- Kommentare
- Sondierungen
Thüringen: Fahrlässiges Experiment
Wolfgang Hübner über die Sondierungen für eine Thüringer Regierung
Die Sondierungen in Thüringen zwischen CDU, BSW und SPD sind abgeschlossen, die drei Parteien wollen in Koalitionsverhandlungen eintreten. Doch so klar, wie dieser Satz klingt, ist die Lage nicht. Denn die Forderungen der Wagenknecht-Partei nach außenpolitischen Bekenntnissen für diplomatische Bemühungen im Ukraine-Konflikt und gegen die Stationierung von US-Raketen in Deutschland sorgen weiter für Turbulenzen. Kaum hatten sich alle drei Parteien am Freitag auf ein Sondierungspapier geeinigt, machte die Thüringer BSW-Fraktion einen halben Rückzieher.
Das ist natürlich eine Misstrauenserklärung gegenüber der eigenen Verhandlungsgruppe rund um die beiden Landesvorsitzenden, wenngleich die es anders darstellen. Und man darf davon ausgehen, dass auch die Berliner BSW-Zentrale dazwischengefunkt hat. Was zeigt, unter welchem Druck die Regierungsbildung in Thüringen – und nicht nur dort – steht.
Das größere Problem ist aber ein anderes. Offenbar auf Drängen der CDU wollen die potenziellen Koalitionspartner, die nur 44 Stimmen im Landtag und damit keine Mehrheit haben, nicht mit der Linken über irgendeine Form der Kooperation sprechen. Stattdessen hat man sich ein fahrlässiges Experiment ausgedacht: Die künftige Regierung ohne Mehrheit will jedes Projekt vorab von AfD einerseits und Linkspartei andererseits bewerten lassen. Und dann lässt man es drauf ankommen, ob sich irgendeine Mehrheit findet.
Wenn sich das durchsetzt, erhält die AfD ausgerechnet im Höcke-Land mehr Einfluss als je zuvor. Denn von ihrem Wohlwollen werden Regierungsvorhaben abhängig. Die Linke indessen stünde in der Gefahr, von der Regierung gegen die AfD ausgespielt und als Verfügungsmasse benutzt zu werden. Dieses absurde Szenario ist erstens das Ergebnis des CDU-Unvereinbarkeitsbeschlusses gegenüber der Linken. Und zweitens des Wunsches von Thüringens CDU-Frontmann Mario Voigt, eine eigene Mehrheit zu simulieren, die es nicht gibt. Man nennt das auch Realitätsverweigerung.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!