Nordkoreas riskante Manöver im Ukraine-Krieg

Pjöngjang wird durch den Beistandspakt mit Russland tiefer in den Ukraine-Krieg gezogen

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 5 Min.
Allzeit einsatzbereit: Nordkoreas Präsident Kim Jong-un inmitten von Soldaten bei einer Truppeninspektion am 4. Oktober
Allzeit einsatzbereit: Nordkoreas Präsident Kim Jong-un inmitten von Soldaten bei einer Truppeninspektion am 4. Oktober

Aussage gegen Aussage. Das ist bei den beiden koreanischen Staaten nicht selten. Die von Südkorea erhobenen Anschuldigungen zielten darauf ab, dem Ansehen der Demokratischen Volksrepublik zu schaden, sagte der Vertreter Nordkoreas in einem Ausschuss der Uno-Generalversammlung in New York. Auch Russland hat die Berichte nicht bestätigt. Nach Erkenntnissen des südkoreanischen Geheimdienstes entsandte Nordkorea jedoch bereits rund 1500 seiner Soldaten in die von Russland besetzten ukrainischen Gebiete. Der US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, Robert Wood, sagte, sollten die Berichte zutreffen, wäre dies eine gefährliche und äußerst besorgniserregende Entwicklung.

Was der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vergangene Woche behauptete, will der südkoreanische Geheimdienst NIS bewiesen haben: Nordkorea unterstütze den Angriff Russlands auf die Ukraine offenbar auf direkte Weise. Mithilfe von Satellitenbildern sieht es der NIS als erwiesen an, dass 12 000 Soldaten aus Nordkorea nach Russland gebracht werden und 1 500 Soldaten bereits nach Wladiwostok gelangt sind – um dann an der Seite Russlands in der Ukraine zu kämpfen.

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Beistandsabkommen zwischen Russland und Nordkorea

Schnell fragt man sich: Warum sollte Nordkoreas Regierung auch nur einen einzigen Soldaten ins Ausland schicken? Wäre diese Hilfsbereitschaft gegenüber Russland nicht geradezu selbstmörderisch? US-Schätzungen zufolge hat der Krieg auf russischer Seite bereits zu 600 000 Toten, Verletzten oder Vermissten geführt. Auch unter Nordkoreas Soldaten würde es wohl zu hohen Opferzahlen kommen. Warum sollte sich der nordostasiatische Staat so eine Beteiligung antun?

Ein Hintergrund hierzu ist das im vergangenen Sommer abgeschlossene Abkommen zwischen Russland und Nordkorea, das besagt, beide Staaten würden sich gegenseitig zu Hilfe kommen, sobald einer von ihnen angegriffen wird. Indem ukrainische Soldaten vor einigen Monaten begannen, auch auf russisches Staatsterritorium vorzudringen, könnte man diesen Fall als gegeben ansehen. Russlands Präsident Putin bezeichnete die ukrainische Offensive als »große Provokation« und »rücksichtsloses Feuern.«

Wenn nun Nordkoreas Kim Jong-un seine Truppen nach Russland schickt, stützt er das von Russland gezeichnete Bild, die Ukraine und nicht Russland sei der Aggressor in diesem Krieg. Hinzu kommt, dass Nordkorea wohl bei Russland in der Schuld steht. Von Munitionsexporten dürfte der insgesamt arme Staat ebenso profitieren wie vom Know-how, das Nordkorea von Russland für sein Satelliten-, womöglich auch für sein Atomwaffenprogramm erhält.

Die Annäherung zwischen Russland und Nordkorea ist eine Folge des neuerlichen Angriffs Russlands auf die Ukraine. Seit große Teile der internationalen Gemeinschaft für harte Sanktionen gegen Russland gestimmt haben, haben die Regierungen in Pjöngjang und Moskau – die schon im Kalten Krieg über weite Strecken eng zusammenarbeiteten – eine Gemeinsamkeit: Beide sind mit harten Sanktionen belegt, beide sehen im liberalen Gesellschaftsmodell und in den westlichen Staaten ein Feindbild.

Zudem hatte Kim Jong-un drei Jahre zuvor – als Verhandlungen mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump über eine Lockerung der UN-Sanktionen gescheitert waren – eine Verständigung mit dem Westen sowie dem verfeindeten Südkorea aufgegeben. Eine Annäherung an Russland bot sich daher an. »Neben Belarus dürfte Nordkorea nun jener Staat sein, der Russland politisch am nächsten ist«, bewertet Vladimir Tikhonov, Professor für Korea-Studien an der Universität Oslo.

Südkorea ist ein »feindlicher Staat«

Dabei wirkt der Umstand, dass Russland Krieg führt, nicht nur als Sicherheitsrisiko für Nordkorea, sondern ist auf eine Weise auch ein günstiger Zustand. Das nordkoreanische Regime verdankt seine politische Legitimität nicht zuletzt dem Ausnahmezustand, in dem sich die Nation offiziell wähnt: Man sieht sich durch Südkorea – mit dem man seit Ausbruch des dreijährigen Koreakrieges ab 1950 im Kriegszustand verharrt – sowie die in Südkorea militärisch stark positionierten USA akut bedroht.

Dieses von den Staatsmedien des Ein-Parteien-Staates geprägte Narrativ dient wiederum als Rechtfertigung dafür, dass Nordkorea zwar ein Atomwaffenprogramm verfolgt, zugleich aber nicht die akute Unterernährung im Land verhindern kann. Wenn man nun den strategischen Partner Russland unterstützen muss, unterstreicht dies den Ausnahmezustand. Edward Howell, Nordkorea-Experte an der Universität Oxford, sagt: »Nordkoreas Aktionen sollen die Bereitschaft für einen Konflikt signalisieren.«

Mit einer Verfassungsänderung hat Nordkorea seinen Nachbarn im Süden gerade erst als »feindlichen Staat« bezeichnet. Jahrzehntealte Bemühungen, eine Wiedervereinigung zu erreichen, hat Kim Jong-un über Bord geworfen. Der Norden schickt nicht nur seit Monaten Müllballons über die Grenze. Vergangene Woche wurde auch damit begonnen, Straßen zu sprengen, die bei geöffneter Grenze in den Süden führen könnten.

Im Süden wiederum ist mit Yoon Suk-yeol ein konservativer Populist im Amt, der sich ebenfalls kaum in Entspannung übt. Koreanistik-Professor Vladimir Tikhonov bezeichnet Yoon und sein Kabinett als »amateurhaft.« Kim Jong-un und Yoon Suk-yeol seien insofern eine »explosive Mischung.« Und diese Mischung kann auch an – oder in – der Ukraine explodieren. Südkorea unterstützt im Konflikt nämlich die Ukraine, bisher allerdings ohne tödliche Waffen, sondern nur in Form humanitärer Hilfe.

Für den Fall, dass Russland Nordkorea mit zentraler Technologie für Atomwaffen unterstützt, hat Südkoreas Regierung aber angekündigt, ihre Form der Unterstützung für die Ukraine neu zu überdenken. Und wenn nun nordkoreanische Soldaten in der Ukraine für Russland kämpfen, steigt zugleich die Wahrscheinlichkeit, dass Russland als Gegenleistung weitere Unterstützung an Nordkorea leistet. So kann sich der Ukraine-Krieg noch auf weitere Länder ausweiten, falls niemand einen Schritt zurückgeht.

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