»Neuer Wehrdienst«: freiwillig, zunächst

Bundeskabinett stimmt Plänen von Boris Pistorius für neues Gesetz zu

Soll wieder häufiger vorkommen: Ein Wehrpflichtiger probiert am ersten Tag seines Wehrdienstes seinen Helm an.
Soll wieder häufiger vorkommen: Ein Wehrpflichtiger probiert am ersten Tag seines Wehrdienstes seinen Helm an.

Aus dem ehemaligen Musterungsbrief soll also ein digitaler Fragebogen werden: Am Mittwoch hat das Bundeskabinett den Gesetzesentwurf von Verteidigungsminiser Boris Pistorius (SPD) gebilligt, demzufolge ein »Neuer Wehrdienst« eingeführt werden soll. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass junge Männer, die 18 Jahre alt werden, Auskunft über ihre Bereitschaft und Fähigkeit zum Militärdienst geben müssen. Weil laut Grundgesetz nur Männer zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet sind, wäre das Ausfüllen für Frauen freiwillig. Jene Absender*innen, die besonders geeignet und motiviert für einen Wehrdienst erscheinen, sollen dann zur Musterung eingeladen werden. Ab Mitte 2025 könnte die Neuregelung in Kraft treten. Kritik kommt von der Friedensorganisation »Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner*innen« (DFG-VK).

»Das Gesetz zum Neuen Wehrdienst ermöglicht uns, die Wehrerfassung wieder zu installieren, die es seit Aussetzung der Verpflichtung zum Grundwehrdienst 2011 nicht mehr gibt. Wenn es morgen zum Verteidigungsfall käme, wüssten wir nicht, wen wir einziehen könnten, weil es keine vollständige Datengrundlage gibt«, sagte Pistorius der Deutschen Presse-Agentur. »Mit der Aussetzung des Wehrdienstes sind Wehrerfassung und Wehrüberwachung zerschlagen worden, obwohl der Staat gesetzlich dazu verpflichtet ist.«

»Wenn es morgen zum Verteidigungsfall käme, wüssten wir nicht, wen wir einziehen könnten, weil es keine vollständige Datengrundlage gibt.«

Boris Pistorius Verteidigungsminister (SPD)

Die Zahl der Soldaten war mit Stand Juni unter 180 000 Männer und Frauen gesunken. Es gibt zudem rund 60 000 beorderte – also fest eingebundene – Reservist*innen. Wegen der veränderten Sicherheitslage ist der Bedarf Deutschlands für die Nato-Ziele aber ganz anders. »Der deutsche Beitrag zur Bündnisverteidigung erfordert langfristig einen Verteidigungsumfang von insgesamt rund 460 000 Soldatinnen und Soldaten. Ein großer Teil davon, nämlich rund 260 000, muss aus der Reserve aufwachsen können«, sagt Pistorius. Derzeit bietet die Bundeswehr etwa 15 000 Ausbildungsplätze für freiwillig Wehrdienstleistende, von denen regelmäßig 5000 unbesetzt sind. Diese Leerstelle soll der neue Wehrdienst füllen – und darüber hinaus jedes Jahr 3000 weitere Ausbilungsplätze schaffen.

Die DFG-VK reagierte auf die Pläne mit einer Kampagne, die ebenfalls am Mittwoch an den Start ging. Unter dem Motto »Wehrpflicht? Ohne mich! – Yusuf und Jonna verweigern den Kriegsdienst« sammelt die Organisation Unterschriften auf der Kampagnen-Website. »Je mehr mitmachen, desto stärker der politische Druck gegen ein neues Wehrdienstmodell«, erklärt Yannick Kiesel, Referent für Friedenspolitik bei der DFG-VK. Die gesammelten Unterschriften werde die Organisation in einigen Monaten an die Bundesregierung übergeben.

»Die Freiwilligkeit ist erstmal mehr Schein als Sein.«

Yannick Kiesel Referent für Friedenspolitik bei der DFG-VK

Auf Instagram und Tiktok will die FDG-VK jene Menschen erreichen, die die Gesetzespläne direkt betreffen. »Wir wollen eine Plattform für junge Menschen sein, die nicht wissen, wie sie mit dem neuen Wehrdienstmodell umgehen sollen«, so Kiesel gegenüber »nd«. »Hierfür breiten wir gerade unsere Beratungsangebote massiv aus.« Die Nachfrage nach der sogenannten Kriegsdienstverweigerungsberatung (KDV-Beratung) sei bereits in den vergangenen Monaten stark gestiegen. Dazu Kiesel: »Wir werden so vielen Menschen wie möglich dabei unterstützen, nicht in die Armee gehen zu müssen oder wieder aus ihr herauszukommen.«

Auch wenn den aktuellen Plänen zufolge nur das Ausfüllen des Fragebogens verpflichtend ist, nicht aber der Wehrdienst selbst, spricht die DFG-VK von einer »angekündigte(n) Wehrpflicht«. »Diese Freiwilligkeit ist erstmal mehr Schein als Sein«, meint Kiesel. Denn bisher sei nicht bekannt, was passiere, wenn die Bundeswehr nicht auf die erwartete Anzahl an neuen Rekrut*innen kommt. »Wird dies dann einfach akzeptiert oder wird dieses neue Modell vielleicht weiter ausgeweitet? Das kann bisher niemand sagen«, so Kiesel. »Daher entschärfen wir diesen Begriff auch bewusst nicht.« Auf der Website des Verteidigungsministeriums heißt es, die Bewerber*innen würden nach Eignung und Motivation ausgewählt - »zunächst auf Basis der Freiwilligkeit«. mit dpa

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