Linke in Brandenburg: Nicht gefüllte Lücke

Gastbeitrag: Die Selbstvernichtung des Landesverbands Brandenburg seit dem Jahr 2009

  • Sven Kindervater
  • Lesedauer: 7 Min.
Niederlage erwartet und doch Entsetzen bei der Wahlparty der Linken am 22. September
Niederlage erwartet und doch Entsetzen bei der Wahlparty der Linken am 22. September

Schlechte Wahlergebnisse sind der Zeitpunkt, zu dem all diejenigen hervorkriechen, die es schon immer besser wussten. Das Ergebnis der Linken bei der Brandenburger Landtagswahl am 22. September war aber nicht einfach nur schlecht. Es war ein Zusammenbruch, der sich nur durch kollektives Versagen erklären lässt – den Autor dieses Textes ausdrücklich eingeschlossen. Auch das Schimpfen auf böse Kräfte außerhalb nützt da nichts: Keine Strategie des Ministerpräsidenten Dietmar Woidke (SPD), keine neue Partei BSW, kein Social Media der AfD machen einen einst mit 28 Prozent stolzen Landesverband zu einem Nichts von knapp 3 Prozent.

Hier hat nicht eine Gruppe, eine Strategie oder eine Ausrichtung versagt. Hier wurden von allen Seiten die Lichter ausgemacht. Auf dem Landesparteitag im Juni in Eberswalde gab es nur wenige, die schon wahrnehmen wollten: Das könnte knapp werden. Als es dann über den Sommer allen bewusst wurde, war kein Aufraffen, kein Kämpfen, kein Mobilisieren zu spüren. In Eberswalde hieß es noch: Wie gut, dass es Die Linke gebe. Sie werde gebraucht. Wer braucht sie denn in Brandenburg 2024?

Nach der Landtagswahl 2009 mit 27,2 Prozent der Stimmen trat die Partei in eine rot-rote Koalition ein. Sie wollte unbedingt regieren und war bereit, Kompromisse einzugehen. Das muss jeder Koalitionspartner tun. Die Linke aber wollte alles zum Erfolg verklären. Es ging die Angst um, eine schlechte Entscheidung könnte schlecht bewertet werden, also erklärte man sie einfach für gut. Das eigene Profil, dessen Verlust schon 2014 mit einem Abgang von einem Drittel der Wähler*innen attestiert wurde, war von Anfang an untergraben.

Die zu diesem Zeitpunkt hoch motivierte und lebendige Landespartei musste erleben, wie Regionalkonferenzen dazu dienten, dass eine Fraktionschefin und vier Minister*innen je eine halbe Stunde referierten. Weil die Zeitungen so viel falsch berichten würden, wolle man die Genoss*innen informieren, damit die am Infostand die Bürger*innen aufklären könnten. Als Genoss*innen lieber inhaltlich diskutieren wollten, traf dies erst auf Verwunderung und dann auf Wut.

Zentrale Wahlkampfversprechen wie kein Personalabbau im öffentlichen Dienst und Ausstieg aus der Braunkohle wurden nicht nur über Bord geworfen. Man versuchte der Partei nun einzureden, dies habe alles schon seine Richtigkeit. Um regieren zu können, war eine aktive Mitgliedschaft schlichtweg nicht erwünscht. So hat der Landesverband keinen Druck auf die SPD aufbauen können. Es herrschte die Vorstellung, dass Basisgruppen Außenvertriebler für Regierungshandeln seien. Und bloß nicht die SPD verstimmen, sonst rennt die gleich zur CDU. Es machte deshalb für viele Wähler*innen fast gar keinen Unterschied mehr, wer Juniorpartner war. Bis heute hat sich der Landesverband davon nicht erholt. Bis heute gab es keine Aufarbeitung, nicht mal nach 2019 in der Opposition, als bei der Landtagswahl mittlerweile zwei Drittel der Wähler*innen verloren waren.

Nun gab es in den vergangenen Tagen bereits einige Analysen von ehemaligen Spitzen der Landespartei, die mitunter gleich wieder gelöscht wurden, als es dafür nicht nur Applaus gab. Da wurde attestiert, es habe Mängel in der Social-Media-Kompetenz gegeben. Es sei wohl zu viel auf gute Beziehungen zu Gewerkschaften und Bewegungen vertraut worden. Die Verwurzelung in der Fläche sei abhandengekommen.

Das Problem im Landesverband bestand aber nicht darin, dass diese Kompetenzen nicht vorhanden waren – sie wurden jahrzehntelang bekämpft. Schon 2009 merkten Mitglieder, dass sich die Partei neu erfinden müsste. Nicht nur hatten sich die Zeiten dank Facebook und Co. verändert, es brauchte ein neues Verhältnis von Fraktion, Regierung und Partei. Eine Kommission Parteireform wurde auf den Weg gebracht. Von Anfang an wurde aber auch hier alles darauf ausgerichtet, an Strukturen, Diskussionskultur und Öffentlichkeitsarbeit nichts ändern zu müssen. Auch hier wollten die Regierungsvertreter*innen keine Störgeräusche. Hunderte Talente und Sympathisant*innen kehrten der Partei den Rücken, wanderten ab in andere Parteien, in andere Tätigkeiten oder einfach ins Privatleben.

Die Landesliste zur Wahl 2024 war die Wiederholung der Liste von 2019. An der Spitze standen ausschließlich Mitglieder, die bereits vor 2009 eingetreten waren. Kein anderer Landesverband der Linken vermochte es derart, politischen Nachwuchs zu verhindern. Stets hatte man das Gefühl: Die Partei hat eher zu viele Aktive, da könne man ruhig ein paar permanent ausgrenzen. Gründe fanden sich immer. Verglichen mit 1990 verlor der Landesverband bis heute über 75 Prozent an Mitgliedern.

Es herrschte die Vorstellung, dass Basisgruppen Außenvertriebler für Regierungshandeln seien.

Das Jahr 2009 zeichnete sich dadurch aus, dass Brandenburgs Linke ein von vielen Seiten beachtetes Leitbild herausbrachte. Dass die Mitglieder damals hoch motiviert und gut aufgestellt für inhaltliche Debatten waren, lag auch am Leitbildprozess. Das machte die Stärke des Leitbilds aus. Damals ging die SPD davon aus, dass die Bevölkerung schrumpfen werde. Das mündete in einem Konzept, das die SPD »Stärken stärken« betitelte und das für den Großteil des Flächenlandes bedeutete: Schwächen schwächen. Von den rund 400 Kommunen sollten nur die wenigsten gefördert werden.

Die Linke wollte da nicht mitgehen. Doch sie gab ihren Widerstand binnen Wochen auf. Der Landesverband fand zu inhaltlicher Stärke nie wieder zurück. Daher ist es befremdlich, dass einige nun meinen, man habe sich 2024 zu sehr davon blenden lassen, dass man in der Opposition wieder eine starke Nähe zu Gewerkschaften und Bewegungen habe aufbauen können. Von welcher Nähe wird hier gesprochen?

Wenn ich von Pflegekräften freundlich bei einer Stippvisite als Abgeordneter empfangen werde, wenn es ein nettes Gespräch mit viel Übereinstimmung gibt und man sich bei der Abfahrt lieb zuwinkt, dann ist das keine Aussage darüber, ob man irgendwo verankert ist. Eine echte Verankerung in Gewerkschaften, in Bewegungen, in lokalen Bündnissen, die macht sich anders bemerkbar. Da finden Demonstrationen statt, deren Forderungen sich dann im Wahlkampf wiederfinden. Da gibt es Eintritte in die Partei. Da finden sich neue Köpfe auf Landeslisten, in Vorständen und bei Direktmandaten wieder. Nichts davon war 2024 bei der Linken Brandenburg zu finden. Vielmehr gilt: Der Pflegekraft gut gemeint von oben herab zu sagen, bei uns bekäme sie etwas mehr Geld, gibt ihr nicht das Gefühl, dass wir ernsthaft ihren Alltag verstehen und die Kraft an ihrer Seite sind. Sie mag uns dann vielleicht sogar noch wählen, aber dem Nachbar sagt sie nicht Bescheid.

Mittlerweile ist klar, dass Brandenburg doch eher wächst, vor allem im Speckgürtel um Berlin. Generell platzt die Hauptstadt mit steigenden Mieten aus allen Nähten. Fast ein Drittel der Berliner kann sich vorstellen, deshalb wegzuziehen. Darauf vermochte die Partei keine Antwort zu finden. Das Wahlprogramm las sich, als hätte jemand 2009 eine Käseglocke über Land und Partei gestülpt. Doch eine Partei aus dem progressiven Milieu, die Fortschritt als etwas Feindliches abwehrt, hat ausgedient. Dafür stehen AfD und BSW. Die Linke schaffte es gerade noch, ihre Schlager der gerechten Löhne und Renten zu trällern.

Der Wahlkampf 2024 zeigte dann bereits, in welchem Endstadium die Partei verhaftete. Personenplakate, bei denen hinter vorgehaltener Hand von Sabotage gesprochen wurde. Hüpfburg-Veranstaltungen, von der Landesebene angeboten, vor Ort lieber abgelehnt, um sich nicht zu blamieren. Verwirrende Falschaussagen zu Grundlagen der Werbung etwa auf Instagram. Direktkandidierenden vergessen Bescheid zu geben, wenn Politprominenz wie Gregor Gysi vor Ort war. Insgesamt: Kleinigkeiten, die dennoch Ausdruck dafür sind, dass es an Grundlagen fehlt.

Wann immer man offen über Probleme mit den Spitzen des Landesverbands reden wollte, folgte oftmals ein einziges Jammern. Viel wird gezetert, jetzt fehle den Schwachen und Kranken die helfende Hand. Doch mit Verlaub: Diese Lücke hatte die Partei nie gefüllt, nicht in der Opposition und nicht in der Regierung. Und ansonsten: Man selbst wisse das ja auch alles. Man könne sich auch nicht durchsetzen, niemand höre auf einen. Da fragt man sich doch: Wer sind denn diese anderen? Wer ist denn dieser Landesverband, wenn die gesamte Spitze permanent über sich selbst schimpft?

Ukraine-Krieg, BSW, Asyldebatte – das macht es schwer für eine progressive Partei. Damit sind zugegeben selbst 10 Prozent kein Selbstläufer. Ein derartiger Absturz kann und darf aber nicht länger durch äußere Umstände erklärt werden.

Sven Kindervater war seit 2004 Mitglied der Brandenburger Linken und gehörte von 2010 bis 2012 dem Landesvorstand an. 2019 wechselte er nach Berlin.

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