Missbrauchsopfer fordert 400.000 Euro Schmerzensgeld

Prozess gegen Bistum Hildesheim kurz nach Eröffnung unterbrochen: Gericht schlägt Gütetermin vor

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Kläger Jens Windel (l.) am 8. November bei der Prozesseröffnung vor dem Landgericht Hildesheim mit seinem Anwalt Christian Roßmüller
Der Kläger Jens Windel (l.) am 8. November bei der Prozesseröffnung vor dem Landgericht Hildesheim mit seinem Anwalt Christian Roßmüller

Mindestens 400.000 Euro Schmerzensgeld verlangt Jens Windel vom Bistum Hildesheim. Denn in den 80er Jahren wurde er nach eigenen Angaben im Alter zwischen neun und elf Jahren immer wieder von einem Pfarrer vergewaltigt, der mittlerweile verstorben ist. Windel war damals Messdiener in Sorsum bei Hildesheim. Das Bistum habe Betroffene – Windels Peiniger hat sich mutmaßlich an vielen weiteren Jungen vergangen – nicht geschützt und sei nicht konsequent gegen den Geistlichen vorgegangen, sagt der heute 50-Jährige. Insgesamt haben sich bislang 18 Opfer des Pfarrers gemeldet. Am Freitag wurde der von Windel angestrengte Zivilprozess gegen das Bistum am Landgericht Hildesheim eröffnet.

Dass es Hinweise auf sexualisierte Gewalt des Geistlichen gegenüber Minderjährigen gibt, bestreitet das Bistum nicht. Allerdings lägen keine schriftlichen Quellen oder anderweitigen Hinweise auf am Kläger verübte Taten vor, erklärte es. Außerdem hat das Bistum die sogenannte Einrede der Verjährung erhoben. Damit liegt die Beweislast im Verfahren beim Kläger.

Der Vorsitzende Richter Jan-Michael Seidel deutete an, dass er der Argumentation des Bistums folgen würde. Er schlug vor, unter Vermittlung eines Güterichters eine Einigung zu versuchen. Dafür unterbrach Seidel den Prozess und teilte mit, dieser werde fortgesetzt, wenn der Versuch einer Einigung scheitere. Kläger und Beklagte stimmten dem Vorschlag zu.

Allerdings wurden Windel, der sich seit Jahren mit der von ihm gegründeten Betroffeneninitiative für Menschen einsetzt, die sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche erlitten haben, von der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen der katholischen Kirche 50.000 Euro zugesprochen.

Deshalb und aufgrund anderer widersprüchlicher Aussagen könne sich das Bistum nicht auf die Einrede der Verjährung berufen, meint Windels Anwalt. So habe es auch ein Entschuldigungsschreiben für das erlittene Unrecht an Windel gegeben, und für seine Aufklärungsarbeit als Betroffenensprecher sei ihm mehrmals öffentlich gedankt worden. Allerdings resultiert aus den Anerkennungsleistungen keine Anerkennung einer »Rechtspflicht«.

Lange hatte Windel das Geschehene verdrängt, doch 2013 führte ein Unfall dazu, dass die Übergriffe in seinem Bewusstsein wieder präsent wurden. Windel leidet nach wie vor darunter, hat eine posttraumatische Belastungsstörung, wird von Depressionen heimgesucht. Hätte er schon vor Jahren Klage auf höheres Schmerzensgeld erheben müssen, das er auch als Ausgleich für Behandlungskosten, Verdienstausfälle und geringere Rente ansieht? Ja, meint das Landgericht, und zwar bis spätestens 2015.

Der Schmerzensgeldprozess ist der erste dieser Art gegen die katholische Kirche in Niedersachsen. Im Juni 2023 sorgte ein ähnliches Zivilverfahren in Nordrhein-Westfalen für Aufsehen: Das Landgericht Köln verurteilte das dortige Bistum zur Zahlung von 300.000 Euro an einen 63-Jährigen.

Betroffeneninitiativen fordern in einer Petition, dass die Kirche in Zivilprozessen generell auf die Einrede der Verjährung verzichtet. Sie wurde bis Montagnachmittag von mehr als 68.500 Menschen unterschrieben.

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