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Eine Partei wirklich neuen Typs
nd-Serie »Die Linke: Vorwärts oder vorbei?«: Über mögliche Perspektiven der Parteiendemokratie
Seit den letzten Bundestagswahlen und sicher seit den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ist eine Veränderung in der Parteienlandschaft zu beobachten, die möglicherweise den Blick in Varianten künftiger Parteienentwicklung öffnet. Es ändert sich der Charakter der mit Chancen wahlwerbenden Parteien. Neue Parteien treten in die Konkurrenz ein und es schwinden die Erfolgschancen noch vor Kurzem erfolgreicher Parteien.
Der entscheidende Unterschied betrifft die erwünschten und zu erreichenden Klientele. Waren noch für einige Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland, in Österreich, aber auch in anderen europäischen Ländern die Parteien meist Milieu- oder Klassenparteien, so haben später erfolgreiche Parteien sich zu sogenannten Volksparteien entwickelt. Der Jurist Rudolf Weber-Fas definierte in seinem »Kleinen Staatslexikon« Volkspartei »als eine auf Wähler und Mitglieder in allen Bevölkerungsgruppen ausgerichtete politische Partei«. Damit folgt er dem üblichen Verständnis von Volkspartei, das zwar das Volk als Ganzes als Staatsvolk voraussetzt, es aber in seiner Diversität von Problemsichten und Einstellungen für unterschiedliches Wahlverhalten zugänglich hält.
Dies kann sehr verschiedene Ergebnisse zulassen. Erstens, dass die angesprochenen Wähler*innen sich kaum noch primär aus ihrer gesamten und komplexen sozialen Lage heraus Parteien zuwenden. Sie sondern vielmehr aus ihrer komplexen Lebenswirklichkeit einzelne Faktoren aus, die für ihre Wahlentscheidung prägend sind. Solche Entscheidungen sind selten von Dauer. Sie betreffen mit ihren Erwartungen die Zeit einer oder zweier Wahlperioden und führen deshalb weg von Stammwählerschaften hin zu wechselndem Wahlverhalten. Diese Parteien bieten zwar etwas an, das kurzfristig wichtig erscheint; langfristige Ziele gesellschaftlicher Entwicklung bieten sie nicht. Es fehlt ihnen eine Utopie.
Prof. Peter Porsch, Jahrgang 1944, ist Germanist und Politiker. Er lehrte an der Universität Leipzig Sprachtheorie und Sprachsoziologie, beschäftigte sich auch mit Dialekten. Nach 1990 war er lange Zeit eine prägende Figur der PDS bzw. Linkspartei in Sachsen. Der hier veröffentlichte Text ist die leicht gekürzte Fassung eines Beitrags auf der Webseite www.peter-porsch.de.
Zweitens können die Parteien in ihrem Streben nach wirkmächtigen Mehrheiten die Diversitäten so weit polarisieren, dass dies politische Kooperation verhindert. Der daraus entstehende Parteienstreit verliert jegliche Produktivität für eine Ausrichtung an gesamtstaatlichen Notwendigkeiten und stößt am Ende viele Wählergruppen ab. Daraus können andere Volksparteien entstehen oder andere Parteitypen gewinnen (wieder) an Bedeutung: Weber-Fas nennt unter anderem Programm- oder Plattformparteien, die auf kurzfristige Wirksamkeit spekulieren oder bestimmte Werte zu verwirklichen suchen. Die Halbwertszeit solcher Parteien ist meist gering. Das alles trägt jedoch zur Zersplitterung der Parteienlandschaft bei, der in der Wahrnehmung der Wähler*innen Potenziale zur längerfristigen Zusammenarbeit verloren gehen.
Drittens führt deshalb das Dilemma der Volksparteien zunächst zu deren möglichst populistischem Agieren. Sie folgen, ansonsten prinzipienlos, Stimmungen mit oft demagogischer Politik, die nicht mehr die Chancen in der Diversität des Wahlvolkes sucht, sondern an die Übereinstimmungen im gesamten Volk appelliert, denen politisch Geltung zu verschaffen sei. Das sind oft Ängste oder vorgetäuschte Problemlagen.
Konsequent zu Ende gedacht, entstehen »völkisch« orientierte, nationalistische, rechtsextreme, (neo)faschistische Parteien, die dem nationalen Vorteil, der positiven Bewertung aller nationaler Eigenheiten und der Ablehnung des Fremden als Leitprinzipien folgen. Sie dulden letztendlich keine anderen Parteien neben sich, weil es für sie wegen der angenommenen und propagierten Einheit(lichkeit) des Volkswillens keine braucht. Der Weg führt zwangsläufig von der Demokratie zur Diktatur, die sich – wie aktuell oft zu beobachten ist – als »autoritäre Wende« in der Führung von Volksparteien anschleicht.
Auch wenn aus opportunistischen Gründen solche Parteien zeitweilig als Friedensparteien auftreten, steckt in ihnen der unabweisbare Drang eines jeden nationalistischen Durchsetzungswillens zu Gewalt und schließlich Krieg. Weil man auf diesem Feld nicht verlieren will, gibt man sich oft kooperationsbereit sowie friedenswillig, was sofort aufgekündigt wird, wenn man die Chance des »Sieges« sieht. Die Utopie verendet bei diesen Parteien in der Apokalypse; allerdings nicht für nationales Kapital, sondern für die Völker. Das macht sie objektiv zu Klassenparteien nationalen Kapitals.
Solche Parteien müssen zwar nicht das Ende der Parteiendemokratie bedeuten. Die Hoffnung liegt im (mehrheitlichen) Widerspruch zu ihnen und im Widerspruch zu sich gegensätzlich gegenüberstehenden Klassenparteien. Freilich sind deren Möglichkeiten momentan schon durch die Existenz von Volksparteien deutlich geschrumpft bis fast verschwunden. Das hat Gründe, denen nachzugehen lohnt.
Die Linkspartei steckt tief in der Krise, braucht neues Führungspersonal und dringend einen neuen Aufbruch. Aber wie und wohin? »nd« startet eine Debattenserie über Probleme und Perspektiven: »Die Linke – vorwärts oder vorbei?« Alle Texte der Serie finden Sie hier.
Beginnen wir bei der FDP, der Klassenpartei des Kapitals. Ihrem dramatischen Verschwinden bei den letzten Landtagswahlen ging eine Entwicklung voraus, die für ihre Parteigänger*innen sogar erfreulich sein könnte. Ihr eigentliches Ziel ist ja die Transformation der ökonomischen Macht des Kapitals in gesellschaftliche Macht. Solange es dazu politische Gegenmacht gibt, die das verhindern will und wenigstens tendenziell auch kann (zum Beispiel unverkennbare Arbeiterparteien oder eben konkurrenzfähige Volksparteien), braucht Kapitalismus diese Partei bei der politischen Auseinandersetzung.
Das Ziel der Verwandlung ökonomischer Macht in gesellschaftliche mit politischen Mitteln erreicht Kapital jedoch am besten, wenn politische Macht ökonomischer Macht überlassen wird. Hauptinstrument dafür ist aktuell die Übertragung von öffentlichem Eigentum und öffentlich regulierten Einrichtungen insbesondere der Daseinsvorsorge jeglicher Art in private Hände. Erscheint ein solcher Prozess ausreichend fortgeschritten, ziehen sich Wähler*innen von der Kapital(isten)-Partei zurück. Sie sehen den »höheren Zweck« erfüllt und brauchen diese Partei nicht mehr.
»Völkische« Parteien wiederum verschleiern die national, regional und global unterschiedlichen Kapitalinteressen mit der nationalistischen Tarnkappe und nehmen sie so aus durchschaubarer Politik heraus. Aus der vorgeblich »nationalen, sozialistischen Arbeiterpartei« wird zum Beispiel bei der FPÖ in der Agitation die »soziale Heimatpartei«. Wo ist der Unterschied außer in der »entnazifizierten« Sprache?
Aus der Sicht wünschenswerter Demokratieentwicklung werden Klassenparteien wie die FDP sogar gebraucht. Sie stellen immerhin Kapitalinteressen in politischen Auseinandersetzungen zur Disposition. Allerdings kann das nur funktionieren, wenn es eine eindeutig an gegensätzlichen Klasseninteressen ausgerichtete politische Gegnerschaft im Parteienspektrum gibt. Das käme zwar einer Partei wie Die Linke zu, wird jedoch unter unterschiedlichen Aspekten immer wieder in diesen Parteien selbst aufgeweicht. Deshalb stellen sich für diese Parteien die Fragen der Demokratie, der möglichen Kompromisse und des Verhältnisses zum Nationalen. Die klassenspezifische Klärung dieser Fragen ist ständige Aufgabe linker Parteien. Allein so können sie ihre gesellschaftliche Notwendigkeit beweisen, aufrechterhalten und gesellschaftliches Verhalten beeinflussen.
Ein von Volksparteien beherrschtes demokratisches System hat trotz deutlicher Erosionserscheinungen bis heute ziemliche Macht und Stärke. Etwa 70 Prozent der Wähler*innen nutzen es, um politischen Willen auszudrücken, und das ist gut so, denn es macht diese Parteien zu Bündnispartnerinnen im Kampf gegen rechts. Das ist die eine Seite der Medaille. Volksparteien sind aber aufgrund ihres Wesens auch immer offen für Wege nach rechts, wenn sich entsprechende Stimmungen im Wahlvolk durchsetzen. Die »Brandmauern« gegen rechts werden deshalb nicht Volksparteien gesichert. Diese Mauern aufzurichten und aufrechtzuerhalten ist Aufgabe einer linken Klassenpartei. Hierin ist das Urteil über mögliche Kompromisse mit Volksparteien und deren Grenzen aufgehoben.
Ein linker Blick auf die Gesellschaft muss immer ein Blick von unten sein. Die Interessen, die dieser Perspektive die Richtung geben, können nur die der lohnabhängigen Bevölkerungsteile sein, die nur die Ware Arbeitskraft besitzenden und zu deren Verkauf gezwungen sind. Weil ihnen imperiale Interessen fremd sind und sie auch in überschaubaren Zeiten keine objektiven Interessen an Kriegen haben können, kann eine linke Partei anders als alle anderen Parteien nur eine Friedenspartei sein. Das heißt auch, für die Erreichung von Frieden in einer Welt, die Kriege nicht ausschließt, nur friedliche Mittel einzufordern. Nichts anderes, als dass linken Parteien Nationalismus und Bellizismus naturgemäß fremd sein müssen und an die Klasse gebundener Internationalismus ihre Grundidee ist, ist bereits im »Gründungsdokument« aller linken Parteien, dem »Kommunistischen Manifest«, herausgearbeitet.
Damit der Wunsch nicht der Vater des Gedankens bleibt, müssen linke Parteien, Mitgliederparteien wirklich »neuen Typs« werden. Das heißt, sie sind das nicht allein wegen der hohen Zahl ihrer Mitglieder. Diese Mitglieder müssen auch permanent ihre Souveränität gegenüber dem Parteiapparat ausspielen können. Das zu organisieren und abzusichern ist zwar ein ausgebauter Parteiapparat nötig, zugleich aber braucht es eine innerparteiliche Kommunikation, die die Mitgliedschaft nicht nur in Abständen (Parteitage) und durch Delegierte einbezieht, sondern auch jederzeit die Parteipolitik durch Einbeziehung aller Mitglieder bestimmen lässt. Permanente Versammlungsmöglichkeiten stützen das. Es bedarf jedoch auch einer dauernd wirksamen Bildungstätigkeit, die zu kollektiver Erarbeitung von Problemanalysen und Lösungsansätzen befähigt und so Subjektivismus zurückdrängt.
Nicht zuletzt brauchen wir dringend eine bessere Kommunikation mit der Bevölkerung. Dafür reichen Presseerklärungen, originelle Plakate oder prominente Kandidat*innen nicht mehr. Es muss leichte und schnelle Zugänge zum Einzelgespräch mit Verantwortungsträger*innen der Partei geben. Zwanglosigkeit ist der Formalisierung und Bürokratisierung solcher Gespräche vorzuziehen. Der Umgang mit den Gesprächsergebnissen ist für die Teilnehmer*innen zu dokumentieren. Das macht ehrenamtliches Engagement vor Ort nötig, was zugleich den Einfluss der Parteibasis stärkt. Ohne eine verbindliche Einbeziehung der Mitglieder und ihre Aktivierung würde die Partei verkümmern und schließlich verschwinden.
In der nd-Serie »Die Linke: Vorwärts oder vorbei?« erschien zuletzt: »Eine Frage der Klasse« (»nd.DerTag«, 15.10.).
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