Hexen puritanisch

Halloween in Neuengland

  • Jana Talke
  • Lesedauer: 4 Min.
Kacken, wo andere für viel Geld studieren: Ein Hundeleben auf dem Campus der Harvard-Universität
Kacken, wo andere für viel Geld studieren: Ein Hundeleben auf dem Campus der Harvard-Universität

Howdy aus Texas, liebe Lesende! Deutsche fahren im Sommer in den Süden zum Aufheizen, Texaner dagegen fliehen im Herbst vor der Hitze in Staaten wie New York oder Colorado, um endlich mal »Fall Foliage« zu erleben – also die wechselnden Laubfarben der hier nicht vorhandenen Jahreszeit. Sie wollen endlich schweißlos draußen sein, heißen statt geeisten Kaffee schlürfen und all die Jacken ausführen, die sie in Texas auch im Winter nicht tragen werden, weil man dann nicht mehr aus dem Auto steigt. (Es ist ein ungeschriebenes texanisches Gesetz, das seinen Einwohnern erlaubt, auch bei 0 Grad Flip-Flops zu tragen. Und ja, bevor weitere Fragen auftauchen: Man fährt hier in Flip-Flops Auto.)

Wir machten uns in diesen Herbstferien auf nach Neuengland, vielleicht nicht unbedingt des Herbstwetters wegen, das wir dank Jahrzehnten in Hamburg weder vergessen haben noch vermissen werden, sondern um unserer Tochter kurz vor dem Fest noch die Halloween-Stadt Salem zu zeigen. Okay, wir hatten auch egoistische Pläne, mein Mann wollte die Landschaften von Maine und New Hampshire sehen (sprich: Lobster Rolls essen); ich wollte ins legendäre Isabella-Gardener-Museum in Boston (sprich: dass mein Mann dort möglichst viele Fotos von mir macht).

Die progressive Ostküste sollte das Gegenteil unseres redneckigen Sommerurlaubs in Alabama werden. Die ist bekanntlich die Wiege der amerikanischen Demokratie, geschichtsträchtig, europäisch angehaucht, Fastfoodketten ablehnend und überhaupt kulturell auf der Höhe. Die Pilgrims und Puritaner gehörten in den 1620er und -30er Jahren zu den ersten Siedlern Neuenglands. Ob sie mit ihren ultrareligiösen Ansichten und Infektionskrankheiten solch hochkulturelle Wesen waren, bleibt zu bezweifeln.

Aber in der Kolonialzeit stieg Neuengland, zu dem heute sechs Bundesstaaten zählen, rasch wirtschaftlich und intellektuell auf. Die Eliteuni Harvard wurde 1636 gegründet und ist heute trotz Studiengebühren von etwa 65 500 Dollar jährlich zu arm für Mülleimer auf dem Campus (auf der Website wird behauptet, das sei eine »Zero waste«-Initiative). Unsere Spitzhündin kackte nämlich gleich bei ihrer Ankunft an der ehrenwerten Einrichtung ins gepflegte Harvard-Gras, und mein armer Mann musste das Geschäft den ganzen Spaziergang über in einem pinken Tütchen mitführen. Damit sah er nicht so kultiviert aus, aber zum Glück zählen am Ende nur die Fotos (von uns Mädels).

Talke talks

News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.

1773 kam die Boston Tea Party, als Indianer verkleidete Weiße (das ist heute zum Glück nicht mal mehr zu Halloween okay) schmissen als Protest gegen die britischen Steuern Teekisten der East India Company in das Bostoner Hafenbecken. Guter Tee wurde seit dem Boykott in den USA zwar nicht mehr gesichtet, aber kurz darauf war Amerika frei von den Briten; gebrexited, bevor es cool war.

Und während der hinterwäldlerische Süden immer mehr vom Sklavenhandel profitierte, begannen in Neuengland, angeregt durch die Aufklärung, die Abolitionismusbemühungen. Umso überraschender, wie viele Trump-Anhänger mit ihren Autoaufklebern und Vorgarten-Schildern heute dort leben. Als besonders schockierend empfand ich das »Make America great again« entlang der Schnellstraßen: Donalds Fans stellen auf ihren Ländereien Kräne auf, von denen Monsterplakate baumeln und die Vorbeifahrenden daran erinnern, dass Aufklärung und Liberalismus bald der Vergangenheit Neuenglands angehören könnten. Die Bostoner Kunst, die Landschaften und die Lobster Rolls lenken mich geschickt von den trüben Gedanken ab.

Aber auch Salem erwies sich als Widerspruch. Ich hatte von dem durch Halloween-Filme berühmt gewordenen Städtchen hübsche Straßen mit netten Kostümläden erwartet. Stattdessen, Loser-Las-Vegas: Wirre Hexenhut-Massen in den gar nicht so hübschen Straßen, überfüllte Parkhäuser für 50 Dollar, die Läden voller Ramsch und trotzdem Schlangen wie beim Zerfall der Sowjetunion. Aber das Unangenehmste ist die Kommerzialisierung der Hexenprozesse von 1693. Anstatt die Misogynie und Brutalität der Puritaner mit mehr Nachdruck anzuprangern, die 20 Menschen ums Leben brachten, wird in dem so progressiven Salem in Massachusetts vor allem profitiert. So sehr unterscheidet sich die Ostküste dann doch nicht vom Süden. Und ich bin offenbar zu lang in den Staaten, denn ich verkleide mich dieses Halloween als Hexe.

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