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Die Brombeere reift in Sachsen nicht
BSW lässt Sondierungen wegen Friedensfrage platzen. CDU-Ministerpräsident trifft AfD-Chef
Neun Wochen nach der Landtagswahl und knapp zwölf Wochen vor dem spätesten Termin für die Wahl eines Ministerpräsidenten steht Sachsen in der Frage der Regierungsbildung wieder bei null. Die wahrscheinlichste Konstellation für eine künftige Koalition ist gescheitert, nachdem das BSW die Sondierungsgespräche mit CDU und SPD hat platzen lassen. Diese hatten nach längeren »Kennenlerngesprächen« vor zwei Wochen begonnen. Ursprünglich war avisiert, dass sieben Fachgruppen ihre Gespräche an diesem Donnerstag abschließen.
Parallel dazu hatten sich je zwei Spitzenvertreter der Parteien allerdings seit Montag an der sogenannten Friedensfrage festgebissen. Am Mittwoch teilte BSW-Landeschefin Sabine Zimmermann dann mit, CDU und SPD hätten sich einem Kompromiss verweigert. »Wer so Politik macht, verliert die Menschen im Land«, erklärte sie. Zudem habe es in der Frage der Migration große Differenzen mit der SPD und bei der Finanzpolitik mit der CDU gegeben.
Das BSW veröffentlichte auch die Formulierungen zum Thema Frieden, die von ihm »nach langen Vorverhandlungen« vorgelegt, aber von CDU und SPD abgelehnt worden seien. Darin heißt es etwa, den Krieg in der Ukraine »mit immer umfangreicheren Waffenlieferungen beenden zu wollen, führt nicht zu Frieden«. Sachsen solle sich in Bund und EU für diplomatische Initiativen einsetzen. Außerdem sollten die drei Parteien »anerkennen«, dass laut Umfragen die Menschen in Mitteldeutschland die geplante Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland mehrheitlich ablehnen. Die künftige Landesregierung sehe sich »in der Pflicht, dieser Position eine öffentliche Stimme zu verleihen«.
Schon bevor die absehbar brisante Friedensfrage aufgegriffen wurde, waren die Sondierungen nicht glatt gelaufen. Nur vier Tage nach deren Beginn setzte die SPD die Gespräche aus, nachdem das BSW im Landtag einem Antrag der AfD zur Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses zugestimmt hatte. Die Krise legte tiefgreifende Skepsis von SPD-Politikern gegenüber dem BSW offen. Martin Dulig, Wirtschaftsminister in der noch amtierenden Regierung von CDU, Grünen und SPD, artikulierte »Zweifel an der Redlichkeit« des BSW. Auch in der CDU gibt es starke Widerstände.
»Wer so Politik macht, verliert die Menschen im Land.«
Sabine Zimmermann BSW-Landeschefin
Nach dem Platzen der Sondierungen äußerte sich deren Landeschef Michael Kretschmer dennoch enttäuscht. Die Schuld für das Scheitern sah er bei BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht: »Diese Entscheidung ist keine, die in Sachsen getroffen wurde.« Fraktionschef Christian Hartmann fügte an, das Bündnis sei nicht an Differenzen zu landespolitischen Themen gescheitert, sondern ausschließlich an Präambel und Friedensfrage. SPD-Landeschef Henning Homann warf Wagenknecht und Zimmermann »machtpolitisches Kalkül« vor. Er betonte, die SPD sei »weiter bereit, Verantwortung zu übernehmen«. Allerdings stellen CDU und SPD zusammen nur 51 der 120 Abgeordneten im Landtag.
Damit steht nun insbesondere die CDU mit Ministerpräsident Michael Kretschmer vor heiklen Entscheidungen. Eine Mehrheitsregierung könnte sie theoretisch mit einem Viererbündnis unter Einschluss von Grünen und Linke bilden, das auf 64 Sitze käme. Allerdings hatte Kretschmer den bisherigen Regierungspartner Grüne immer wieder scharf angegriffen. Zur Linken gibt es einen Unvereinbarkeitsbeschluss.
Möglich wären außerdem eine Minderheitsregierung oder eine Koalition mit der AfD. Erstere hatte Kretschmer im Wahlkampf abgelehnt, weil sie quasi permanente Koalitionsverhandlungen nach sich ziehe: Man brauche »stabile Verhältnisse«. Ein Bündnis mit der AfD hatte er noch strikter ausgeschlossen. »Diesen Leuten darf man nicht die Führung überlassen, weil das gefährlich wird«, hatte er etwa gesagt. Dass ihre Vertreter andere Politiker als Volksverräter beschimpften, sei »ein großes Übel für unser Land«. Allerdings hatte sich Kretschmer am Dienstag, während die Sondierungen offiziell noch liefen, mit AfD-Landeschef Jörg Urban zu einem Gespräch getroffen, über dessen Hintergründe nach deren Scheitern munter spekuliert wurde.
Die Verhandlungen zur Regierungsbildung geraten derweil zunehmend unter Zeitdruck. Laut Landesverfassung muss der Ministerpräsident vier Monate nach Konstituierung des Landtags gewählt werden, die am 1. Oktober erfolgte. Sonst gibt es Neuwahlen. Die Frist läuft am 3. Februar ab.
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