»Pick me Girls«: Die Venus vom Schiffbauerdamm

Populärer Feminismus kann auch Theater: »Pick me Girls« von und mit Sophie Passmann am Berliner Ensemble

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 4 Min.
»Ich schaue mich ständig an und denke: Wie schade.«
»Ich schaue mich ständig an und denke: Wie schade.«

Der Soloabend erlebt auf den Bühnen gerade eine kleine Renaissance, worüber es im Einzelnen viel zu sagen und woran sicher auch einiges zu loben oder zu kritisieren wäre. Am wichtigsten und entscheidendsten an dieser Entwicklung ist aber oft etwas ganz Simples: Die oder der da oben auf der Bühne ist prominent.

Denn es interessiert sich ein Großteil des Publikums eben ganz simplerweise für alles, was so passiert, wenn es den, der spielt, sonst nur aus dem Fernsehen kennt. Weitere Personen würden diese Faszination nur stören. Am Berliner Ensemble zum Beispiel haben sie nun schon seit bald drei Jahren eine komplett uninspirierte Max-Frisch-Adaption im Programm, in der aber Matthias Brandt alle Rollen verkörpert, was ganz offenbar genügt.

Nun kommt ein weiterer Abend ins Repertoire, der, wenn der Terminkalender des Stars es denn hergibt, sicher für einige Dutzend ausverkaufte Vorstellungen sorgen wird. Das Premierenpublikum jedenfalls bejubelt Sophie Passmann euphorisch, Szenenapplaus und Standing Ovations inklusive.

Anders aber als bei Brandt muss man sagen: Sie hat es völlig verdient, denn die Show, die Passmann zusammen mit Regisseurin Christina Tscharyiski erarbeitet hat, ist einwandfreie und sowohl emotional als auch politisch durchaus anspruchsvolle Comedy. Passmann gehört seit einigen Jahren zu den erfolgreichsten jungen Frauen im Medienbetrieb, sie hatte reichweitenstarke Kolumnen, hat im Radio moderiert, war im Fernsehen und hat ein paar sehr erfolgreiche Bücher geschrieben.

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Bei vielem, was sie macht, geht es um feministische Themen. So auch in ihrem letzten Bestseller, in dem sie anhand biografischer Einblicke einen Typ Frau charakterisiert: eben jene »Pick me Girls«, die sich selbst aufwerten, indem sie ihre Geschlechtsgenossinnen abwerten. Warum tun sie das? Passmann zufolge aus dem Grund, dass sie aufgrund ihrer Sozialisation immer Männern gefallen wollen und ihre Aufmerksamkeit benötigen. Das Patriarchat ist also derart eingerichtet, dass nicht nur Männer, sondern auch Frauen abfällig über Weiblichkeit urteilen.

Passmann klärt mittels einer von ihr selbst bearbeiteten Version von »Pick me Girls« in einer Mischung aus Infotainment, kleinen Szenen und Beichten über das Thema auf. Vor einem Glitzervorhang und neben einer riesigen geöffneten Muschel, wie die Venus vom Schiffbauerdamm, berichtet sie vom Leben als Jugendliche mit Übergewicht, von ihrer Essstörung und ihren Selbstzweifeln. Sie erzählt die in ihrer Familie sehr beliebte Anekdote, wie sie schon bei ihrer Geburt zu dick für die Strampler im Krankenhaus war (»Riesenbaby! Es gab kein anderes Thema in der Stadt damals!«), und trägt Gemeinheiten vor, die ihre Exfreunde ihr antaten und die sie damals aber einfach schluckte und die Schuld bei sich suchte.

Hier wirkt dann manches ein bisschen klischiert: Die Frau ist das Opfer, will immer eine Beziehung und Nähe, während der Mann Abstand sucht und außerdem ein Arschloch ist. Macht aber nichts, weil Passmann auch in den simpleren Passagen noch weit vom Mario-Barth-Humor entfernt ist, vor allem aber, weil sie sich selbst am wenigsten schont. Vielmehr bietet sie sich als abschreckendes Beispiel an: Wenn sie die eigenen Fehlurteile über ihren Körper, die Männerwelt, vor allem aber andere Frauen herausstreicht und sich über sich selbst lustig macht, dann verfehlt das seine Wirkung nicht.

»Ich schaue mich ständig an und denke: Wie schade.« Passmanns Bühnen-Ego trauert der Frau hinterher, die sie nicht geworden ist, weil sie lieber an einer Version ihrer selbst gearbeitet hat, die besser bei Männern ankommt. »Voll die Verschwendung. Wie einsam«, seufzt sie da stellvertretend für das überwiegend weibliche Publikum, das es wenig später von den Sitzen reißen wird. Populärer Feminismus kann auch Theater, so zeigt sich an diesem eineinhalbstündigen Abend, den man durchaus in einem Atemzug mit jüngeren Hits des autofiktionalen Schauspiels wie »Wer hat meinen Vater umgebracht?« von und mit Édouard Louis oder »The Silence« von Falk Richter nennen darf.

Nächste Vorstellungen: 3., 20.11. und 1.12.
www.berliner-ensemble.de

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