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»Ortskontrollfahrt«: Zwischen Erdbeerschnaps und Pornopizza
Lilly Blaudszun und Jakob Springfeld cruisen für ihren Podcast »Ortskontrollfahrt« mit Gästen durch ihre Jugend in Ostdeutschland
Was machen Jugendliche auf dem Land, wenn ihnen langweilig ist? Eine Ortskontrollfahrt (OKF). Lilly Blaudszun, Politik-Influencerin, aufgewachsen in Mecklenburg-Vorpommern und Jakob Springfeld, linker Aktivist und Autor aus Zwickau, tun in ihrem zehnteiligen Podcastformat »OKF« genau das. Sie cruisen mit mehr oder weniger bekannten Gästen fiktiv durch ihre ehemaligen Heimatorte in Ostdeutschland, um ein komplexeres Bild zu zeigen als nur Dunkeldeutschland. Sie pendeln dabei zwischen Nostalgie, ernsten Themen und Unterhaltung. Immer an Bord: Ein Lunchpaket mitsamt Drink und der Soundtrack der Jugend.
Alle Gefährten sind in den neuen Bundesländern aufgewachsen. Dabei geht die Auswahl von der Influencerin Stachel, die Pizza in einem Bordell in Gera ausgeliefert hat, über Fußballprofi Felix Kroos, der in Rostock über seine verpasste Jugend, seinen Bruder Toni und den Begriff »Heimat« sinniert, bis zu »Germanys Next Topmodel«-Teilnehmer Frieder Sell, der von Schwimmbadtagen in Waren an der Müritz, Mottopartys und High Heels in Größe 49 schwärmt.
Plötzlich war Arbeitslosigkeit ein Thema, die meisten hätten einfach nur »funktioniert« und sich nicht gefragt: Wie geht’s uns eigentlich?
Twitch-Streamerin JenNyan spricht darüber, wie sie ihre Mutter vor ihrem gewalttätigen Vater beschützte. Der Vater sei jetzt trockener Alkoholiker, ihre Eltern immer noch zusammen. Das reicht den beiden Hosts, um nicht nachzuhaken. Stattdessen reden sie über Cosplay und wie JenNyan ihre Brüste bei OnlyFans postete. Die Moral (»Rechnet mit den Konsequenzen, das Internet wird immer lauter!«) ist wenig überraschend, dafür schneidet Nyan weitere brisante Themen an: Sie erzählt, wie sie auf Twitch mit ihrer Depressionen umgeht und wie sie einer toxischen Beziehung in Leipzig entkommen ist. Blaudszun und Springfeld lassen ihr viel Raum. Das funktioniert manchmal ganz gut, allerdings nicht immer, dann bleiben Leerstellen.
In der ersten Folge blickt der Rapper Finch auf seine Zeit in Fürstenwalde zwischen Skateplatz und Spaßbad zurück. Blaudszun fragt ganz direkt: »Hast du das Gefühl, dass die Leute, die so komplett dageblieben sind, ein bisschen hängengeblieben sind?« Finch bejaht. Das sei bei 90 Prozent der Leute so. »Ob’s politisch ist, ob’s menschlich ist. Die haben sich nicht weiterentwickelt.« Blaudszun und Springfeld fragen nicht nach, worauf sich Finch genau bezieht, interessieren sich mehr dafür, ob er zu den Leuten noch Kontakt habe und welche Beziehung er zu Fürstenwalde hat.
Statt über Politik reden sie über das verfallene Spaßbad, das Finch nicht mehr besuchen möchte: »Wenn du als Kind im Disneyland warst, geh’ nicht als Erwachsener noch mal hin.« Die Folge schließt mit Finchs negativen Emotionen und macht nicht so viel Lust, weiterzuhören. Aber Hauptsache, der Erbeerschnaps war lecker. Man hat das Gefühl, bei einer Ortskontrollfahrt dabei gewesen zu sein, zu der man nicht eingeladen wurde. Spannend hingegen sind die beiden Hosts.
Blaudszun und Springfeld kommen selbst aus dem Osten. Jakob Springfeld schreibt in »Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts« (2022), wie gefährlich es ist, sich als Linksradikaler gegen rechts zu stellen. Im Januar erscheint sein zweites Buch »Der Westen hat keine Ahnung, was im Osten passiert. Warum das Erstarken der Rechten eine Bedrohung für uns alle ist«. Jakob Springfeld ist 2002 im sächsischen Zwickau geboren, Lilly Blaudszun 2001 im niedersächsischen Bückeburg, wuchs aber in Ludwigslust auf. 2019 wählte sie die »Zeit« zu einer der 100 wichtigsten jungen Ostdeutschen, 2021 gehörte sie zum Bundeswahlkampfteam der SPD und gab im Anschluss ihren Rückzug aus der aktiven Politik bekannt.
Ein besonderes Highlight ist die Folge mit »Nullerjahre«-Autor Hendrik Bolz. Wenn er mit den beiden über Stralsund spricht, dann wird’s doch politisch: »Rechte Jugendkultur, damit bin ich groß geworden.« In seinem Podcast »Springerstiefel« spürt er gemeinsam mit Don Pablo Mulemba Dunkeldeutschland nach, auch in OKF teilt er seine Empfindungen.
Als die DDR nicht mehr existierte, hätten viele gekämpft, um mit den neuen Umständen zurechtzukommen. Plötzlich war Arbeitslosigkeit ein Thema, die meisten hätten einfach nur »funktioniert« und sich nicht gefragt: Wie geht’s uns eigentlich, erklärt Bolz, der wahrscheinlich gerne mehr erzählt hätte, aber Blaudszun unterbricht ihn: »Lass uns mal was zu essen holen«. Schade, aber wo OKF draufsteht, ist auch OKF drin. Denn weiter geht die fiktive Fahrt durch Stralsund. Diesmal zum »Strelapark«-Einkaufszentrum. Aber auch da hört man Bolz gerne zu.
Die Qualität des Podcasts steht und fällt mit den Gästen. Und so ist »OKF« ein locker-flockiges Unterhaltungsformat, das sich letztlich wie ein Roadtrip durch den Osten anfühlt: Mal passiert was Aufregendes, mal chillt man einfach nur mit Süßigkeiten und einem Drink und schwelgt in Erinnerungen.
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