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Papier von Christian Lindner: Die Axt am Klimaschutz

FDP-Chef möchte in diesem Politikfeld alles umkrempeln

Anders als Greenpeace möchte Christian Lindner vor Borkum Erdgas fördern lassen.
Anders als Greenpeace möchte Christian Lindner vor Borkum Erdgas fördern lassen.

Vor gut einem Jahr dachte Christian Dürr in einem Positionspapier laut über eine nationale Energiestrategie nach. Für den Chef der FDP-Bundestagsfraktion bedeutet demnach die Energiewende im Kern, Erdgas durch Wasserstoff sowie Benzin und Diesel durch E‑Fuels zu ersetzen. Er stellt darin die Machbarkeit eines Energiesystems, das vor allem auf den direkten Einsatz von Ökostrom baut, in Zweifel. Wenigstens richtete Dürr seine Forderungen noch auf das gesetzlich festegelegte Ziel der Klimaneutralität bis 2045 aus.

Damit räumt Dürrs Parteivorsitzender Christian Lindner jetzt noch auf. In seinem Papier für eine »Wirtschaftswende« kritisiert der Bundesfinanzminister den angeblichen deutschen »Sonderweg« beim Klimaschutz. Auf den 18 Seiten verlangt er im Grundsatz, Deutschlands Klimaziele durch die europäischen Ziele zu ersetzen. »Während die EU im Jahr 2050 klimaneutral werden will, zielt Deutschland weiterhin auf Klimaneutralität schon im Jahr 2045«, heißt es dazu unverblümt.

Lindner lässt sich in dem Papier auch das bei Klimaskeptikern beliebte Argument vom verschwindend geringen Anteil Deutschlands an den weltweiten CO2-Emissionen nicht entgehen.

Lindner begründet die Verschiebung der Klimaneutralität um fünf Jahre mit dem in der Fachwelt diskutierten »Wasserbett-Effekt«: Wenn ein Land seine Emissionen zu schnell reduziert, werden im EU-Handelssystem die Verschmutzungszertifikate so billig, dass dies in anderen Mitgliedstaaten einen Anreiz für höheren Ausstoß gibt. Studien zeigen allerdings schon lange, dass dieser Effekt mit der Emissionshandels-Reform von 2018 Geschichte ist. Damals wurde festgelegt, dass überschüssige Zertifikate ab 2023 zum Großteil entweder automatisch aus dem System gelöscht werden oder – sofern sie aus der Stilllegung von Kohlekraftwerken resultieren – auch von den am Handel teilnehmenden Staaten selbst entwertet werden können. Deutschland hatte dies zuletzt auch bei der Stilllegung von Kohleverstromung selbst so gehandhabt. Damit ist das Argument hinfällig, dass zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen nichts bringen, betonen denn auch Experten.

Lindner lässt sich in dem Papier auch das bei Klimaskeptikern beliebte Argument vom verschwindend geringen Anteil Deutschlands an den weltweiten CO2-Emissionen nicht entgehen, obwohl die Bundesrepublik auf Platz sechs der größten Verschmutzer liegt. Diesen beziffert das Papier unter Berufung auf die EU-Kommission mit 1,3 Prozent. Die meisten anderen Quellen sehen Deutschlands Anteil indes eher bei etwa 1,8 Prozent, einzelne sogar bei vier Prozent. Nach Lindners Vorstellung soll Deutschland künftig auch kein »Vorreiter« beim Klimaschutz mehr sein. Anzustreben sei stattdessen die Rolle eines »Vorbilds«, heißt es im Papier.

Um international aber wirklich als »Vorbild« gelten zu können, muss Deutschland nach Lindners Lesart die Klima- und Energiepolitik komplett umkrempeln. So möchte er in der EU die Abschaffung der Berichts- und Nachweispflichten aus dem »Green Deal« bewirken. Es sollen aber auch mehrere EU-Gesetze abgeschafft werden: die Taxonomie für nachhaltige Investitionen, die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, die Lieferkettenrichtlinie und der Aktionsplan für Kreislaufwirtschaft. Mit der Einführung des EU-Emissionshandels für Verkehr und Gebäude ab 2027 soll Deutschland, so heißt es im Papier, auf europäischer Ebene die Abschaffung der Regelungen zu Energieeffizienz, zu Gebäudeenergieeffizienz und den Flottengrenzwerten durchsetzen. Auch ein gesetzlich festgelegter Zeitpunkt für den Kohleausstieg sei nicht notwendig.

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Und damit nicht genug: Lindner möchte in Deutschland »klimapolitisch motivierte Dauersubventionen« abschaffen und den Klima- und Transformationsfonds auflösen. Der Zeitpunkt, ab dem laut Gebäudeenergiegesetz Heizungen vollständig klimaneutral sein müssen, soll um fünf Jahre verschoben werden. Der vorgeschriebene 65‑Prozent-Anteil erneuerbarer Energien bei neuen Heizungen soll zunächst abgesenkt und erst später wieder erhöht werden. Aufweichen will Lindner die Ziele des Wärmeplanungsgesetzes. Hingegen soll die umstrittene CO2-Speicherung im Rahmen der CCS-Technologie auch an Land zugelassen werden, ihre Nutzung nicht auf schwer vermeidbare Emissionen reduziert, sondern unbeschränkt ermöglicht werden. Und der FDP-Chef will zu guter Letzt auch noch die heimische Erdgasförderung ausbauen, etwa durch Nutzung des Gasfelds vor Borkum sowie von Fracking-Verfahren.

In den Bewertungen des Lindner-Papiers in den Medien ist meist nur die Rede davon, der FDP-Chef fordere eine Kehrtwende in der Wirtschafts- und Finanzpolitik und wolle sich als Koalitionspartner der Union andienen. Die klimapolitische Agenda bleibt weitgehend außen vor oder wird als Abkehr von überehrgeizigen Klimazielen bezeichnet. Dabei ist gerade sie katastrophal, denn Lindner möchte nicht weniger als die Axt an das nationale wie europäische klimapolitische Instrumentarium legen.

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