- Politik
- Regierungsbildung
Sachsen: Sondierungen in der Krise
SPD zieht sich wegen Corona-Querfront von BSW und AfD vorerst aus Gesprächen über Koalition zurück
Die Regierungspartner in spe in Sachsen haben sich in den wochenlangen »Kennenlerngesprächen« offenbar doch nicht so gründlich kennengelernt wie erhofft. Nur vier Tage, nachdem dieses Format durch verbindlichere »Sondierungsgespräche« abgelöst worden war, gerieten die Verhandlungen über eine Regierungsbildung im Freistaat in eine unerwartete Krise. Am Freitagnachmittag ließen Vertreter der SPD die Unterredungen in der Arbeitsgruppe zu Gesundheits- und Sozialpolitik platzen. Auch die anderen sechs Runden, in denen sich Vertreter von CDU, BSW und SPD zu Fachthemen abstimmen, müssen pausieren. Die Verhandlungen seien »ausgesetzt«, hieß es von der SPD. Eine »Klärung der Spitzen« müsse zeigen, ob sie wieder aufgenommen werden.
Auslöser für den Eklat war eine Sondersitzung des Landtags am Freitag, in der Anträge von AfD und BSW zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Corona-Aufarbeitung auf der Tagesordnung standen. Weil CDU und SPD diesen Weg der Aufarbeitung ablehnen und stattdessen eine Enquete-Kommission einsetzen wollen, hatte der Antrag des BSW keine Aussichten auf Erfolg. Mit 15 Abgeordneten erfüllt die Fraktion allein nicht das entsprechende Quorum. Weil ein Corona-Ausschuss aber ein zentrales Wahlversprechen der Wagenknecht-Partei war, entschloss man sich, dem AfD-Antrag zuzustimmen. Der Antrag ist damit eingesetzt. Theoretisch hätten bei Enthaltung der anderen Abgeordneten auch die 40 Stimmen der AfD ausgereicht. Beim BSW enthielten sich vier Abgeordnete, die anderen stimmten mit der AfD. Begründet wurde das zunächst rein formal: Fraktionschefin Sabine Zimmermann sprach vom »Respekt vor einem Minderheitenrecht«. Die potenziellen Partner CDU und SPD waren vorab informiert. Zimmermann ging davon aus, dass das Abstimmungsverhalten keinen Einfluss auf die Sondierungen für eine sogenannte »Brombeer-Koalition« habe.
Dass es anders kam, begründet die SPD mit dem Verlauf der Landtagsdebatte. Die Vertreter des BSW hätten den AfD-Antrag nicht mehr nur formal, sondern auch argumentativ mitgetragen. Man habe sich zur »inhaltlichen Unterstützung eines populistischen Antrags einer gesichert rechtsextremen Partei entschieden« und damit »einem Tribunal zugestimmt«, erklärten die SPD-Landesvorsitzenden Henning Homann und Kathrin Michel. Ihre Parteifreundin Petra Köpping führt seit 2019 das Gesundheitsressort. Deren für Wirtschaft und Arbeit zuständiger Kabinettskollege Martin Dulig, langjähriger Landeschef der SPD, fragte im Kurznachrichtendienst X, wie eine »vertrauensvolle Atmosphäre bei Koalitionsverhandlungen entstehen« solle, wenn das BSW den Ministerpräsidenten Michael Kretschmer und Köpping »so anprangern und anklagen« wolle.
Vertreter von Parteien, die in der Regierungsbildung derzeit keine Rolle spielen, halten das Manöver für Theaterdonner. Die Grünen-Abgeordnete Claudia Maicher kommentierte Nachrichten über »Knatsch bei der Brombeere« mit den Worten: »Und danach geht’s genauso weiter.« Andere Beobachter sind sich da allerdings nicht so sicher. Der Kommentator der »Leipziger Volkszeitung« warnte vor einem Konflikt, der sich hochschaukeln und »zusehends ideologisch« werden könne. Die Chancen für ein harmonisches Miteinander schwänden mit jeder weiteren Auseinandersetzung.
Tatsächlich reagierte man beim BSW empört auf den Schritt der SPD. Zimmermann erklärte, die Sozialdemokratie »schadet dem Land«, und forderte sie auf, »schleunigst« an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Von dort kommen indes zunehmend skeptische Stimmen. Dulig erklärte, seine »bestehenden Zweifel an der Redlichkeit« des BSW würden größer. Zweifel äußerten auch Beobachter wie der Politikwissenschaftler Hans Vorländer von der TU Dresden. Er nannte die gemeinsame Abstimmung des BSW mit der AfD im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa einen »Affront gegenüber den potenziellen Koalitionspartnern«. Das BSW habe damit Misstrauen und Unzuverlässigkeit demonstriert. Es sei vollkommen unsicher, ob es künftig erneut mit der AfD stimmen werde. Der Experte sieht daher zur Zeit keine verlässliche und vertrauensvolle Basis für eine Koalition aus CDU, BSW und SPD.
Alternativen dazu gibt es freilich nach der Landtagswahl vom 1. September kaum. Eine Koalition des Wahlsiegers CDU mit der zweitplatzierten AfD hat der CDU-Spitzenkandidat und Regierungschef Kretschmer vorab kategorisch ausgeschlossen. Ein rechnerisch mögliches Viererbündnis von CDU, SPD, Grünen und Linken gilt als praktisch undenkbar und würde zudem an einem Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU gegenüber der Linken scheitern. Eine Minderheitsregierung, die sich im Landtag auf wechselnde Mehrheiten stützt und auf die Teile der CDU-Basis in offenen Briefen drängen, hatte Kretschmer im Wahlkampf abgelehnt, weil sie faktisch ständige Verhandlungen zur Folge hätte.
Gleichzeitig haben die Parteien nicht endlos Zeit für die Suche nach einer Koalition. Nachdem sich der Landtag am 1. Oktober konstituiert hat, gibt die Verfassung eine Frist von vier Monaten bis zur Wahl eines Ministerpräsidenten vor, die am 3. Februar endet. Die Wahl erfolgt üblicherweise erst, wenn ein Regierungsbündnis steht. Kommt sie nicht zustande, gibt es Neuwahlen.
»Meine bestehenden Zweifel an der Redlichkeit des BSW werden größer.«
Martin Dulig SPD-Wirtschaftsminister in Sachsen
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!