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Im Fußball bestehen weiterhin reichlich rassistische Stereotype
Schwarzer Körper, weißer Geist? Der Sport scheint Vorurteile zu bestärken, die sich seit der Kolonialzeit hartnäckig halten
Es ist eine Frage der Zeit bis zur nächsten Empörung. Immer wieder kommt es im Fußball zu rassistischen Anfeindungen: Hassgesänge von Fangruppen, das Werfen von Bananen, Affenlaute. Häufig berichten Medien in solchen Fällen von »Skandalen«. Sportfunktionäre beklagen »gesellschaftliche Probleme«, die der Fußball »ausbaden« müsse. Als hätten wir es mit einer losen Folge von Einzelfällen zu tun.
»Wir sollten intensiver auf Strukturen schauen«, sagt dagegen die Sportsoziologin Tina Nobis, die an der Bergischen Universität Wuppertal forscht. »Wir nehmen bisweilen gar nicht mehr wahr, dass sich Stereotype tief in unserem Denken eingeschrieben haben.«
An ihrer früheren Wirkungsstätte, am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM), haben sich Tina Nobis und ihre Kollegen mit den Folgen für den deutschen Fußball befasst. 2022 veröffentlichten sie Forschungsergebnisse über »Stacking«. Dieser Ansatz sucht nach Befunden für eine vorurteilsbehaftete Zusammensetzung von Mannschaften. Einige der Ergebnisse für die erste und zweite Bundesliga: Auf den Spielpositionen im zentralen und defensiven Mittelfeld waren überproportional häufig weiße Spieler vertreten, also auf Positionen, die mit Führungsqualitäten, Spielintelligenz und Weitsicht verknüpft werden. Im Sturm und auf den laufintensiven Außenbahnen waren überproportional häufig schwarze Spieler vertreten. Es sind Positionen, die eher mit Kraft, Ausdauer und Temperament verbunden werden.
Schwarzer Körper, weißer Geist? Der Fußball scheint Vorurteile zu bestärken, die sich seit der Kolonialzeit hartnäckig halten. »Wir würden nie behaupten, dass der Trainer X oder der Manager Y rassistisch sind«, sagt Nobis. »Aber rassistische Zuschreibungen und unbewusste Stereotype spielen offenbar eine Rolle dabei, welche Spieler bereits im Nachwuchsbereich für bestimmte Positionen ausgebildet werden.«
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Im besten Fall sollten Medien über Stereotype aufklären, doch seit langem tragen sie zu deren Verbreitung bei. »Wir haben es im Sportjournalismus mit einer homogenen männlich-weißen Kultur zu tun, die womöglich noch einseitiger ist als in anderen journalistischen Genres«, sagt der Sportjournalist Philipp Awounou, der vor der Europameisterschaft im Sommer eine viel diskutierte Doku für die ARD produziert hat. »Diese Kultur begünstigt die Reproduktion von versteckten rassistischen Bildern.«
Eine Studie aus der Fußballsaison 2019/20 erhärtet diese Annahme. Forschende aus Dänemark und Großbritannien analysierten die TV-Kommentare bei 80 Spielen in England, Spanien, Italien und Frankreich. Einige Ergebnisse: Wenn Kommentatoren über Intelligenz und Arbeitsmoral sprachen, richteten sich mehr als 60 Prozent ihres Lobes an »Spieler mit hellerer Hautfarbe«. Beim Thema Kraft war es 6,59 Mal wahrscheinlicher, dass sie über einen »Spieler mit dunklerer Hautfarbe« sprachen, beim Thema Schnelligkeit war es 3,38 Mal wahrscheinlicher. Mit dieser Voreingenommenheit befördern die Kommentatoren das Vorurteil, dass schwarze Fußballer »von Natur aus sportlich oder mit gottgegebener Athletik ausgestattet« seien, heißt es in der Studie.
Für die Aufklärung über strukturellen Rassismus im Fußball werden weitere Studien nötig sein, die sich mit Medien, Sponsoring und Merchandising befassen. Die britischen Wissenschaftler Paul Ian Campbell und Marcus Maloney haben sich mit der Videospielserie Fifa von Electronic Arts beschäftigt. Seit der ersten Auflage des Spiels 1993 bemühen sich Programmierer, das Aussehen und die Fähigkeiten von realen Spielern auf deren digitale Versionen zu übertragen.
Paul Campbell von der University of Leicester und Marcus Maloney von der Coventry University haben die Datenerfassung für das Spiel von 2020 analysiert. Jeder Fußballer wurde in 29 Kompetenzbereichen benotet, zum Beispiel für Einwürfe, Sprungkraft oder für Kraft. Diese Noten wurden zu einer Punktzahl von eins bis 99 addiert. Campbell und Maloney schauten sich die 100 besten Spieler an. Es zeigte sich, dass schwarze Spieler bei den »körperlichen Kompetenzen« meist einen höheren Punkteschnitt erzielten als weiße Spieler. Das galt unter anderem für Sprintgeschwindigkeit (79,15 zu 71,63 Punkte), Sprungkraft (78,19 zu 71,24) und »Aggressivität« (74,04 zu 71,5).
Dagegen erzielten weiße Digitalspieler höhere Durchschnittswerte für technische und kognitive Fähigkeiten. Zum Beispiel, wenn es darum ging, »einen Ball zu kreuzen« (72,29 zu 71,35 Punkte) oder einen Pass präzise zu spielen (74,53 zu 71,04). »Unsere Ergebnisse zeigen subtile Wege, wie Stereotype verstärkt werden«, schreiben Paul Campbell und Marcus Maloney auf der Website The Conversation über ihre Studie. »Es besteht die Gefahr, dass Kindern tatsächlich beigebracht wird, dass schwarze und weiße Athleten bedeutungsvoll anders sind – durch den scheinbar unschuldigen und banalen Akt des Spielens.«
Stereotype wie diese sind weniger offensichtlich als Affenlaute im Stadion und lassen sich schwerer skandalisieren. Verbände und Vereine behaupten auch gern, dass sie offensiv gegen Rassismus vorgehen, etwa mit Kampagnen für »Respekt«, »Vielfalt« und »Diversität«. Zudem verweisen sie auf die Nationalmannschaften aus Deutschland, Frankreich oder England, in denen zunehmend Spieler mit Einwanderungsgeschichte zu den Führungspersönlichkeiten zählen. Aber: »Ich habe das Gefühl, dass die Diskussion nur an der Oberfläche kratzt«, sagt der langjährige Profispieler Pablo Thiam. »Wenn es der Profifußball ernst meinen würde, dann würde er mehr nicht-weiße Menschen in Führungspositionen bringen.«
Die Fußballindustrie verteilt ihre Macht auf mehrere hundert Vorstände, Geschäftsführer oder Aufsichtsräte. Die Zahl schwarzer Menschen in diesem Kreis lässt sich an zwei Händen abzählen. In England schafften es in fast 150 Jahren nur neun nicht-weiße Schiedsrichter in die obersten Spielklassen. Und im Rest Europas sind weniger als zehn schwarze Trainer in den Spitzenligen aktiv. Vincent Kompany beim FC Bayern ist der erste schwarze Chefcoach bei einem deutschen Spitzenklub.
Pablo Thiam, geboren in Guinea, hat nach seiner Spielerlaufbahn die Nachwuchsförderung beim VfL Wolfsburg und bei Hertha BSC in Berlin geleitet. Er möchte den Entscheidern im Fußball nicht unterstellen, dass sie Personen mit Migrationshintergrund bewusst ausschließen. Aber: »Bei Trainerseminaren oder Fortbildungen war ich fast immer der einzige schwarze Vertreter im Saal. Für mich war das normal, ich konnte damit umgehen. Doch andere würden sich vielleicht beobachtet und kontrolliert fühlen.«
Selbst wenn eine oder zwei schwarze Personen mithilfe einer Quote in einen Vorstand oder ein Schiedsgericht aufrücken würden, bedeutet das nicht, dass sie sich dort auch entfalten und ihre Talente einbringen können. So wächst die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihren Posten schnell wieder ernüchtert räumen. Thiam findet, dass man möglichst früh im Breitensport eine Kultur der Teilhabe schaffen sollte.
Vielleicht könnte der deutsche Sport auch vom American Football in den USA lernen. In den Auswahlverfahren für neue Trainer müssen Klubs der National Football League (NFL) auch nicht-weiße Kandidaten einladen. Die Rede ist von »Affirmative Action«, von einer bevorzugten Behandlung von marginalisierten Minderheiten. Seit Einführung dieser Regel ist die Zahl schwarzer Trainer in der NFL gestiegen.
Doch im deutschen Sport setzt man auf Freiwilligkeit und hofft auf eine »natürliche Entwicklung« zu mehr Vielfalt, schließlich sei der Fußball ein »Spiegelbild der Gesellschaft«. Die sogenannte Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zu menschenfeindlichen Einstellungen von 2023 legt einen anderen Eindruck nahe: »Schwarze Menschen sind im Sport besonders talentiert« – dieser Aussage stimmten 39,2 Prozent der Befragten ohne Sportbezug zu. Bei Befragten, die einem Fußballverein angehören, war die Zustimmung zehn Prozent höher.
Ronny Blaschke veröffentlichte vor kurzem sein sechstes Buch: »Spielfeld der Herrenmenschen – Kolonialismus und Rassismus im Fußball« (Verlag Die Werkstatt). Die Deutsche Akademie für Fußballkultur in Nürnberg zeichnete das Werk als »Fußballbuch des Jahres« aus.
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