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»LNG-Terminals in Deutschland haben neokoloniale Komponente«
Vom 21. Oktober bis zum 10. November veranstaltet das Bündnis Ende Gelände bundesweite »Anti-LNG-Aktionswochen«
Ende Gelände protestiert hauptsächlich gegen LNG, also Flüssigerdgas. Das macht aber nur einen Bruchteil der deutschen Gasimporte aus. Warum also der Fokus auf diesen Energieträger?
Gerade wird die gesamte Gasinfrastruktur enorm ausgebaut, aber insbesondere LNG-Terminals. Und was jetzt gebaut wird, bleibt zum Teil jahrzehntelang bestehen. Es gibt Verträge, die bis 2046 laufen – da will Deutschland wohlgemerkt schon klimaneutral sein. Zwar liegt der Fokus momentan auf schwimmenden Terminals, aber es werden auch Milliarden an Steuergeld versenkt, um feste Terminals zu bauen. Diese langfristigen Projekte zu verhindern, ist eines unserer Hauptziele. Sie sind auch ein Kristallisationspunkt für die Klimabewegung; denn hier wird neue fossile Infrastruktur geschaffen und Politiker*innen sind sogar stolz darauf. Mit unseren Aktionen zeigen wir: Was hier geschieht, ist nichts anderes als ein massives Klimaverbrechen.
Jule Fink, 23, studiert Sozialwissenschaften in Berlin und ist Pressesprecherin von Ende Gelände. Das Bündnis organisiert seit 2015 Massenaktionen des zivilen Ungehorsams; während der Protest sich zunächst gegen Kohleabbau richtete, konzentriert sich die Gruppe seit 2021 auf Aktionen gegen Flüssigerdgas. Im Juli hat der Verfassungsschutz Ende Gelände als »linksextremistischen Verdachtsfall« eingestuft.
Wie unterscheidet sich LNG, das mit Schiffen transportiert wird, von Erdgas, welches in Pipelines nach Deutschland kommt?
Gerade mit LNG betreiben die Bundesregierung und Gaslobby Greenwashing. Es wird oft als »sauberer« verkauft, was völliger Unsinn ist. Das fängt aber schon beim Namen an. LNG steht für »Liquified Natural Gas« (wörtlich übersetzt: verflüssigtes natürliches Gas), das suggeriert etwas ökologisches – was es definitiv nicht ist. Dass an den Terminals beteiligte Firmen wie »Tree Energy Solutions« (wörtlich übersetzt: Baum Energie Lösungen) mit ihrem Namen nahelegen, sie seien ökologisch, ist einfach nur dreist. Denn Erdgas ist sogar dreckiger als Kohle. Es besteht zu mehr als 90 Prozent aus Methan, was viel klimawirksamer ist als CO2. Hinzu kommt: LNG wird vor allem in der Industrie eingesetzt, zum Beispiel in der Chemie- und Plastikproduktion. Das sehen wir auch daran, wo es angeliefert wird, nämlich genau da, wo auch diese Industrien zu verorten sind, also in Brunsbüttel zum Beispiel. Dieses Gas sorgt nicht für warme Wohnzimmer – es geht hier um die Profite der Großindustrie, nicht um das Wohl der Menschen.
Fracking ist in Deutschland verboten, aber bei dem importierten LNG handelt es sich überwiegend um Fracking-Gas aus den USA.
Das ist für uns ein weiterer zentraler Grund, etwas gegen den Ausbaus der Terminals zu unternehmen. Fracking verursacht nicht nur gravierende Umweltschäden und erhöht die Erdbebengefahr. Es ist auch enorm gesundheitsschädigend. Es gibt in den USA eine Region, in der viel Gas gefördert wird, die Menschen nennen sie »Cancer Alley« (zu deutsch etwa Krebsgasse) – weil die Krebsraten dort extrem hoch sind. Dort leben besonders viele People of Colour, die ohnehin schon von gesellschaftlichen Ungleichheiten betroffen sind. Die LNG-Terminals hier in Deutschland haben also auch eine neokoloniale Komponente. Übrigens: Wir beobachten den Ausbau der Gasinfrastruktur in ganz Europa. Es ist das fossile Projekt dieser Zeit. Eine sterbende Industrie versucht, sich am Leben zu halten, in dem sie sich als etwas Zukunftsorientiertes verkauft – dabei zerstört sie die Zukunft.
Oft heißt es aber, Gas sei eine notwendige »Brückentechnologie« und Terminals könnten in Zukunft auch H2-Ready (also wasserstofffähig) gemacht werden.
Das ist nur eine weitere Greenwashing-Lüge! Erstens ist es das Gegenteil von klimagerecht, Wasserstoff aus Ländern in Afrika zu importieren, die sowieso schon mit Wasserknappheit kämpfen. Zweitens geben selbst Betreiberfirmen, wie German LNG in Brunsbüttel, zu, dass ihre Terminals nicht H2-Ready sind. Wissenschaftlich ist es ohnehin fraglich, ob das umsetzbar wäre – und wenn, dann nur mit erheblichen Kosten. Die Erzählung der Brückentechnologie lenkt aber von der eigentlichen Notwendigkeit ab: Wir brauchen einen tiefgreifenden ökologischen und sozialen Wandel. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wäre es, Unternehmen zu vergesellschaften. Dann könnten wir demokratisch über die Wirtschaft entscheiden und der Profit stünde nicht länger im Mittelpunkt.
Was genau planen Sie im Rahmen der Aktionswochen gegen den Ausbau von Flüssigerdgas-Terminals zu tun?
Die Aktionswochen finden in ganz Deutschland statt. Damit wollen wir darauf aufmerksam machen, dass LNG nicht nur an der Nordküste Deutschlands ein Problem ist, also dort wo die Terminals entstehen. Es gibt drei thematische Wochen: In der vergangenen Woche haben Aktivist*innen in einigen Städten Botschaften gegen Gas und LNG gesprayt, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Diese Woche wird es Bannerdrops geben, mit einem Fokus auf den neokolonialen Auswirkungen des Frackings in den Förderländern. In der dritten Woche wollen wir uns gegen das Greenwashing der Gasindustrie richten; wir haben ein paar humorvolle Aktionen geplant, mit denen wir die Täuschungsversuche entlarven wollen und der Erzählung vom sauberen Gas etwas entgegensetzen. Für uns sind die Aktionswochen auch eine Form des Aktivismus, die im Vergleich zu den großen Besetzungen etwas lockerer ist, dafür aber umso mehr Spaß macht.
Genau für diese spektakulären Blockaden ist Ende Gelände eigentlich bekannt. Sind die dezentralen Aktionswochen auch Teil eines Strategiewechsels?
Kreative lokale Aktionen gehören schon immer zu Ende Gelände. Aber wir versuchen in der Tat, weniger berechenbar zu sein und häufiger und an mehr unterschiedlichen Orten der Zerstörung präsent zu sein. Wir arbeiten inzwischen seit vier Jahren zum Thema LNG, allein dieses Jahr haben wir zwei Blockaden in Brunsbüttel organisiert. Solche Aktionen sind wichtige Momente kollektiver Handlungsfähigkeit. Aber dazwischen ist die Vernetzung in den einzelnen Ortsgruppen entscheidend. Die wollen wir mit den dezentralen Aktionswochen auch aktivieren.
Was haben Sie aus dem Kampf gegen Kohleabbau für die LNG-Proteste gelernt?
Die Aktionsformen und unser Wissen aus den Kohleprotesten sind definitiv wichtige Grundlagen. Sitzblockaden und ausgeklügelte Massenaktionen des zivilen Ungehorsams – das ist ja so etwas wie unser Markenkern. Wir setzen auch nach wie vor auf eine basisdemokratische Organisation und wissen, wie wichtig es ist, Spaß bei den Aktionen zu haben. Und unsere Grundidee ist immer noch dieselbe: Wir gehen dorthin, wo die Zerstörung stattfindet. Denn natürlich ändert ein anderer Brennstoff nichts an unserer Analyse, dass wir in einem kapitalistischen System leben, in dem fossile Konzerne Milliardengewinne machen, auf Kosten von Lebensgrundlagen und sozialer Gerechtigkeit.
Und wie unterscheiden sich die Proteste?
Der Kohleabbau ist viel sichtbarer. Immer wenn wir mit unseren weißen Anzügen in die riesigen Gruben gelaufen sind, war sofort klar: Früher waren hier Dörfer oder schöne Landschafen – und jetzt? Das hier ist ein Ort der Zerstörung.
Mit LNG-Terminals ist das schwieriger. Denn durch den Import wird die Zerstörung und Ausbeutung in andere Länder verlegt. Und an den Orten der Zerstörung haben es die Menschen häufig schwer zu protestieren. Nicht nur, weil insbesondere marginalisierte Communities unter den Folgen des Frackings leiden, für die es sowieso schon schwieriger ist, sich politisch einzubringen. Sondern auch weil die Konzerne fest in den politischen Strukturen verankert sind und auch soziale Projekte wie etwa Spielplätze finanzieren.
Wie haben Sie auf diese anderen Umstände reagiert?
Wir versuchen, die Betroffenen sichtbarer zu machen, etwa indem wir Menschen aus den USA in unsere Aktionen einbinden. Außerdem wird durch die großen Bauprojekte, die die LNG Terminals ja sind, immer deutlicher, was für eine riesige Infrastruktur dahinter steckt. Teilweise haben wir aber auch unsere Strategie geändert: Wir machen jetzt keine riesigen Blockaden mehr mit Tausenden Leuten an einem Ort, sondern eben häufigere und kleinere Aktionen an verschiedenen Orten. Das hat auch den Vorteil, dass wir unberechenbarer werden.
Dass heutzutage weniger Menschen an Ende-Gelände-Aktionen teilnehmen, liegt aber auch an der nachlassenden Mobilisierungsfähigkeit der gesamten Klimabewegung.
Klar, die Bewegung ist momentan kleiner und das Thema Klima nicht mehr so präsent in den Medien. Hinzu kommt, dass viele Leute von Ende Gelände auch zu anderen Themen aktiv sind, weil einfach klar ist, dass wir als Antikapitalist*innen auch gegen die Faschisierung der Gesellschaft kämpfen müssen. Aktionen, wie die Blockaden gegen den AfD-Parteitag in Essen, bauen ja auch auf Bewegungswissen auf, unter anderem von Ende Gelände. Natürlich sind das keine leichten Zeiten, auch emotional nicht. Es gibt so viel Anlass für Frust: immer rassistischere Diskussionen in der Politik; Greenwashing, das selbst von den Grünen mitgetragen wird; zunehmende Repressionen gegen die Klimabewegung. Trotz alldem bleibt Ende Gelände ein Ort, an dem Menschen aktiv sind, um Widerstand zu leisten; an dem Menschen füreinander da sind und gemeinsam etwas verändern.
Im Juli hat der Verfassungsschutz Ende Gelände als »linksextremistischen Verdachtsfall« eingestuft. Spüren Sie davon Auswirkungen auf Ihre Arbeit?
Die Ende Gelände Ortsgruppe Berlin wurde ja bereits 2021 als Verdachtsfall geführt. Deshalb sind wir auf solche Repressionen vorbereitet und haben ja auch gesehen, wie mit der Letzten Generation umgegangen wird. Die Einstufung hat sich also gar nicht so sehr auf unsere Arbeit ausgewirkt. Das schmälert aber nicht den Skandal: Leute eines Inlandsgeheimdienstes dürfen sich in die Gruppentreffen von Klimagerechtigkeits-Aktivist*innen setzen und die gegebenenfalls abhören? Das ist einer Demokratie unwürdig! Und es zeigt auch, welche Interessen dieser Staat schützt.
Für Dezember haben Sie bereits Ihre nächsten Proteste angekündigt. Dann findet ein internationaler LNG-Gipfel in Berlin statt. Wer genau trifft sich dort und was haben Sie vor?
Der World LNG Summit findet vom 9. bis 12. Dezember im Hotel Adlon in Berlin statt – eine Champagnerparty für die fossile Industrie. Und wir freuen uns, sie in dieser aktivistischen Stadt gebührend zu begrüßen. Es wird bereits an breiten Protesten gearbeitet. Verschiedene NGOs planen einen Gegengipfel, Fridays for Future wird bei einer Demonstration dabei sein, und wir kündigen Blockaden an. Denn dort kommen Konzernchefs zusammen und verleihen sich Preise für ihr Greenwashing und für ihre zerstörerische Profitgier – wir werden diese Party crashen!
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