Nachhaltigkeit mit Alibicharakter

Freihandelsabkommen zwischen EU, Kolumbien, Peru und Ecuador tritt ohne Nachbesserungen in Kraft

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 3 Min.
Blick über den riesigen Tagebau Cerrejon in Kolumbien. Der größte Steinkohletagebau Lateinamerikas macht regelmäßig Schlagzeilen mit massiven Umweltschäden und fehlender unternehmerischer Verantwortung.
Blick über den riesigen Tagebau Cerrejon in Kolumbien. Der größte Steinkohletagebau Lateinamerikas macht regelmäßig Schlagzeilen mit massiven Umweltschäden und fehlender unternehmerischer Verantwortung.

Jorge Acosta, Koordinator der Gewerkschaft für den ecuadorianischen Bananensektor, hat es ausprobiert. 2019 hätten er und die Gewerkschaft bei der EU in Brüssel nachgefragt, welche Sanktionen das Nachhaltigkeitskapitel 9 des Freihandelsvertrags zwischen der Europäischen Union auf der einen Seite und Kolumbien, Peru und Ecuador auf der anderen Seite vorsehe. Das Ergebnis: keine. »Ein klarer Verstoß gegen Arbeits- und Umweltrechte, die nach offizieller Lesart mit dem Abkommen besser geschützt werden sollen«, sagt Acosta und schüttelt verärgert den Kopf. Für ihn hat das Nachhaltigkeitskapitel 9 des Vertrags damit »Alibicharakter«.

Zwischen 2009 und 2012 handelten die EU, Kolumbien und Peru einen Freihandelsvertrag aus, im Dezember 2012 nahm das EU-Parlament ihn an. 2017 trat Ecuador dem Abkommen bei. Seither lief der Vertrag in einer Art Versuchsphase, bis vor ein paar Monaten auch das belgische Parlament zustimmte. Am ersten November tritt er formal im Kraft, allerdings ohne die Bestimmungen im Vertragswerk den seither veränderten Rahmenbedingungen und aufgekommener Kritik anzupassen.

Dabei sollen, aufgrund industrieller Proteste auf Dezember 2025 verzögert, beispielsweise mit der EU-Verordnung gegen Entwaldung neue Umweltstandards umgesetzt werden. Die Verordnung geht weit über bestehende Handelsverträge hinaus und soll mehr Schutz für Wälder und das Klima garantieren.

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Dass die veränderten Rahmenbedingungen nicht in das Handelsabkommen aufgenommen werden, kritisiert auch Thomas Fritz von der Nichtregierungsorganisation Power Shift: »Das Handelsabkommen mit den Andenstaaten ist ein Anachronismus, denn es enthält keine sanktionsbewehrten unternehmerischen Sorgfaltspflichten.« Der Umfang der Steinkohleimporte deutscher und europäischer Energiekonzerne aus Kolumbien steige massiv an, so Fritz weiter – trotz andauernder Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden durch dortige Minen.

Diese elementaren Strickfehler in dem Abkommen erleichtern darüber hinaus die latente Verletzung von Arbeits- und Menschenrechten in Kolumbien und Peru. In beiden Ländern sind Grundrechte von indigenen Völkern immer wieder durch den Bergbau verletzt worden. Das führte auch zu Protesten rund um die Kupferminen Antapaccay und Las Bambas in Peru. Aus beiden Minen importiert unter anderem Europas größter Kupferkonzern Aurubis, dessen Zentrale in Hamburg steht. Aurubis weigert sich seit Jahren, transparent mit seinen Importen und seiner damit einhergehenden Verantwortung umzugehen.

In Kolumbien ist es hingegen der Kohlebergbau, der mit massiven Umweltschäden und fehlender unternehmerischer Verantwortung rund um die Minen in den Verwaltungsdistrikten Cesar und La Guajira negative Schlagzeilen macht. Zwischen 1971 und 2023 wurden laut der in Medellín ansässigen Gewerkschaftsschule in Kolumbien zudem 3323 Gewerkschaftler ermordet, weitere 254 verschwanden. Auch Umweltaktivist*innen leben dort laut der Menschenrechtsorganisation Global Witness gefährlich: 2023 wurden mindestens 79 Landrechts- und Umweltverteidiger*innen ermordet.

Nichtregierungsorganisationen kritisieren die Versäumnisse im Handelsabkommen bereits seit 2012. Nachbesserungen und Anpassungen der Verträge sind seither aber nicht passiert.

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