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Kürzer arbeiten, weniger Stress – bei gleichem Arbeitspensum?

Über 40 Betriebe in Deutschland haben in einem Pilotprojekt kürzere Arbeitszeiten eingeführt. Nun liegt eine Bilanz vor

  • Eva Roth
  • Lesedauer: 5 Min.
DGB-Kundgebung zum 1. Mai: Die meisten Vollzeitbeschäftigten wünschen sich eine Vier-Tage-Woche bei gleichem Lohn.
DGB-Kundgebung zum 1. Mai: Die meisten Vollzeitbeschäftigten wünschen sich eine Vier-Tage-Woche bei gleichem Lohn.

In dem Pilotprojekt wurde »die Variante der reduzierten Arbeitszeit bei gleichem Lohn umgesetzt – 100-80-100, also 100 Prozent Leistung in 80 Prozent der Zeit bei 100 Prozent Bezahlung«, heißt es auf der Internetseite der Universität Münster, die den Versuch wissenschaftlich begleitet hat. Das Anliegen der Studie sei es herauszufinden, was die Unternehmen tun, um mit der reduzierten Arbeitszeit umzugehen, und wie sich die Vier-Tage-Woche auf Firmen und Beschäftigte auswirkt.

Insgesamt 41 Unternehmen aus Deutschland haben bis Oktober die sechsmonatige Testphase ganz oder fast abgeschlossen. Die meisten sind kleine bis mittelgroße Betriebe im Dienstleistungssektor, etwa Beratungsfirmen, IT-Anbieter, Rechtsanwälte und Handelsunternehmen. Auch Handwerksbetriebe sind dabei. Viele verkürzten die Arbeitszeit tatsächlich um 20 Prozent, andere jedoch deutlich weniger. Im Durchschnitt wurde die Arbeitszeit dann nur um ungefähr zehn Prozent oder knapp vier Stunden pro Woche reduziert. In den meisten Fällen nahmen Beschäftigte einen zusätzlichen freien Tag pro Woche. In 60 Prozent der Unternehmen arbeitete die ganze Belegschaft kürzer, in größeren Firmen nur ein Teil.

»Das Wohlbefinden steigt, wenn die Arbeitszeit sinkt – bei gleichbleibender oder sogar leicht steigender Produktivität.« So fasst die Uni Münster die Ergebnisse des Projekts zusammen. Mitarbeiter*innen hätten berichtet, dass sich ihre mentale und körperliche Gesundheit verbessert habe, berichtete Julia Backmann, Professorin für Transformation der Arbeitswelt an der Uni Münster. Die Leute hätten sich auch mehr bewegt und seien öfter zu Fuß gegangen – das zeigten Fitness-Tracker, die sie getragen haben. Zudem hätten die Mini-Computer bei den Beschäftigten weniger Stressminuten gemessen als bei einer Kontrollgruppe, also Kolleg*innen im Unternehmen, die weiterhin länger arbeiten.

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Seltener krank wurden die Beschäftigten offenbar nicht. Die monatlichen Krankentage seien zwar etwas zurückgegangen, der Unterschied war im Vergleich zum Vorjahr jedoch nicht statistisch signifikant, betonte Backmann in der Pressekonferenz am Freitag. Die Forschenden fanden auch nur wenige Hinweise, dass Beschäftigte seltener kündigen wollen. Bei einem ähnlichen Projekt in Großbritannien sank hingegen die Zahl der Kündigungen stark.

Was das Ziel angeht, dass Beschäftigte in weniger Zeit gleichviel leisten, erklärte Backmann: Umsatz und Gewinn der Firmen hätten sich im Vergleich zum Vorjahr nicht signifikant verändert, trotz reduzierter Arbeitszeit. »Das ist ein Anzeichen, dass die Produktivität gestiegen sein muss.« Damit die Beschäftigten effizienter arbeiten, wurden zum Beispiel weniger und kürzere Meetings gemacht. Einige führten auch neue digitale Werkzeuge ein, etwa Chat-GPT. Andere richteten »Fokuszeiten« ein, in denen die Leute möglichst nicht durch E-Mails oder Anrufe gestört werden, so Carsten Meier von der Unternehmensberatung Intraprenör. Die Firma hat zusammen mit der Organisation »4 Day Week Global« das Pilotprojekt koordiniert und die teilnehmenden Firmen beraten, wie sie Abläufe umstellen können.

Ziel der Studie war nicht herauszufinden, ob die Vier-Tage-Woche flächendeckend möglich ist. Vielmehr sei es darum gegangen, ob Unternehmen, die Interesse an diesem Modell haben, diese auch umsetzen können, erklärte Backmann. Mehr als 70 Prozent der Unternehmen gaben nach sechs Monaten an, die kürzeren Arbeitszeiten zumindest vorerst beibehalten zu wollen. Zwei größere Betriebe hatten den Versuch bereits vor Ende der Testphase abgebrochen. Über 80 Prozent der Beschäftigten möchten bei der Vier-Tage-Woche bleiben.

Insbesondere die Ursprungsidee ist indes nicht verallgemeinerbar: Die Vorstellung, dass man generell die Arbeitszeit auf 80 Prozent verkürzen kann, während der Output bei 100 Prozent bleibt, sei Unsinn, urteilt der Arbeitsmarktforscher Gerhard Bosch von der Uni Duisburg-Essen. »Es gibt Arbeitsplätze, wo das möglich ist. Es gibt auch schlecht organisierte Unternehmen, in denen die Abläufe insgesamt vereinfacht werden können«, sagte er dem »nd«. »Doch insgesamt hat die Arbeitsverdichtung über viele Jahrzehnte so zugenommen, dass dies oft nicht möglich ist – jedenfalls nicht in kurzer Zeit.« Die Fließbänder in Autofabriken laufen bereits schnell, Züge müssen immer noch von einem Lokführer gesteuert werden, und Pflegekräfte haben bereits wenig Zeit für alte Menschen und Patient*innen. Wenn sie noch weniger Zeit haben, geht das auf Kosten der Beschäftigten und Pflegebedürftigen.

Gesamtwirtschaftlich steige die Produktivität um etwa ein Prozent pro Jahr. Langfristig sei also eine generelle Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Lohn möglich, ohne dass die Wirtschaftsleistung sinkt. »Ich bin absolut nicht gegen die Vier-Tage-Woche«, betont Bosch. Sie kann es zum Beispiel ermöglichen, dass Männer ihren Vollzeitjob verkürzen und Frauen ihre Teilzeitstelle aufstocken. »Es wäre aber eine Illusion anzunehmen, ein Großteil der Beschäftigten könne kurzfristig und problemlos in vier Tagen die gleiche Arbeit verrichten wie in fünf.«

Klar ist, dass viele Beschäftigten in Deutschland gern nur vier Tage pro Woche arbeiten würden. 81 Prozent der Vollzeitbeschäftigten wünschen sich dieses Modell, die meisten davon können sich das nur bei gleichem Lohn vorstellen, ergab etwa eine Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung im vorigen Jahr.

Arbeitgeberverbände lehnen das ab und fordern stattdessen längere Arbeitszeiten. Auch die Ampelkoalition will nun Mehrarbeit insbesondere von Vollzeitbeschäftigten steuerlich begünstigen. Zudem will sie es Unternehmen öfter ermöglichen, dass Beschäftigte mehr als acht Stunden am Tag arbeiten. Dabei sei hinlänglich bekannt, dass lange Arbeitszeiten zu mehr krankheitsbedingten Ausfällen und größerer Unfallgefahr führen, kritisiert die Soziologin Yvonne Lott von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Zudem könnten viele Frauen ihre Erwerbsarbeit gar nicht ausweiten. Und wenn Männer länger arbeiten, »bleibt ihnen noch weniger Zeit für Kinderbetreuung und Hausarbeit. Diese Ausfälle müssen in erster Linie ihre Partnerinnen auffangen«, so Lott. Die Politik sollte diese Pläne aufgeben, fordert sie.

Und sie hofft, dass die Pilotstudie zur Vier-Tage-Woche Unternehmen ermutigt, in die andere Richtung zu gehen und die Arbeitszeiten zu verkürzen. Dabei sollte es nicht darum gehen, die Arbeit zu intensivieren – das gehe auf Dauer ohnehin nicht gut, sagte Lott dem »nd«. Vielmehr könnte die Organisation der Arbeit verbessert werden.

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