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Behördliche Gesinnungsprüfung

Mit dem Staatsangehörigkeitsgesetz könnten willkürliche Ausbürgerungen drohen – als Grundlage dient die umstrittene IHRA-Definition für Antisemitismus

  • Simon Zamora Martin
  • Lesedauer: 5 Min.
Wenn den Behörden Aussagen bekannt werden, die laut IHRA-Arbeitsdefinition als antisemitisch gelten, könnte dies zu einer Ausbürgerung führen.
Wenn den Behörden Aussagen bekannt werden, die laut IHRA-Arbeitsdefinition als antisemitisch gelten, könnte dies zu einer Ausbürgerung führen.

»Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden«, steht in Paragraf 16 des Grundgesetzes. Geschaffen wurde er, damit sich die rassistischen, politischen und religiösen Ausbürgerungen der Nationalsozialisten nicht wiederholen können. Mit dem im Juli in Kraft getretenen Staatsangehörigkeitsmodernisierungsgesetz könnten jetzt wieder willkürliche Ausbürgerungen drohen, wie die geleakten Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums (BMI) zeigen.

Das Staatsangehörigkeitsgesetz verlangt seit Langem, dass sich Einbürgerungswillige zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) bekennen und in einer Loyalitätserklärung versichern, keine extremistischen Bestrebungen zu verfolgen. Dieses Bekenntnis wurde mit dem neuen Gesetz erweitert: Einerseits fordert es die Anerkennung, dass »Antisemitismus, Rassismus oder sonstige menschenverachtend motivierte Handlungen« gegen die FDGO verstoßen. Andererseits verlangt der Gesetzgeber ein Bekenntnis »zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen, insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens«. Wenn »tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen«, dass die verlangten Erklärungen nur ein Lippenbekenntnis waren, ist die Einbürgerung ausgeschlossen.

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Aber wie soll angesichts so offen abgefasster Gesetzestexte die Gesinnung von Menschen überprüft werden? Dafür formulierte das BMI vorläufige Handlungshinweise für die Einbürgerungsbehörden, die die große Frage aufwerfen, ob es sich hier um behördliche Gesinnungsjustiz handelt.

Um Aussagen, Posts oder Likes von Antragsteller*innen auf Antisemitismus zu überprüfen, empfiehlt das BMI die höchst umstrittene IHRA-Arbeitsdefinition. Professor Uffa Jensen, stellvertretender Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU-Berlin, ist empört: »Nach der IHRA-Definition können alle Äußerungen zu Israel, die nicht sehr positiv ausfallen, unter Antisemitismusverdacht geraten«, erklärt er dem »nd«.

Die Definition der International Holocaust Remebrance Alliance sei zudem explizit eine Arbeitsdefinition für Präventions- und Bildungsarbeit, keine juristische. Dafür ist Antisemitismus zu vage als »bestimmte Wahrnehmung jüdischer Menschen« definiert. »Es ist sehr problematisch, dass die IHRA-Arbeitsdefinition jetzt Teil der deutschen Rechtsauslegung wird und für massive Einschnitte in Persönlichkeitsrechte sorgt«, so Jensen.

Auch Professor Tarik Tabbara, der für den Innenausschuss des Bundestages eine Stellungnahme zum Staatsangehörigkeitsmodernisierungsgesetz geschrieben hat, kritisierte gegenüber »nd« die Anwendung der IHRA-Arbeitsdefinition: »Eine Definition, dass sich Antisemitismus ›gegen jüdische und nichtjüdische Einrichtungen richten kann‹, ist juristisch kaum praktikabel.«

Das BMI geht noch einen Schritt weiter und schreibt in den Anwendungshinweisen: »Handlungen mit Bezug zum Staat Israel, die nicht eindeutig als antisemitisch motiviert (…) eingeordnet werden können, können jedoch dem Bekenntnis zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands (…) entgegenstehen« – und so auch eine Einbürgerung verhindern.

Nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Bedenken wurde ein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels nicht im Staatsangehörigkeitsgesetz verankert; das BMI bringt dies jetzt jedoch durch die Hintertür in die Rechtspraxis: Laut Anwendungshinweisen beinhalte das Bekenntnis zur historischen Verantwortung die Anerkennung, »dass die Sicherheit und das Existenzrecht Israels zur deutschen Staatsräson gehören«.

Auf die Nachfrage des »nd«, ob es Einbürgerungsvoraussetzung ist, von der deutschen Staatsräson überzeugt zu sein, antwortete das BMI nicht. Ein Sprecher teilte lediglich mit, dass die vorläufigen Handlungsanweisungen gerade grundlegend überarbeitet werden, und verwies darauf, dass die Bundesländer für die Anwendung des Gesetzes zuständig sind.

Eine stichprobenartige Recherche zeigt, dass die Mehrzahl der Länder den Hinweisen des BMI folgt. In Baden-Württemberg ist ein Bekenntnis zum Existenzrecht des Staates Israel laut Auskunft des Innenministeriums eine »zwingende Einbürgerungsvoraussetzung«. Sachsen-Anhalt betont, das Existenzrecht Israels sei deutsche Staatsräson. »Wer in unser Land kommt und hier Schutz sucht, hat dies ohne Wenn und Aber anzuerkennen«, so ein Sprecher des Ministeriums für Inneres und Sport. Wer das Existenzrecht Israels leugne, könne kein deutscher Staatsbürger werden.

Seit 2006 dürfen Einbürgerungen auch zurückgenommen werden, wenn sie »betrügerisch erschlichen« wurden. Dies gilt auch für die Wahrhaftigkeit der Loyalitätserklärung, in der Antragsteller*innen versichern müssen, keine Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu unterstützen. Wenn nach der Einbürgerung den Behörden Aussagen bekannt werden, die laut IHRA-Arbeitsdefinition als antisemitisch gelten können oder das Existenzrecht Israels in der heutigen Form infrage stellen, könnte dies zu einer Ausbürgerung führen.

In der gängigen Rechtsprechung müsse laut Professor Tabbara nachgewiesen werden, dass bereits zum Zeitpunkt der Einbürgerung die Loyalitätserklärung unrichtig war. »Aber in der Rechtsprechung wird es jedenfalls prinzipiell für möglich gehalten, unter bestimmten Umständen Rückschlüsse von gegenwärtigem Verhalten auf die Vergangenheit zu ziehen.«

Von der jetzigen Verschärfung könnte auch die deutsch-israelische Psychoanalytikerin Iris Hefets betroffen sein. Sie hatte 2002 Israel aus politischen Gründen verlassen und nahm 2020 die deutsche Staatsbürgerschaft an. »Natürlich richten sich die Verschärfungen erst mal gegen Palästinenser*innen und Muslim*innen. Aber letztendlich geht es auch um linke jüdische Menschen«, meint das Vorstandsmitglied der »Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost« gegenüber »nd«.

»Das ist letztendlich das klassische antisemitische Bild der jüdisch-bolschewistischen Staatsfeinde, mit dem der Trend der Rechtsentwicklung und autoritäre Tendenzen in Deutschland vertieft werden,« so Hefets weiter. Sowohl die IHRA-Arbeitsdefinition als auch das Bekenntnis zur historischen Verantwortung Deutschlands seien schwammig. »Aber genau das öffnet Willkürlichkeit Tür und Tor.

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