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Studenten ziehen in Zelte
Mieten-Protestcamp auf dem Alten Markt von Potsdam
In Potsdam herrscht Wohnungsnot. Die Mieten dort sind im Schnitt noch höher als in Berlin. Von den über 20 000 Studierenden der Universität Potsdam, den rund 3700 der Fachhochschule und den 944 der Fimuniversität »Konrad Wolf« können weniger als zehn Prozent einen der begehrten Wohnheimplätze ergattern. Aufgrund der großen Nachfrage verhängte das Studierendenwerk Westbrandenburg Ende August einen Bewerbungsstopp.
Angesichts dessen scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis Studierende in Zelten leben müssen. Vorerst tun das aber nur einige von ihnen im Rahmen einer Protestaktion. Am Freitagnachmittag baut die Initiative Campus-Camping auf dem Alten Markt der Stadt ein Mieten-Protestcamp auf und will dort bis Sonntagmittag ausharren. Mindestens drei große Zelte werden aufgestellt: eins für Veranstaltungen, eins zum Anfertigen von Transparenten und eins, in dem es warme Getränke geben wird. Am Freitag stehen Mietrechts-Workshops mit Holger Catenhusen vom Mieterverein auf dem Programm. Am Samstag informiert Holger Zschoge vom Bündnis »Stadt für alle« über Mietenwahnsinn und Widerstand und mit Peter Heiß spricht der Geschäftsführer des Studierendenwerks über Herausforderungen bei Renovierung und Bau von Wohnheimen. Abends gibt es Konzerte im nahen Kreativhaus Rechenzentrum.
»Unser Ziel ist es, auf die Not von Studierenden aufmerksam zu machen, die gerade zu Beginn des neuen Semesters besonders hoch ist.«
Fried-Conrad Weber Physikstudent
Es besteht die Möglichkeit, im eigenen Zelt auf dem Alten Markt zu übernachten oder aber sein Zelt nur demonstrativ aufzuschlagen, aber doch nicht dort zu bleiben. Denn nachts kann es zurzeit schon empfindlich kalt werden und nicht jeder besitzt einen hochwertigen Schlafsack, der auch bei niedrigen Temperaturen warm hält. »Ich selbst werde auf jeden Fall übernachten«, kündigt der Physikstudent und Mitorganisator Fried-Conrad Weber an. Wie viele es ihm gleichtun werden, vermag er am Mittwoch nicht abzuschätzen. Zwar sollte man sich möglichst im Internet dafür anmelden. Doch durch einen technischen Fehler seien die Daten verloren gegangen. Insofern muss sich Weber überraschen lassen, wer alles kommt.
»Unser Ziel ist es, auf die Not von Studierenden aufmerksam zu machen, die gerade zu Beginn des neuen Semesters besonders hoch ist«, erklärt der 24-Jährige. »Wir fordern von der kommenden Landesregierung einen konkreten Plan, wie der Neubau sowie die Renovierung von Wohnheimen beschleunigt werden können.«
SPD, CDU und Grüne, die seit der Landtagswahl vom 22. September nur noch übergangsweise die Regierung bilden, hatten sich 2019 in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, dass landesweit Wohnheimplätze für 20 Prozent der Studierenden geschaffen werden. Sie verfehlten dieses Ziel mit nur 15 Prozent klar. Die Koalition habe in der Wohnungspolitik »komplett versagt, so auch in der Wohnraumversorgung der Studierenden«, kritisiert die scheidende Landtagsabgeordnete Isabelle Vandré (Linke). »Ob jemand ein Studium in Potsdam beginnen kann, ist mittlerweile eine soziale Frage.« Denn günstige WG-Zimmer seien kaum noch zu finden und der Bedarf an Wohnheimplätzen übersteige das Angebot des Studierendenwerks um ein Vielfaches. Mittlerweile stünden dauerhaft mehrere Hundert Personen auf der Warteliste.
Wie desaströs die Lage ist, habe vor ein paar Monaten eine Umfrage unter Studierenden gezeigt. Doch weder darauf noch auf eine Petition habe die Koalition reagiert, beklagt Vandré. Eine von der oppositionellen Linksfraktion beantragte eigene Förderrichtlinie für studentisches Wohnen und anderen Maßnahmen lehnte der Landtag im Januar ab.
Solche Anträge kann Vandré mittlerweile nicht mehr einreichen. Denn ihre Partei ist im neuen Landtag nicht mehr vertreten. Doch die 35-jährige bleibt politisch engagiert – als Stadtverordnete in Potsdam. Sie begrüßt es, dass die Studierenden auf dem Alten Markt campieren und damit vor dem Landtag. »Die Forderungen aus unserem Antrag sind nach wie vor aktuell«, sagt Vandré. Es müsse mehr investiert werden. Land und Kommunen müssten den Studierendenwerken Baugrundstücke zur Verfügung stellen und ihnen die Möglichkeit einräumen, Kredite aufzunehmen.
Derweil denken die Studierenden nicht nur an sich selbst. In ihrem Protestcamp sind alle willkommen, die unter der Wohnungskrise leiden: Rentner, Auszubildende, Migranten, Familien. Am Samstag gebe es eine kostenlose Mieterberatung für alle, verspricht Student Weber.
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