- Politik
- Anteil von Frauen in der Kommunalpolitik
Rechtsruck als Hemmnis und Ermutigung
Beim Anteil von Frauen in der Kommunalpolitik bleibt Sachsen das bundesweite Schlusslicht
Die Stadträtin hatte um etwas mehr Ruhe im Ratssaal gebeten. Die Bitte trug ihr eine üble Beleidigung ein. Zudem drehte sich ein vor ihr sitzender Abgeordneter um und fuhr sie an: »Du hast gar nichts zu sagen!« Die Szene trug sich im Stadtrat einer größeren Stadt in Sachsen zu. Geschildert wird sie in einer jetzt vorgelegten Studie, die sich mit dem Engagement von Frauen in der Kommunalpolitik des Freistaats befasst und, kurz gesagt, zu dem Schluss kommt: Was da zu bohren ist, bleibt trotz marginaler Fortschritte ein sehr, sehr dickes Brett.
Fortschritte gibt es durchaus. Seit der Kommunalwahl im Juni beträgt der Anteil von Frauen unter den Abgeordneten der Stadt- und Gemeinderäte 22 Prozent; in der vorangegangenen Wahlperiode hatte er bei 20 Prozent gelegen. In den zehn Kreistagen liegt er bei 19 Prozent, zwei Punkte mehr als bisher. Allerdings bleibe der Freistaat damit Schlusslicht in Deutschland, sagt Kathrin Mahler Walther von der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft (EAF), die von Sachsens Gleichstellungsministerium mit der Studie beauftragt wurde. Bundesweit sind 30,3 Prozent der ehrenamtlichen Kommunalpolitiker Frauen. In Sachsen werden auch nur 12 Prozent der Rathäuser und kein einziges Landratsamt von einer Frau geleitet.
Die Gründe dafür, dass es weniger Frauen als Männer in die kommunale Politik zieht, sind altbekannt. Lange, abendliche Sitzungen lassen sich schwer mit dem Familienleben vereinbaren, an dessen Organisation Frauen wegen tradierter Rollenmuster noch immer einen größeren Anteil haben. Die geringe Aufwandsentschädigung für das Ehrenamt wird zwar von kaum einer der für die Studie befragten Politikerinnen beklagt. Objektiv sei sie aber »eines der zentralen Hemmnisse« etwa für Alleinerziehende oder Frauen in schlechter bezahlten Jobs, erklären die EAF-Forscherinnen. Etlichen stelle sich die Frage, »ob sie sich das Mandat leisten können«.
»Etlichen Frauen stellt sich die Frage, ob sie sich das Mandat leisten können.«
Kathrin Mahler Walther Forscherin EAF Berlin
Auch abwertende und sexistische Äußerungen sind Alltag in kommunalen Parlamenten; fast alle Befragten berichteten davon, heißt es in der Studie. Das verlange Frauen »zusätzliche Energie für die Selbstbehauptung« ab, sagt Mahler Walther. Als größte Barriere für politisches Engagement rückten derzeit aber der gesellschaftliche Rechtsruck und die Verrohung der Umgangsformen in den Vordergrund, fügt sie hinzu. Viele Engagierte berichteten von einem »Klima der Angst«, auch über die Ratsarbeit hinaus. Gleichzeitig, betont die Forscherin, fühlten sich nicht wenige Frauen von dieser Entwicklung zu verstärktem demokratischen Engagement angestachelt: »Sie sagen sich: Jetzt erst recht!«
Die Studie empfiehlt etliche Maßnahmen, darunter die Ermutigung und Vernetzung von Frauen, die sich bereits gesellschaftlich engagieren. Entsprechende Programme habe es in Sachsen zuletzt bereits gegeben, sagt Gleichstellungsministerin Katja Meier (Grüne), die darauf den, wenn auch bescheidenen, jüngsten Zuwachs bei der Zahl der Mandatsträgerinnen zurückführt. Die künftige Landesregierung solle daran anknüpfen und weitere Maßnahmen einleiten. So könnte es wie jetzt bereits in Nordrhein-Westfalen eine landesweit einheitliche Regelung zu den Aufwandsentschädigungen geben. EAF-Forscherin Mahler Walther drängt zudem auf »verlässliche Schutzstrukturen«, die juristischen und psychologischen Beistand bieten, wenn Kommunalpolitikerinnen bedroht werden.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.