»Fußverkehr ist die Basismobilität«

Friedemann Goerl setzt sich in Leipzig für die Belange zu Fuß Gehender ein

  • Interview: Lisa Kuner
  • Lesedauer: 6 Min.
Verkehrsplanung – »Fußverkehr ist die Basismobilität«

Was ist das für ein Ort, an dem wir jetzt sind?

Wir sitzen hier gerade auf der Hildegardstraße. Der Raum ist schon ein bisschen besonders, weil hier auf einmal ganz viele Sitzmöbel im Straßenraum stehen und auch Bemalung auf der ansonsten tristen Asphaltfläche vorzufinden ist. Der Raum hat jetzt schon eine Verwandlung durchgemacht von einer normalen Anliegerstraße hin zu einem verkehrsberuhigten Bereich. Der soll andere Qualitäten mit sich bringen. Und das hier ist ein Mosaikstein für den neuen Superblock im Leipziger Osten.

Bevor wir mehr darüber sprechen – was macht eigentlich ein Fußverkehrsverantwortlicher?

Ich bin der Fürsprecher für zu Fuß Gehende und behalte alles, was mit Fußverkehr in Leipzig zu tun hat, strategisch im Blick. Ich versuche konkret bei jedem Bauprojekt das Beste für den Fußverkehr rauszuholen – und prüfe beispielsweise, ob man in einem Vorhaben nicht doch noch irgendwo einen Zebrastreifen unterbringen kann. Häufig geht es auch um kaputte Gehwege oder Bordsteine, die nicht abgesenkt sind.

Interview

Friedemann Goerl, 35 Jahre alt, ist der erste Fußverkehrsverantwortliche der Stadt Leipzig. Als er 2018 den Job antrat, war er je nach Definition sogar der erste Fußverkehrsverantwortliche Deutschlands. Studiert hat er Geografie in Leipzig und in Halle.

Ich kann mir vorstellen, da gibt es richtig viel zu tun. Nach welchen Prinzipien gehen Sie bei Ihrer Arbeit vor?

Ich frage: Ist alles verkehrssicher und barrierefrei? Und ich versuche die Gruppen, die besonders fußverkehrsaffin sind, im Blick zu behalten. Das sind Kinder und Jugendliche, Senioren sowie Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigungen. Die haben auch einen besonders großen Bedarf für sicheren, barrierefreien Verkehr.

Warum denken Sie, dass es Fußverkehrsverantwortliche braucht?

Fußverkehr ist die Basismobilität, ohne funktioniert nichts. Alle anderen Verkehrsarten sind abhängig von Fußverkehr. Wer Auto oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln – dem ÖPNV – fährt, läuft bis dahin auch zu Fuß. Ohne Fußverkehr ist eine Stadt tot – wie im Bild der Stadt mit den hochgeklappten Bürgersteigen. Fußverkehr ist also Quelle von Urbanität und Leben in der Stadt. Es geht dabei nicht nur um Mobilität, sondern auch um Aufenthaltsqualität und Teilhabe im öffentlichen Raum.

Ganz schön poetisch! Gleichzeitig sind die einzelnen Maßnahmen auch ein bisschen trivial: Zebrastreifen, Gehwege, Ampeln. Warum hat denn nicht jede Stadt einen Fußverkehrsbeauftragten?

Wahrscheinlich, weil man scheinbar Triviales oft als Selbstverständlichkeit wahrnimmt. Man denkt, das läuft automatisch. Das ist aber nicht der Fall. Fußverkehr wurde in der Vergangenheit sehr oft an den Rand gedrängt, hat sozusagen nur noch die Reste abbekommen, während andere Verkehrsarten starke Lobbygruppen haben. Der Autoverkehr und Radverkehr hat beispielsweise eine total starke Lobby. Deswegen muss sich jede Stadt, jedes Dorf eigentlich viel intensiver mit dem Thema Fußverkehr beschäftigen.

Beschäftigen Sie sich auch in Ihrer Freizeit mit Verkehrsthemen?

Ja klar, irgendwann wird man auch berufskrank. Wenn ich an einer Straße langlaufe, dann mache ich mir immer Gedanken, was noch verbessert werden könnte. Und wie alle Menschen laufe ich natürlich auch im Alltag. Meistens bin ich aber mit dem Fahrrad unterwegs. Das klappt auch mit zwei Kindern gut in Leipzig und man ist nicht zwingend von einem privaten Pkw abhängig.

Was für ein Projekt, das sie bisher umsetzen konnten, liegt Ihnen besonders am Herzen?

Ich freue mich grundsätzlich, dass man bei meiner Arbeit relativ schnell Resultate sieht. Also auch ein Zebrastreifen braucht eine Planung und es dauert vielleicht ein oder zwei Jahre, aber dann ist er da. Es sind die vielen Kleinigkeiten, aber die freuen mich. Und wenn größere Projekte wie der Superblock gelingen, dann freut mich das umso mehr.

Was war die Idee hinter dem Superblock?

Die Idee ist erst mal, Durchgangsverkehr zu vermeiden. Wie stellen in vielen Städten fest, dass wir zu viel Verkehr haben – vor allem auch zu viel Verkehr in Wohnvierteln, wo man den eigentlich nicht haben will.

Und was wird dann dagegen gemacht?

Die Idee von Superblocks ist es, diagonal zu sperren – also einmal eine Reihe von Pollern quer über die Straße zu ziehen. Das wirft den Verkehr in Schleifen, man kann also nicht mehr einfach so durch ein Quartier durchfahren. Gleichzeitig bleibt jedes Haus weiterhin mit dem Autor erreichbar.

Ist das allein genug?

Ein Superblock entsteht nicht, indem man an einer Stelle was macht, sondern man muss das gesamte Quartier in den Blick nehmen. Und das haben wir auch gemacht. Wir haben uns die beiden Stadtviertel, also Volkmarsdorf und Neustadt-Neuschönefeld nördlich der Eisenbahnstraße, angeschaut. Dafür haben wir alle Verkehrsarten, also Kfz-Verkehr, Radverkehr, Fußverkehr, ÖPNV geprüft, wir haben Grünflächen analysiert, haben den ruhenden Verkehr, also parkenden Verkehr, unter die Lupe genommen und uns auch die Dinge wie Carsharing angeschaut. Daraus haben wir dann einen bunten Blumenstrauß an konzeptionellen Überlegungen entwickelt.

Rund um das Pilotprojekt des Superblocks gab es viel Kritik. Es gab eine Petition dafür und eine dagegen und die CDU hat auf Wahlplakate »Superblock stoppen« gedruckt. Wie gehen Sie damit um?

Wir haben gelernt, dass man die Menschen stärker miteinbeziehen muss. Aber man kann nicht allen Ansprüchen gerecht werden. Man muss sich auch davon verabschieden, dass am Ende alle glücklich sind. Es gibt Zielkonflikte. Also wenn ich das Ziel habe, mehr Grün in die Straße zu bringen, mehr Bäume zu pflanzen und es gleichzeitig aber auch die Leute gibt, die einen Parkplatz brauchen – dann geht manchmal nicht beides, weil der Raum begrenzt ist.

Wo sehen Sie in Leipzig noch Verbesserungsbedarf für Fußgänger?

Wenn wir Bürger befragen, dann kommt eigentlich immer raus, dass wir noch mehr in die Sanierung von Gehwegen investieren müssen. Das ist jetzt nicht besonders sexy und innovativ und keiner schneidet ein rotes Band durch, nachdem Schlaglöcher zugemacht wurden. Aber das ist, was die Leute in ihrem Alltag direkt betrifft – gerade ältere Menschen oder Menschen mit Beeinträchtigungen. Und auch mit den notwendigen Bordsteinabsenkungen kommen wir leider bisher noch nicht hinterher.

Darauf wäre ich jetzt gar nicht gekommen. Gibt es noch andere Baustellen?

Der zweite wichtige Punkt ist Verkehrssicherheit. Es gibt enormen Bedarf für viel mehr sichere Querungen. Und es ist mir auch ein sehr starkes Anliegen, dass wir ein gemäßigtes Verkehrssystem bekommen mit Tempo 30. Tempo 50 ist keine verträgliche Geschwindigkeit für urbane Gebiete.

Warum nicht?

Wenn wir die Vision Zero, also das Ziel von null Verkehrstoten, umsetzen wollen, dann müssen wir die Städte stärker auf die schwächsten Verkehrsteilnehmenden ausrichten. Das heißt, Geschwindigkeit drosseln – besonders vor Schulen und Spielplätzen. Wir brauchen eine verzeihende Infrastruktur mit dem Fokus Sicherheit vor Geschwindigkeit.

Wenn wir schon bei den ganz großen Themen sind – was braucht es, um Fußverkehr und Klimaschutz zusammenzubringen?

Wenn wir das Pariser Klimaabkommen ernst nehmen, dann müssen alle mitmachen. Alle wissen, dass im Verkehrssektor die CO2-Emissionen nicht sinken, sondern im Gegenteil zugenommen haben. Deswegen brauchen wir auch eine forcierte Mobilitätswende und nicht nur eine Antriebswende. Dafür benötigen wir mehr ÖPNV, mehr Radverkehr und auch mehr Fußverkehr. Der Fußverkehr wächst mit, wenn der ÖPNV wächst. Maßnahmen im Fußverkehr werden allein jetzt keinen enormen Effekt haben, die drohende Klimakrise aufzuhalten. Aber im Mosaik mit vielen kleinen Dingen, sind sie schon ein signifikanter Beitrag, um die Mobilitätswende auf die Füße zu stellen.

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