Walmart: Chinesischer Tiefkühlfisch bis zum Horizont

Zwischen Walmart und Totalausfall – Kolumnist Raul Zelik staunt über globale Ungleichzeitigkeiten

Hier Konsumhölle, da ökonomischer Totalausfall - Dominospieler auf Kuba.
Hier Konsumhölle, da ökonomischer Totalausfall - Dominospieler auf Kuba.

Gewiss, man darf sich den Verfall der Welt nicht schönreden. Aber ist es nicht doch so, dass das 21. Jahrhundert wundersame Erfahrungen bereithält? Zum Beispiel grenzüberschreitende Kommunikation: Ich besichtige einen Walmart-Supermarkt in Nordamerika. Auf gefühlt 250 Yards Regalstrecke reihen sich die Chips-Sorten grell aneinander: Frito Lay Sour Cream, Ruffles Baked Cheddar 65 % Less Fat, Pringles Jalapeno Flavour Potato ... Es gibt gar nicht genug Worte, um abzubilden, was sich die »Brand Manager« an Geschmacksrichtungen alles ausgedacht haben. Auf die frittierten Kartoffelscheibchen folgen Frühstücks-Cerealien, Tiefkühlfisch, Haushaltsgeräte, Werkzeug, Arbeitskleidung und, weit am Horizont, das Getränke-Department. Interessant auch: Obgleich Amerika wieder groß werden möchte, kommen die meisten Produkte aus China. Der Volksrepublik!

In diesem Moment ruft der Sohn über Messenger-Dienst an. Aus Kuba, erste Funknetzverbindung nach mehrtägigem Stromausfall. Zumindest über das sozialistische Handynetz lässt sich nicht meckern – sobald der Strom da ist, funktioniert es besser als in weiten Teilen Thüringens. Die Versorgungslage hingegen ist eher so »naja«: eineinhalb Stunden Schlangestehen für zwei Stück Weißbrot. Den Gedanken, dass diese einzige Walmart-Filiale die gesamte kubanische Bevölkerung vermutlich ein Jahr lang versorgen könnte, behalte ich ebenso für mich wie die daran anschließende Frage, warum China seine Haushaltsgeräte und Tiefkühlfische eigentlich so bereitwillig den USA überlässt, mit denen doch Krieg droht, nicht aber dem verbündeten sozialistischen Inselstaat.

Stattdessen sprechen wir – bestes Familienthema – über Fernsehserien. Der Junior erzählt, dass er zum ersten Mal in seinem Leben US-amerikanisches TV aus Florida gesehen habe, das auf Kuba offenbar bestens zu empfangen ist. »Was für eine Gehirnwäsche!«, sagt er empört. »Die Wahlspots von Trump und Harris – so bescheuert, als wären sie ironisch gemeint! Und dann die ganze Werbung. Alle 5 Minuten commercial break.« Der Sohn, der sich für politische Indoktrination seit jeher unempfänglich zeigt, kommt zu dem Schluss: »Verglichen damit ist das kubanische Staatsfernsehen gar nicht so schlecht.«

Das 21. Jahrhundert: Man plaudert im Internet, als stünde man im selben Raum, und lebt doch in völlig unterschiedlichen Welten. Hier Tiefkühlfisch aus der Volksrepublik bis zum Horizont, dort ökonomischer Totalausfall. Das Einzige, was den globalen Laden zusammenhält, ist das heraufziehende Gefühl des Zusammenbruchs. Wie schön, dass wir darüber sprechen konnten.

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