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Das Dokumentieren von Polizeihandeln ist nicht kriminell
Wissenschaftlerin stand in München wegen »Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes« vor Gericht – und wurde freigesprochen
Rena O. ist Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte einer Berliner Hochschule. Sie hat vermutlich auch deshalb ein besonderes Gespür für brenzlige Situationen von Diskriminierung. Am Donnerstag musste sie sich vor dem Amtsgericht München wegen »Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes« nach Paragraf 201 des Strafgesetzbuches verantworten.
Das kam so: Ende April 2023 kam sie mit dem Zug nach Mitternacht in München an und wurde noch im Bahnhofsbereich Zeugin einer, wie sie es vor Gericht schilderte, bedrohlich wirkenden Szenerie im Zusammenhang mit einer Polizeimaßnahme. Sie sah zwei Polizisten – einer von ihnen hatte einen Schlagstock und ein Reizstoff-Sprühgerät in den Händen –, die lautstark auf eine Gruppe junger »migrantisch gelesener« Jugendlicher einredeten.
Rena O. zückte spontan ihr Smartphone und begann das Geschehen zu filmen. Um eventuelle Rechtsbrüche dokumentieren zu können, wie sie vor Gericht angab. Das gefiel den beiden Beamten gar nicht. Sie nahmen die Personalien von O. auf. Sie filmten die Sequenz von ihrem Handy ab und erstatteten anschließend Anzeige gegen sie. Es erging ein Strafbefehl, gegen den O. Widerspruch einlegte. Deshalb kam es nun zur Verhandlung, bei der O. mit ihrer Verteidigerin Nevin Duran im Strafjustizzentrum München auf der Anklagebank saß.
Die Staatsanwaltschaft sah nach Inaugenscheinnahme des Films und der Aufnahmen von Überwachungskameras sowie der Vernehmung eines der beiden Polizeibeamten als Zeugen den Vorwurf der »Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes« als erwiesen an und forderte, dass an einer Bestrafung festgehalten werde.
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Verteidigerin Duran widersprach dem, indem sie die Problematik des Strafparagrafen 201 grundsätzlich darstellte und ihn für den vorliegenden Fall als unwirksam bezeichnete. Er sei nicht umsonst salopp als »Schlafzimmerparagraf« bezeichnet worden, beziehe er sich doch ursprünglich auf die Privat- und Intimsphäre von Personen. Erst spätere Auslegungen hätten ihn für Polizeieinsätze nutzbar gemacht. Wenn Polizisten nach diesem Paragrafen Anzeige erstatteten, gehe es offenbar darum, Menschen, die das Handeln der Beamten dokumentieren wollen, einzuschüchtern.
Duran führte aus, dass eine Reihe von Urteilen und richterlichen Entscheidungen einen »kunterbunten Strauß« unklarer Auslegungen des Paragrafen hinterlassen hätte. Der Paragraf, so Duran, verbiete gerade auch bei Polizeieinsätzen das Mitschneiden in Bild und Ton, was Polizist*innen täten, und vor allem auch, was sie dabei sagten. Diese Äußerungen, so die Auslegung einiger Urteile, seien »nicht öffentlich«, damit vertraulich. Wer es unternehme, sie zu dokumentieren, verletze diese Vertraulichkeit.
Einige höherinstanzliche Urteile, so Duran, schränkten diese Sicht jedoch ein. Danach sei das Polizeihandeln nicht mehr »nicht öffentlich«, wenn die Beamten die an ihrer Uniform befestigten Bodycams (Körperkameras) einsetzen oder deren Einsatz auch nur grundsätzlich möglich sei. Das sei in dem Fall, den Rena O. gefilmt hat, so gewesen.
Eine weitere einschränkende Auslegung: Wenn sich das gefilmte Geschehen in einer belebten Umgebung abspiele, greife Paragraf 201 ebenfalls nicht. Auch dies sei im damals durchaus noch belebten Münchener Hauptbahnhof gegeben gewesen.
Duran sprach ihrer Mandantin Respekt für den Mut aus, in der unguten Situation spontan und mit besten Intentionen die Handykamera eingesetzt zu haben, um mögliche Gesetzesbrüche zu dokumentieren. Sie verwies auf die Bedeutung dieser Form von Zivilcourage. Ohne sie wären etwa Fälle von Polizeigewalt wie gegen George Floyd, der im Mai 2020 in den USA vor laufenden Handykameras von Polizeibeamten getötet wurde, nie ans Licht gekommen.
Richterin Sonja Öttl merkte man an, gerade solche Vergleiche nähmen sie nicht unbedingt für die Angeklagte und ihre Anwältin ein. Das Geschehen am Münchner Hauptbahnhof im April vergangenen Jahres sei in keiner Weise mit dem Fall Floyd und anderen von Duran genannten Beispielen vergleichbar.
Gleichwohl, so Öttl, werde auf den gesichteten Aufnahmen des Geschehens sehr deutlich, dass es sich um eine faktisch öffentliche Situation gehandelt habe. Passanten seien stehen geblieben und hätten zugehört. Somit liege keine Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes vor. Sie sprach Rena O. frei.
Es bleibt nun abzuwarten, ob die Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil in Revision geht. Hat das Urteil Bestand, könnte es langfristig zur Entschärfung des Paragrafen 201 beitragen und couragiertes Dokumentieren polizeilicher Übergriffe erleichtern.
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