Stark mit Pudel und Pussyhat

Wolfgang Ullrich denkt noch einmal über Kunstautonomie nach und weiß jetzt auch nicht mehr, was er von deren Ende halten soll.

  • Georg Leisten
  • Lesedauer: 4 Min.
Mal wieder Gegenstand der Auseinandersetzung: Jeff Koons' »Balloon Dog«
Mal wieder Gegenstand der Auseinandersetzung: Jeff Koons' »Balloon Dog«

Alle kennen ihn, aber nicht alle mögen ihn. Am »Balloon Dog« von Jeff Koons scheiden sich die kulturkritischen Geister. Wo die einen ihre platzpralle Freude an der chromglänzenden Perfektion des monumentalen Luftballonhündchens haben, sehen die anderen in dem aufgeblasenen Pudel hirnfreien Kitsch. Grund genug, dem prominentesten Vierbeiner der jüngeren Kunstgeschichte einmal das Fell zu bürsten und zu schauen, was sich darin verfangen hat. Den Job des Hundefriseurs übernimmt in diesem Fall Wolfgang Ullrich. Der Kunstwissenschaftler und ehemalige Professor der Karlsruher Hochschule für Gestaltung gilt als einer der prominentesten Bilderversteher der Republik, dessen publizistische Beiträge sich etablierten Deutungskategorien zuverlässig provokant in den Weg werfen. 

Zuletzt machte der gebürtige Münchner durch eine Liebe zum Banalen von sich reden. Darum dreht sich auch Ullrichs Buch »Identifikation und Empowerment«, in dem die Kommerzikone Koons eine zentrale Rolle spielt. Denn der US-Amerikaner »bietet den Menschen etwas als Kunst, das sie als Nicht-Kunst längst kennen und mögen«. In der sorglosen Jahrmarktswelt der Tierskulpturen findet man eigene Kindheitsmotive wieder (»Identifikation«). Gleichzeitig gibt die vertraute Maskottchenhaftigkeit der Arbeiten emotionale Stärkung beziehungsweise Rückendeckung (»Empowerment«). Es ist okay, verspielt zu sein.

Die Argumentation knüpft an die Streitschrift »Die Kunst nach dem Ende der Autonomie« aus dem Jahr 2022 an. Ullrich beobachtete darin eine Art Götterdämmerung. Jene zweckfreie Eigengesetzlichkeit des Schönen, die das 18. Jahrhundert als Grundwert ästhetischer Objekte festgeschrieben hat, beginnt zu bröckeln. Zeitgenössische Kunst öffnet ihre Grenzen. Einerseits zum Design (Takashi Murakami), andererseits zu politischem Aktivismus (wie bei Ai Weiwei oder dem »Zentrum für Politische Schönheit«). Nachtrauern wollte Ullrich der verlorenen Autonomie seinerzeit nicht. War ihm doch bewusst, wer die schillersch-kantschen Ideale gerade am lautesten verteidigt. Vulgärliberale und Neofaschisten, die sich ihre Hetzreden unter dem Verweis auf Kunstfreiheit nicht verbieten lassen wollen.

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Der aktuelle Band präsentiert sich nicht als Essay, sondern als Protokoll eines Podcasts, der Thesen aus dem »Autonomie«-Buch aufgreift. Wie postautonome Werke aussehen, ist weniger wichtig, als wie sie funktionieren. Auftrieb bekommen die nicht mehr freien Künste durch die sozialen Medien und deren Tendenz zur Blasenbildung. Im Falle von Koons löst die veränderte Aufmerksamkeitsökonomie interaktive Mechanismen aus, die an Fan Fiction aus Star-Trek- oder Harry-Potter-Kreisen erinnern. Da basteln Menschen zum Beispiel kleine Varianten des »Balloon Dogs« aus Trauben oder in Häkeloptik, um die Ergebnisse stolz auf Social Media zu posten. Den Abschied vom idealistischen Werkverständnis illustriert aber noch ein anderes Phänomen aus dem Bilderuniversum von Instagram und Co.: Kunstschaffende stellen ihre Arbeit in den Dienst politischer Bewegungen. Sei es im Kampf gegen die Klimakatastrophe, rassistische Gewalt oder soziale Ungleichheit. Ullrich verweist auf das feministische Empowerment durch den »Pussyhat«. Eine pinkfarbene Katzenohren-Mütze, die 2017 bei Protesten gegen sexistische Äußerungen Donald Trumps (»grab’em by the pussy«) zum Erkennungszeichen der Teilnehmenden wurde. Krista Suh und Jayna Zweiman, die Urheberinnen, vertrieben die Bastelanleitung frei zugänglich online.

Entwicklungen, die Ullrich einmal mehr gegen bildungsbürgerliches Dekadenz-Geraune verteidigt. Dabei entspringen seine Sympathien für das leicht Zugängliche unter anderem aus der soziologischen Beobachtung. Bekanntermaßen dient Hochkultur oft als reines Statussymbol, mit der sich die Konsumenten vom Massengeschmack absetzen. Die Jahreskarte fürs Museum ist der bessere Porsche. Ergänzend findet Ullrich ein paar nette Worte zum Sozialistischen Realismus, dessen Gemälde das visuelle Empowerment vorwegnehmen, indem sie Arbeitende nicht als Geknechtete, sondern als stolze, freie Menschen zeigen.

Dass das Ganze aus einem Audioformat entstanden ist, sorgt für knackige Formulierungen, die Argumentationsführung insgesamt leidet jedoch unter dem lockeren Gesprächsrahmen. Ohne Untergliederung stolpert man bald über diesen, bald über jenen neuen Aspekt, ohne dass der autonome Kunstbegriff seine semantische Glitschigkeit verliert. Bei zentralen Fragen wirkt Ullrich sogar ratloser als vor zwei Jahren. Der Strukturwandel vom interesselosen Wohlgefallen zu Kuschelkunst und Polit-Accessoire scheint dem Verfasser mittlerweile selbst nicht mehr geheuer.

Dass Kunst sich darauf beschränkt, der eigenen Bubble Mut zu machen, warnt der Autor, drohe in einen »Konservativismus problematischster Art« umzuschlagen, der sich in der eigenen Identität verschanze. Aus Identifikation wird Überidentifikation – und schließlich der kollektive Autismus einer digitalen Empörungskultur, die das demokratische System bereits spürbar untergraben hat. Konkrete Beispiele für dieses Abgleiten werden allerdings nicht genannt. Verständlicherweise schreckt Ullrich davor zurück, rechte Hass-Memes auf X oder Telegram als eine Form von Kunst zu bezeichnen. Offen bleibt aber noch etwas Grundsätzlicheres: Welche Bilder uns überhaupt aus dem Dilemma der Polarisierung heraushelfen können?

Wolfgang Ullrich: Identifikation und Empowerment. Kunst für den Ernst des Lebens. Wagenbach, 225 S., br., 24 €.

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