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Unheilige Allianz für Wohnungsneubau
Mieterbund und Eigentümervertretung Haus & Grund präsentieren gemeinsamen Forderungskatalog
So recht können sich Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbunds, und Kai Warnecke, Präsident der Interessenvertretung von Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer*innen Haus & Grund Deutschland, nicht erinnern: Sind sie 2018 oder 2019 zum letzten Mal gemeinsam auf einer Veranstaltung gesessen? Häufig kommt es jedenfalls nicht vor, dass die beiden Organisationen an einem Strang ziehen. Dass es mehr bezahlbaren Wohnungsneubau insbesondere für Rentner*innen, Auszubildende, Studierende und Alleinerziehende braucht, darüber sind sie sich jedoch einig.
In einem gemeinsamen Thesenpapier mit Vorschlägen für einen »Kurswechsel« in der Wohnungspolitik fordern sie deswegen Lösungen, mit denen »die hohen Mietbelastungen gestoppt, Spekulationen von großen Investoren mit Grund und Boden verhindert und der Neubau von Wohnungen deutlich gesteigert werden kann«.
Dazu zählen Mieterbund und Haus & Grund ein Zinsverbilligungsprogramm für den Wohnungsneubau, Bürokratieabbau und die Abschaffung »nicht notwendiger« technischer Standards im Bauwesen. Darunter fallen Anforderungen wie die Installation von acht Steckdosen pro Zimmer, wie Warnecke beispielhaft anführt.
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Vergebliche Mühe
Zwar habe das SPD-geführte Bauministerium sich Mühe gegeben, bessere Bauförderungen einzuführen, so Siebenkotten. Allerdings mit geringem Erfolg. Bezeichnend dafür sind die 25 bis 30 000 Sozialwohnungen, die anstelle der geplanten jährlich 100 000 Wohnungen gebaut wurden.
Um das zu ändern, sei die Mobilisierung von Bauland notwendig. Die Preise dafür sind bundesweit zwischen 2012 und 2022 durchschnittlich um 83 Prozent gestiegen, in großen Städten wie Berlin haben sie sich fast verdreifacht. Außerdem fordern Mieterbund und Haus & Grund eine Reform der Grunderwerbsteuer. Diese ist aktuell vom jeweiligen Bundesland abhängig und ist mit 6,5 Prozent am höchsten in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Schleswig-Holstein und im Saarland.
Größere Investoren profitieren dagegen von einem Steuerschlupfloch, den sogenannten Share-Deals. Dabei werden Immobilien in einem Unternehmen gebündelt, der Käufer übernimmt Anteile – Shares – am Unternehmen. Weil es sich nicht um einen Immobilienkauf im eigentlichen Sinne handelt, entfällt die Grunderwerbsteuer. Schätzungen zufolge entgehen dem Staat damit eine Milliarde Euro pro Jahr. Außerdem gehen Immobilien so vermehrt an internationale Großinvestoren, die kein Interesse daran haben, »wie es mit Kiez und Stadt weitergeht«, so Warnecke.
Dem sollte laut Ampel-Koalitionsvertrag Abhilfe geschaffen werden, bisher ist aber nichts geschehen. Der schwarz-rote Senat in Berlin strebt, laut Informationen der Deutschen Presseagentur, aktuell eine Bundesratsinitiative an, um Share-Deals abzuschaffen oder zumindest einzuschränken.
Die Umsetzung der Forderungen bis zur Regierungsneubildung 2025 dürfte sich schwierig gestalten, insbesondere, da aktuell über einen Koalitionsbruch spekuliert wird. Im Wohnbereich gebe es aber einen »gordischen Knoten« aus Zuständigkeiten beim Bund, bei den Ländern, wie die Grunderwerbsteuer, und den Kommunen, wie die Vergabe von Bauland. Dieser müsse gelöst werden, um die Politikverdrossenheit zu mindern, warnt Warnecke. Leeren Wohnraum zu übernehmen, löse die Wohnkrise laut Siebenkotten nicht – weil sich dieser meist an Orten mit wenig beruflichen Möglichkeiten und schlechter sozialer Infrastruktur befinde.
Positivbeispiel Bonner Genossenschaft
Dazu wollen die Verbände mit einem kooperativen Positivbeispiel vorangehen: In Bonn, wo nur sechs Prozent des Wohnungsmarkts preisgebunden sind, gründen sie die »zusammenstehen Genossenschaft«. Sie soll 55 barierrearme, preisgebundende Wohnungen und einen Kindergarten umfassen und 2026 fertig gebaut werden.
Das Projekt richtet sich, laut Plan, »insbesondere an Berufsgruppen mit systemrelevanten Tätigkeiten und Bürger*innen mit niedrigem Einkom-
men« und entsteht in Zusammenarbeit mit Sozialverbänden wie der Diakonie und der Caritas.
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