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Senegals Präsident will Systemwechsel
Der Panafrikanist Bassirou Diomaye Faye geht für seinen Neuanfang mit vorgezogenen Parlamentswahlen aufs Ganze
Die Parlamentswahl am 17. November könnte über das Schicksal der noch jungen Regierung Senegals entscheiden. Mit Bassirou Diomaye Faye hat das Land erst Ende März einen neuen Präsidenten gewählt, der sich als Kandidat der Partei Pastef (Afrikanische Patrioten Senegals für Arbeit, Ethik und Brüderlichkeit) mit knapp 55 Prozent der gültigen Stimmen sensationell bereits im ersten Wahlgang durchsetzen konnte. Bei der nun anstehenden Wahl wird sich entscheiden, ob die neue Regierung auch über den nötigen Rückhalt im Parlament verfügt, um ihr Programm durchzusetzen, auf dem ihre Unterstützung in der Bevölkerung beruht. Dessen Kernpunkte sind die Demokratisierung der Gesellschaft sowie das Vorhaben, neokoloniale Abhängigkeiten zu verringern, das heißt eine stärkere wirtschaftliche und politische Souveränität zu erlangen.
Dass Diomaye Faye die Wahl im März gewann, hatte vor allem drei Gründe. Zum einen konnte der designierte Kandidat von Pastef, der charismatische Oppositionsführer Ousmane Sonko, aufgrund eines umstrittenen strafrechtlichen Urteils nicht selbst antreten. Zum anderen durfte der bisherige Präsident, Macky Sall, nach zwölf Jahren im Amt nicht erneut kandidieren, und sein designierter Nachfolger, Amadou Ba, blieb im Wahlkampf blass. Drittens schließlich konnte Faye die politische Mitte gewinnen, die auf einen Machtwechsel setzte.
Wiedergeburt der Demokratie
Die Entwicklung der vergangenen Jahre hat eindringlich bestätigt, dass viele Menschen im frankofonen Westafrika des neokolonialen Einflusses überdrüssig sind. Das belegt der Erfolg der Militärregierungen in Mali, Burkina Faso und Niger, die die vor allem gegen Frankreich gerichtete Stimmung ausnutzen, indem sie »antiimperialistisch« auftreten und auf diese Weise Unterstützung in der Bevölkerung mobilisieren.
Dass die Bevölkerung Westafrikas die bestehenden Zustände ablehnt, kann nicht überraschen. Denn ihre Länder stellen der globalen Wirtschaft billig Rohstoffe zur Verfügung und dienen gleichzeitig als Absatzmarkt für ausländische Produkte. Die leeren Staatskassen führen dazu, dass die soziale Infrastruktur zerfällt, Investitionen unterbleiben und Lebensperspektiven zunichtegemacht werden.
Gegen diesen Teufelskreis aus fortgesetzter Ausbeutung und Unterentwicklung wendet sich die neue senegalesische Regierung. Ganz oben auf ihrer Prioritätenliste steht eine institutionelle Reform, die mehr Demokratie ermöglichen und die Unabhängigkeit der Justiz stärken soll. Darüber hinaus will man die Macht des Präsidenten durch die Einführung des Vizepräsidentenamts begrenzen. Auch die Anhäufung verschiedener Wahlämter durch einzelne Personen – im Senegal waren Minister*innen bislang oftmals gleichzeitig Bürgermeister*innen der wichtigen Städte – soll beendet werden.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung unterhält mehr als zwei Dutzend Auslandsbüros auf allen Kontinenten. Im Rahmen eines Kooperationsprojektes mit »nd« berichten an dieser Stelle regelmäßig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über Entwicklungen in den verschiedensten Regionen. Alle Texte auf: dasnd.de/rls
Das Aufbegehren gegen neokoloniale Abhängigkeiten und der wiedererstarkte Wille zur Selbstbestimmung werden als »Neosouveränismus« bezeichnet. Für die neue Regierungspartei Pastef bedeutet dieser Begriff in erster Linie eine wirtschaftspolitische Neuorientierung. Ihre Regierung ist die erste in Westafrika, die den Kampf gegen den Neokolonialismus nicht nur – wie die Militärregime in den Nachbarländern – populistisch, sondern mit einem detailliert ausgearbeiteten und öffentlich vorgestellten Programm verfolgt und für ebendiesen Kurs demokratisch gewählt wurde. Das ist bemerkenswert, denn die Aushöhlung der Demokratie hat eine lange Tradition in Westafrika, wo die politische Klasse, die in den 1990er Jahren für die Demokratie kämpfte, nach ihrem Machtantritt die Institutionen kaperte und die Jugend von Mitbestimmung und Teilhabe ausschloss. Solange Wahlen lediglich den Verbleib dieser Klasse an den Schalthebeln der Macht bedeuteten und mehr Selbstbestimmung mit demokratischen Mitteln nicht erreichbar schien, blieb auch die Demokratie unpopulär. Die neue senegalesische Regierung markiert nun einen Neuanfang.
Neue Landwirtschaftspolitik
Unter der Rolle als Rohstofflieferant leidet insbesondere die vor subventionierten Importen ungeschützte Landwirtschaft. Die senegalesische Regierung will die Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten verringern. Das ist keine leichte Aufgabe angesichts der Tatsache, dass der Senegal aufgrund des Klimawandels bereits heute von Extremwetterereignissen betroffen ist, die Küstenerosion, Versalzung der Böden und verspätete, zu geringe oder zu starke Regenfälle verursachen. Das führt zu einer Verknappung von fruchtbarem Land und Ernteausfällen – und damit zu einer weiter steigenden Abhängigkeit von Lebensmittelimporten. Mit der Reduzierung der Preise für Saatgut und Düngemittel sowie einer gerechteren Verteilung zugunsten der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern hat die neue Regierung erste Maßnahmen ergriffen, um die Importabhängigkeit in Sachen Ernährung zu verringern.
Um diese Abhängigkeit zu reduzieren, braucht es, neben Reformen in der Landwirtschaft, auch bessere Bedingungen für die einheimischen Fischer. Die Pastef-Regierung will deshalb die Fischereiabkommen neu verhandeln. Denn die reichen Fischgründe vor der Küste Senegals werden derzeit durch riesige Trawler aus Europa und China leergefischt. Die Überfischung durch den industriellen Fischfang hat viele Menschen ihres gesicherten Einkommens beraubt. Zwar gibt es lediglich rund 68 000 handwerkliche Fischer, doch in der Weiterverarbeitung, im Transport und in der Produktion von Weidekörben und anderen Aufbewahrungsbehältnissen sind weitere Hunderttausende Menschen – vor allem Frauen – beschäftigt. Hinzu kommen eine soziale und eine kulturelle Dimension: So gibt es in den Fischereigemeinschaften ein eigenes Altersrentensystem, und die Identifikation der Einheimischen mit dieser jahrhundertealten Tradition ist hoch. All dies bricht unter dem Ansturm der Trawler zusammen. Im Ergebnis treten viele Fischer, die ihre Familien nicht mehr ernähren können, die risikoreiche Flucht nach Europa an. Eine Neuverhandlung der Fischereilizenzen könnte dazu beitragen, die heimischen Fischereigemeinschaften und die Erwerbstätigen in diesem Sektor zu schützen.
Risiken des Populismus
Diomaye Faye steht in der Nationalversammlung bislang einer Mehrheit von Abgeordneten gegenüber, die der Vorgängerregierung nahestehen. Ohne eigene Parlamentsmehrheit sind viele Vorhaben der Pastef nicht umsetzbar. Daher war von Anfang an klar, dass der neue Präsident das Parlament auflösen und Neuwahlen anstreben würde, um eine eigene Mehrheit zu gewinnen.
In den ersten Monaten ihrer Amtszeit hat die neue Regierung deshalb einige populäre Maßnahmen umgesetzt, darunter die Senkung der Preise für Grundnahrungsmittel und die Einleitung von Audits im öffentlichen Sektor. Diese Maßnahmen sind beliebt, lassen jedoch noch kein konsistentes wirtschafts- und sozialpolitisches Konzept erkennen. Und die durch den neosouveränen Diskurs der Pastef geweckten Hoffnungen auf eine Politik, die die heimische Industrie stärkt und die Importabhängigkeit reduziert, werden nicht leicht zu erfüllen sein.
Die insbesondere vom neuen Ministerpräsidenten, Ousmane Sonko, vertretene populistische Politik birgt mit Blick auf die anstehende Wahl zur Nationalversammlung durchaus Risiken. Sonko betont, er wolle ein vermeintlich originäres senegalesisches Wertesystem gegen »westliche Werte« verteidigen. Wenn er seine Gegnerschaft zum umstrittenen Schleierverbot an einer der besten katholischen Schulen Dakars zu einem zentralen Thema seines Diskurses macht und gegen die rechtliche Gleichstellung lesbischer, schwuler und anderer queerer Menschen wettert, ist ihm zwar der Beifall des studentischen Publikums an der Dakarer Universität sicher. Zugleich könnte dieser populistische »Kulturkampf« jedoch dringend benötigte Wechselwähler*innen abschrecken.
Ein weiteres Risiko liegt darin, dass der wiederkehrende Hinweis darauf, die Vorgängerregierung habe das Land hoch verschuldet, inzwischen als Ausrede wahrgenommen wird. Es trifft zwar zu, dass Macky Sall auf Pump regiert und die »alte« Parlamentsmehrheit alles dafür getan hat, effizientes Regierungshandeln unter Faye zu erschweren. Die Polemik gegen Sall kann aber nicht kaschieren, dass die neue Regierung ihre angekündigte wirtschaftspolitische Wende bislang nicht eingeleitet hat.
Das dritte Risiko mit Blick auf die anstehende Wahl (und darüber hinaus) ist, dass die vergangenen Monate Zweifel an Sonkos Respekt vor den demokratischen Institutionen gesät haben. Diomaye Faye wurde im März nicht zuletzt deshalb zum Präsidenten gewählt, weil viele Wähler*innen sich über den zunehmenden Autoritarismus und den Abbau der Meinungsfreiheit sorgten, die vor allem in der zweiten Amtsperiode Macky Salls zu beobachten waren. Umso mehr stößt ihnen auf, dass unlängst auch die neue Regierung mehrere Journalisten verhaften ließ. Eine Entwicklung wie in Tunesien oder Tansania, wo anfangs populäre und mit einer Antikorruptionsagenda erfolgreiche Präsidenten zunehmend autoritär und repressiv regieren, wird in der senegalesischen Bevölkerung, die ihre im afrikanischen Vergleich stabile Demokratie und Meinungsfreiheit verteidigen möchte, großenteils abgelehnt.
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»Modell Senegal«?
Die Regierungspartei zielt mit der Neuwahl auf eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht; schließlich wäre es ein Novum für den Senegal, wenn der Präsident nach der Parlamentswahl keine eigene Regierungsmehrheit besäße.
Um eine Pastef-Alleinregierung zu verhindern, schmiedet die Opposition indes neue Bündnisse. Macky Sall hat sich mit seinem alten Feind Karim Wade verbündet und die Allianz Takku Wallu Senegal gebildet. Sonkos ehemalige Partner um den populären Bürgermeister Dakars, Barthélemy Dias, mit denen es vor der Präsidentschaftswahl zum Bruch kam, haben sich als Samm Sa Senegal zusammengetan. Die Oppositionsparteien wollen den Präsidenten in eine Cohabitation nach französischem Vorbild zwingen, bei der sie selbst den Premierminister stellen und so Faye mit seiner Agenda ausbremsen. Daraus erwächst aber auch die Gefahr einer gegenseitigen Blockade, die zu einer langfristigen politischen Krise führen könnte. Sollte hingegen Pastef die absolute Mehrheit erringen, würde dies der Regierung den notwendigen Spielraum geben, ihr Programm der »endogenen und souveränen Entwicklung« umzusetzen. Dann könnte es dazu kommen, dass sie tatsächlich die neokolonialen Abhängigkeiten des Landes ab- und die Demokratie ausbaut. Sollte dies gelingen, könnte das senegalesische Modell – bei all den skizzierten Widersprüchlichkeiten – zum Vorbild für andere Länder in der Region werden.
Claus-Dieter König leitet das Regionalbüro Westafrika der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Senegals Hauptstadt Dakar
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