Wir sind dann mal weg

Sheila Mysorekar über die Vertreibung von Menschen mit Migrationsgeschichte durch die extreme Rechte

Aufstieg der extremen Rechten – Wir sind dann mal weg

Es gibt Nachrichten, die gar nicht oder nur in der Rubrik »Vermischtes« auftauchen. Vielleicht, weil ihre Bedeutung oder das Ausmaß der Vorkommnisse nicht klar sind. Oder weil man die Neuigkeit nicht so ernst nimmt.

Eine solche Nachricht war das Ergebnis der Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) mit dem Titel »Ablehnung, Angst und Abwanderungspläne: Die gesellschaftlichen Folgen des Aufstiegs der AfD«: Rund zehn Prozent aller Menschen mit Migrationsgeschichte hat demnach konkrete Auswanderungspläne. Rund ein Viertel – ein Viertel! – aller Menschen mit Migrationsgeschichte »erwägt zumindest hypothetisch«, Deutschland zu verlassen.

29,7 Prozent der Bevölkerung hierzulande kommt aus einer internationalen Familie; das sind 24,9 Millionen Menschen. Ein Viertel dieser Leute überlegt, wegen der AfD das Land zu verlassen – das sind über sechs Millionen Menschen. Sechs Millionen! Nachbar*innen, Freund*innen, Arbeitskolleg*innen, die sagen: Ich kann hier nicht mehr leben wegen dieser Rechtsradikalen; ich fühle mich nicht mehr sicher; ich gehe besser jetzt, solange ich den Zeitpunkt freiwillig bestimmen kann. Sechs Millionen Menschen, die ihre Heimat – nämlich Deutschland – möglicherweise verlassen, weil sie an die anderen sechs Millionen denken, die es vor 80 Jahren nicht geschafft haben, rechtzeitig zu fliehen.

Sheila Mysorekar

Sheila Mysorekar ist Vorsitzende der Neuen Deutschen Organisationen, einem Netzwerk postmigrantischer Organisationen. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Schwarz auf Weiß«. Darin übt sie Medienkritik zu aktuellen Debatten in einer Einwanderungsgesellschaft.

Das Ergebnis der Studie hat mich umgehauen. Ja, auch ich habe einen Plan B. Auch ich werde auswandern, wenn die AfD und all die Rechten zu stark werden sollten. Und ja, die meisten meiner migrantischen Freund*innen haben einen Plan B. Sicher ist sicher. Aber mir war nicht klar, dass wir so viele sind. Das gleiche Gefühl, die gleiche Angst, die gleiche Vorsicht? Sechs Millionen?!

Die »Zeit« schrieb dazu: »Wesentliche Teile der Bevölkerung in Deutschland denken wegen des politischen Erstarkens der AfD über einen Wegzug aus ihrem Bundesland nach – oder sogar über Auswanderung. Zu diesem Ergebnis kommt eine Kurzstudie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in Zusammenarbeit mit Forschern der Universität Leipzig, der Hochschule Magdeburg-Stendal und der Universität Bielefeld. Besonders häufig erwägen demnach Menschen mit Migrationshintergrund, ihr Bundesland oder Deutschland zu verlassen.« Schon vor der Veröffentlichung der Studie hatte die Hamburger Wochenzeitung mehrmals die Angst und Unruhe thematisiert, die der organisierte Rechtsextremismus in Menschen aus internationalen Familien auslöst. So etwa in einem brillanten Artikel der Journalistin Vanessa Vu und ihres Mannes, dem Autor Ahmad Katlesh, mit dem Titel »Geh. Geh, bevor es zu spät ist«.

Im ZDF hingegen hieß es: »Menschen mit Migrationshintergrund denken an Umzug«. Nein, liebes ZDF, um einen »Umzug« handelt es sich, wenn ich von einer Zwei-Zimmer-Wohnung in eine Drei-Zimmer-Wohnung umziehe oder in eine andere Stadt. »Rechtzeitig ins Exil gehen« oder »fliehen, bevor man zwangsweise remigriert wird«, das sind die korrekten Begriffe für diese Situation! Die »tageszeitung« deklinierte durch, was diese Abwanderung für Ostdeutschland bedeuten würde, das ohnehin unter Arbeitskräftemangel leide, ähnlich auch die »Schwäbische« und andere Publikationen, doch nur als unmittelbare Reaktion auf die Veröffentlichung der Studie. Danach verschwand das Thema von der Bildfläche.

Zum Thema: Gute Ausländer, schlechte Ausländer – In Thüringen fühlen sich ausländische Fachkräfte nicht mehr sicher. Könnte das etwa am ressentimentgetriebenen Thüringer liegen?

Ich erinnere mich an die Kolumne der Autorin Mely Kiyak »Werden sie uns mit FlixBus deportieren?« vor einigen Jahren. Was sie kommen sah, ist jetzt Millionen von Menschen klargeworden. Man überlegt sich, ob man gehen soll (wer weiß, was uns noch bevorsteht!), wann man gehen soll (besser jetzt ganz in Ruhe, oder erstmal abwarten, wie sich die Dinge entwickeln?), und wohin man gehen soll.

Das Wohin scheint die problematischste Frage zu werden: Vielerorts sind die Rechten auf dem Vormarsch: Frankreich, Niederlande, Italien, Skandinavien. Tja, dumm gelaufen mit dem Exil; in ganz Europa werden Grenzen dichtgemacht. Polen will das Asylrecht aussetzen, und auf EU-Ebene sind neue Abschiebepläne in der Mache. Wo sollen wir denn hin? In imaginäre »Heimatländer«, aus der unsere Großeltern stammen? Irgendwie fühle ich mich im Rheinland am wohlsten…

Aber halt, es gibt ja noch eine Option: bleiben und kämpfen! Na denn – venceremos!

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