Umweltschutz: Schwierige Vermessungen

Die Entwaldungsverordnung der EU ist zwar wichtig, aber sie ist vor allem in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft nur schwer umzusetzen

  • Knut Henkel, Argelia
  • Lesedauer: 7 Min.
Vor allem für die kleinen Bäuer*innen ist es schwierig, die Auflagen für die EU-Richtlinie zu erfüllen. Sie müssen nachweisen, dass sie ihr Land nicht durch Raubbau gewonnen haben.
Vor allem für die kleinen Bäuer*innen ist es schwierig, die Auflagen für die EU-Richtlinie zu erfüllen. Sie müssen nachweisen, dass sie ihr Land nicht durch Raubbau gewonnen haben.

Asoproa steht über dem Metall-Rollladen, der den Eingang zur Kaffee-Genossenschaft versperrt. Hoch bis unter die Decke sind die Kaffeesäcke gestapelt, und Isney Sultano grinst zufrieden, als er den Blick des Besuchers über die mit dem Logo der Genossenschaft bedruckten Säcke gleiten sieht. »Dieses Jahr ist exzellent. Zum ersten Mal seit drei Jahren haben wir eine wirklich gute Ernte, übertreffen alle Erwartungen«, sagt er. Im kleinen Labor der Genossenschaft hat er gerade eine Probe Kaffeebohnen analysiert, die Bohnen geröstet und aufgebrüht. Der Duft des Kaffees hängt schwer in der Luft und macht sich auch außerhalb des Labors breit, das wenig größer als eine Küche ist.

Die Genossenschaft hat ihren Sitz in der Kleinstadt Argelia im Süden Kolumbiens. Die Region ist für den Anbau von Qualitätskaffee bekannt. In einer Höhe zwischen 1200 und 1900 Metern werden die buschigen Sträucher mit den knallroten Kirschen gepflanzt. Seit Ende Februar, Anfang März ist Erntezeit. 120 Tonnen Bio-Kaffee brachten die Genoss*innen im Schnitt der letzten Jahre auf den Markt. »Dieses Jahr wird es mehr werden«, glaubt Isney Sultano, ein drahtiger 41-jähriger Kaffeebauer, der bei Asoproa auch für die Umsetzung der neuen EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten verantwortlich ist. Damit sollen keine Produkte mehr auf den EU-Markt gelangen, die auf Flächen angebaut werden, die in den letzten vier Jahren abgeholzt, geschädigt oder von denen die lokale Bevölkerung vertrieben wurde. Die Kaffeebäuerinnen müssen nachweisen, wo ihre Bohnen herkommen, und Isney Sultano ist sich sicher, dass die 143 Familien von der Asoproa-Genossenschaft gut vorbereitet sind.

»Alle Farmen sind kartografiert, auch die erforderlichen Daten zur Georeferenzierung sind komplett.« Der Begriff ist unter Kaffeespezialist*innen, Einkäufer*innen von großen wie kleinen Handels- und Röstunternehmen zum geflügelten Wort geworden: Die Kaffeebohnen werden ihrem Produktionsort zugeordnet, der über Satellit überprüft wird. So kann der Baumbestand kontrolliert und mit älteren Karten verglichen werden. Auf diese Weise lässt sich nachweisen, dass auf den betreffenden Flächen in den letzten vier Jahren kein Baum gefällt wurde.

Für Isney Sultano und die anderen Kooperativen, die zum Dachverband Cosurca gehören, war der Aufwand überschaubar. »Unser Trumpf ist die schon vorhandene Bio-Zertifizierung aller Mitglieder – deren Kaffeefarmen sind kartografiert«, erklärt Isney Sultano. Zustimmend nicken die beiden Kollegen von Cosurca, Freddy Urbano und Geschäftsführer René Ausecha. Allerdings war es trotzdem viel Arbeit, alle der elf Kooperativen unter dem Dach von Cosurca fit zu machen für die EU-Verordnung.

Eine Verordnung mit Vorbildcharakter?

Die EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten soll unterbinden, dass Produkte auf den EU-Markt gelangen, die auf Flächen angebaut werden, die in den letzten vier Jahren abgeholzt, die geschädigt oder von denen die lokale Bevölkerung vertrieben wurde.
Dabei bezieht sich die Regelung auf die Rohstoffe Soja, Palmöl, Holz, Kaffee, Kakao, Naturkautschuk und Rindfleisch sowie deren Derivate. Sämtliche dieser Produkte müssen ab dem Stichdatum 30. Dezember 2024 nachweislich auf Flächen produziert werden, die nicht zwischen dem 30. Dezember 2020 und dem Stichtag entwaldet wurden oder auf denen Wald geschädigt wurde.
Ziel der Verordnung ist es, die weltweite Entwaldung und damit die Emission von Treibhausgasen zu senken. Auch dem Verlust biologischer Vielfalt soll durch die Verordnung entgegengewirkt werden, die fortan Nachweise von Handelspartnern verlangt, die Rohstoffe nach Europa exportieren. Dafür wird ein komplexes, bürokratisches Kontrollsystem aufgebaut, das auf Georeferenzierung setzt – per Satellitenkontrolle und Kartografie werden die Produktionsorte den Produkten zugeordnet. Das ist schwierig in Ländern wie Kolumbien, Ruanda oder Malaysia umzusetzen, weil es dort viele Kleinbäuerinnen gibt, die nicht über die notwendige Technik verfügen. Außerdem haben die zuständigen EU-Behörden einige notwendige Details wie die Schnittstelle für die Dateneinspeisung noch nicht vorgestellt.
Produzent*innen bitten daher immer wieder um einen Aufschub der Regelung. Der wird womöglich gewährt – auch wenn damit der Waldschutz weiter hintenanstehen würde. Das kritisieren Expert*innen und verweisen auf Zahlen der UN-Welternährungsorganisation FAO: Demnach sind zwischen 1990 und 2020 weltweit etwa 420 Millionen Hektar Wald gerodet – eine Fläche, die größer als die EU ist. knh

»Vor einem Jahr haben wir damit begonnen, unsere 1500 Mitglieder, darunter rund ein Drittel Frauen, zu beraten. Wir sind viel unterwegs gewesen und haben Seminare organisiert«, erzählt René Ausecha. »Informationen aus Europa mussten wir analysieren, um die technischen Voraussetzungen für die Richtlinie zu schaffen.« Dafür wurde oft das Positionsbestimmungssystem GPS installiert, in einigen Fällen wird die Anbaufläche auch per Polygonzug vermessen. René Ausecha sieht die Mitglieder inzwischen gut auf die EU-Richtlinie vorbereitet, die ab dem 30. Dezember 2024 in Kraft treten soll. Dann müssen in einem ersten Schritt große Kaffee-Handelsunternehmen nachweisen, woher ihr Kaffee kommt und ob er »entwaldungsfrei« produziert wurde. Kleinere Unternehmen, Genossenschaften und kleine und mittlere Röstereien haben noch bis zum 30. Juni im kommenden Jahr Zeit, bis auch sie das nachweisen müssen.

Ob die Stichtage jedoch eingehalten werden, ist derzeit unklar. Denn bis heute sind zentrale Details, die für die Umsetzung der Richtlinie wichtig sind, nicht geklärt: Es ist weder klar, auf welchem Internetportal oder welcher Plattform die Daten eingespeist werden sollen, noch in welchen Dateiformaten und in welchen Größen sie geliefert werden sollen. Das sorgt für Verunsicherung bei den großen wie den kleinen Kaffeeimporteuren.

Zwei Schwergewichte des deutschen Kaffeemarkts, Tchibo und Interamerican Coffee, haben die Behörden schon im Juli um einen Aufschub bei der Umsetzung der EU-Richtlinie gebeten. Das fordert inzwischen auch der deutsche Kaffeeverband zusammen mit anderen Verbänden aus dem Lebensmittelsektor in einem gemeinsamen Schreiben an die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Agrarminister Cem Özdemir (Grüne). Sie plädieren für klare, transparente Vorgaben der EU und warnen vor der drohenden Unterbrechung von Lieferketten, die Preissteigerungen zur Folge haben könnten. Über einen Aufschub der Verordnung um ein Jahr wird in Brüssel derzeit diskutiert. Eine endgültige Entscheidung wird in den nächsten Tagen erwartet.

Das ist ganz im Interesse der großen Importeure, die für klare, transparente EU-Vorgaben plädieren und warnen vor der drohenden Unterbrechung von Lieferketten, die Preissteigerungen zur Folge haben könnten.

»Die Kleinbäuerinnen wurden nicht befragt, ob sich das hochkomplexe und bürokratische Monitoring der EU vor Ort umsetzen lässt.«

Thimo Drews Geschäftsführer Hamburger Speicherstadt-Rösterei

Das Vorgehen der Branchenriesen hält Thimo Drews für nachvollziehbar. Dabei hält der Geschäftsführer der Hamburger Speicherstadt-Rösterei die EU-Initiative grundsätzlich für positiv, weil sie dem Waldschutz und der Senkung der CO2-Emissionen verpflichtet ist. »Der Klimawandel macht den Kleinbäuerinnen weltweit zu schaffen. Doch sie wurden nicht befragt, ob sich das hochkomplexe und bürokratische Monitoring der EU vor Ort umsetzen lässt«, kritisiert er.

Die Speicherstadt-Rösterei importiert regelmäßig Kaffee aus Kolumbien, aber auch aus Ruanda oder Indien. Drews kennt die Anbaubedingungen vor Ort und die oft prekäre Infrastruktur. Nicht alle Bäuerinnen haben etwa einen Internetzugang. Das erschwert ihnen, die Nachweise vorzulegen, um nach Europa exportieren zu können. Auch René Ausecha hat die Richtlinie vor Hürden gestellt. »Wir haben für die Beratung unserer Mitglieder, für die Schaffung der technischen Voraussetzungen und die Koordination viel Arbeit und Geld ausgeben müssen. Auf diesen Kosten bleiben wir oft sitzen.« Die einzigen, die mit Expertise und der Suche nach finanzieller Förderung geholfen hätten, seien Abnehmerinnen wie Gepa, die Fairtrade Company aus Wuppertal.

Dort arbeitet Kaffee-Experte Kleber Cruz-García, der für den Einkauf der Bohnen aus Lateinamerika zuständig ist. Er teilt die Kritik seiner Partner*innen in Übersee. »Fonds für die Implementierung und bessere Koordination hätte ich mir auch gewünscht, aber die EU-Initiative ist für mich alternativlos. Mit freiwilliger Selbstverpflichtung sind wir beim Waldschutz und der Reduktion von CO2-Emissionen nicht weitergekommen. Nun macht die EU ernst – das ist konsequent«, erklärt er.

Allerdings kritisiert er, dass die EU weder die Vorgaben noch die Abläufe rechtzeitig definiert habe, wodurch die Einführung der Verordnung chaotisch sei. Eine Einschätzung, die auch Thimo Drews teilt. Doch ihn stört noch ein anderer Aspekt: »Drohen wir damit, Kleinbauern den Zugang zum EU-Markt zu versperren? Was machen die, die nicht in einer Genossenschaft organisiert, eventuell sogar Analphabeten, sind?«, fragt er und reibt sich das bärtige Kinn. Das wäre ein verheerendes Signal, denn laut Studien bauen Kleinbäuerinnen in aller Regel umweltschonend und nachhaltig an. Beim Kaffeeanbau sind sie oft die ersten, die Schattenbäume für die sensible Kaffeepflanze setzen und damit etwas gegen den Klimawandel tun.

Damit könnte diese wegweisende EU-Verordnung beträchtliche Nebenwirkungen haben. Trotzdem ergebe die Sinn, meint René Ausecha und ist sich sicher, dass dem EU-Vorbild früher oder später auch die USA und die asiatischen Länder folgen werden. Doch derzeit herrsche vor allem Verunsicherung auf beiden Seiten der Lieferkette: »Viele Großröstereien und größere Abnehmer halten sich bedeckt – weil sie nicht wissen, ob wir kleinen in der Lage sind, alle Daten zu beschaffen«, meint Ausecha. Damit geht die Angst um, dass sich die Kaffeeimporteure den großen Anbietern in Brasilien oder wo auch immer zuwenden könnten. Das wäre ein fatales Signal.

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