozialarbeiterischen Schulstationen. In der Beratung für ehemalige Strafgefangene sei es bereits zu Kürzungen gekommen, obwohl 38 Prozent der Strafgefangenen in die Wohnungslosigkeit entlassen würden.
Dabei müsste eigentlich mehr Geld statt weniger in das Sozialwesen fließen. »Wenn die Zuwendungen auf dem aktuellen Niveau bleiben würden, wäre das real eine Kürzung von zehn Prozent«, so Schlimper. Denn wegen Inflation und Tarifsteigerungen stiegen die Ausgaben der Träger. Unterstützung vom Senat könnten die Träger hier nicht erwarten. Selbst die Übernahme der Inflationsausgleichsprämie zögere sich trotz anderslautender Versprechen über Monate hin. »So geht man mit Menschen einfach nicht um«, sagte Schlimper.
»Es gibt einen Sozialabbau, aber alle waschen sich die Hände in Unschuld.«
Bettina Jarasch (Grüne) Fraktionsvorsitzende
Wie aber wollen die Grünen die Haushaltskrise bewältigen? Es brauche nun »strukturelle Entscheidungen«, so Jarasch. »Wir müssen uns von den Dingen verabschieden, die wir uns nicht leisten können.« Das gelte etwa für die von Schwarz-Rot angekündigte Angleichung der Beamtenbesoldung an das Bundesniveau. Unlängst musste Finanzsenator Stefan Evers (CDU) erklären, das Vorhaben wegen der schwierigen Haushaltslage verschieben zu müssen. »Wir hätten das gar nicht erst versprochen«, sagte Jarasch. Es sei absehbar gewesen, dass die Anpassung die Berliner Finanzen überfordern würde.
Auch bei der Verwaltungsleitung könne man sparen, so Jarasch. Sie halte etwa die von Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) geplante Stabstelle für politische Bildung unnötig. »Die geplanten acht Leitungsstellen entsprechen von den Kosten her 600 Klassenfahrten«, sagte Jarasch in Anspielung auf die jüngst von Günther-Wünsch herausgegebene Anordnung, dass bis Ende November keine Kosten für Klassenfahrten mehr von der Bildungsverwaltung übernommen werden.
Um den Haushalt auszugleichen, wollen die Grünen auch mehr Einnahmen generieren. Die City Tax – also die Übernachtungssteuer – müsse an das Niveau anderer Städte »angepasst« werden, sagte Ko-Fraktionschef Werner Graf. Außerdem sei das Anwohnerparken in Berlin noch immer im Vergleich zu anderen Städten zu billig. Auch bei anderen Steuern und Abgaben wolle man »nichts ausschließen«. »Man muss aber auch ehrlich sagen, dass das angesichts des Haushaltslochs nur ein Tropfen auf dem heißen Stein wäre«, so Graf.
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