»Es steht viel auf dem Spiel«

Basisaktivist Fadel Wade über die Wahlen im Senegal

  • Interview: Benjamin Beutler
  • Lesedauer: 6 Min.
Premier Ousmane Sonko (Mitte) im Wahlkampf für die Partei Pastef in der Hauptstadt Dakar.
Premier Ousmane Sonko (Mitte) im Wahlkampf für die Partei Pastef in der Hauptstadt Dakar.

Am Sonntag stehen vorgezogene Parlamentswahlen an. Die Partei Afrikanische Patrioten Senegals für Arbeit, Ethik und Brüderlichkeit (Pastef) stellt seit den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2024 die Mehrheitsverhältnisse auf den Kopf. Die Pastef-Führungsfiguren Bassirou Diomaye Faye und Ousmane Sonko stehen als Präsident bzw. Premierminister an der Staatsspitze. Was genau macht sie für die senegalesische Bevölkerung, insbesondere für die Jugend, so beliebt?

Die Popularität von Pastef beruht auf der tiefen Ablehnung von Ungerechtigkeit und Korruption, die viele Senegalesen heute empfinden. Besonders die Jugend ist enttäuscht von den alten politischen Eliten, die das Land über Jahre hinweg ausgeplündert haben. Die Pastef-Führung hat viele dieser Ungerechtigkeiten am eigenen Leib erfahren. Sie selbst wurden Opfer von Machtmissbrauch und Korruption.

Sie spielen auf den Umstand an, dass Sonko wegen Vergewaltigungsvorwürfen im Gefängnis saß und deshalb nicht bei den Präsidentschaftswahlen antreten konnte …

Unter anderem, ja. Was Pastef besonders auszeichnet, ist die Fähigkeit, die junge Wählerschaft zu mobilisieren, eine Wählerschaft, die die Mehrheit im Senegal stellt. Es ist Pastef, die es geschafft hat, junge Menschen zu motivieren, sich auf den Wählerlisten eintragen zu lassen und ihre Stimme zu erheben. Diese politische Bewegung hat den jungen Leuten das Gefühl gegeben, dass sie gehört werden. Dass Veränderung möglich ist.

Interview

Fadel Wade ist Basisaktivist im Senegal, Fischer und Vorsitzender der landesweiten Plattform von Akteuren für Klimagerechtigkeit. Von den Parlaments­wahlen erhofft er sich einen Wandel zum Besseren.

Die senegalesische Demokratie ist seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1960 stabil wie keine andere in Westafrika. Die Politik ist stark von Traditionen wie Familie, Religion und regionalen Bindungen geprägt. Wie beeinflusst das die politische Landschaft des Landes?

Das stimmt. Die senegalesische Demokratie ist nicht nur ein politisches System. Die Demokratie ist auch tief in unserer Kultur verwurzelt. Unsere Gesellschaft basiert auf traditionellen Familienstrukturen, religiösen Zugehörigkeiten und geografischen Verbindungen. Diese Faktoren spielen eine enorme Rolle, wenn es um die politischen Entscheidungen geht, die hier getroffen werden. Viele Menschen wählen nicht nur aufgrund politischer Überzeugungen, sondern auch wegen familiärer Bindungen oder religiöser Zugehörigkeit. Im Senegal kennt man keine rassistische oder ethnische Diskriminierung – zumindest nicht im offenen Sinne. Unsere politischen Konflikte sind oft weniger ideologisch und mehr auf diese tief verwurzelten sozialen Verhältnisse zurückzuführen. Das macht unsere politische Landschaft einzigartig. Aber auch herausfordernd, weil es nicht nur um die politische Vision geht, sondern auch um die sozialen Beziehungen zwischen den Menschen.

Im Senegal liegt der Altersschnitt bei 19 Jahren. Die Jugend spielt somit eine zentrale Rolle in der Politik. Wie würden Sie die politische Haltung der jungen Generation beschreiben, besonders im Vergleich zu früheren Generationen?

Die junge Generation im Senegal ist definitiv politisch aktiver als je zuvor. Was man über die heutige Jugend sagen kann, ist, dass sie keine Lust mehr auf alte Ideologien hat. Die sozialistische Partei regierte über 40 Jahre. Dann kamen die Demokraten für weitere 20 Jahre an die Macht. Beide versäumten es, eine echte Politik für die Jugend zu entwickeln. Was die heutige Generation von der vorherigen unterscheidet, ist die Weigerung, sich weiterhin mit leeren Versprechungen abspeisen zu lassen. Sie haben ihre eigene Vorstellung von Politik, die stark auf Gerechtigkeit, Transparenz und praktischen Lösungen basiert. Pastef hat dieser Jugend wieder Hoffnung gegeben. Anstatt sich auf veraltete politische Ideologien zu stützen, setzt Pastef auf einfache, klare Werte: Dioub (Respekt), Dioubal (Gerechtigkeit), Dioubanti (Dankbarkeit). Das versteht jeder. Diese traditionellen Werte sprechen die Jugendlichen an, weil sie das Gefühl haben, dass es endlich eine politische Bewegung gibt, die ihre Anliegen ernst nimmt.

Was muss konkret getan werden, um die bestehenden Missstände zu beheben?

Zuerst müssen wir sicherstellen, dass die Verantwortlichen für die Veruntreuung öffentlicher Gelder zur Rechenschaft gezogen werden. Das betrifft vor allem die Politiker, die sich an den Ressourcen des Landes bereichert haben. Wir müssen all diese Gelder zurückfordern. Dann müssen wir uns die Verträge mit den Bergbauunternehmen ansehen, die oft ihre Steuern nicht ordnungsgemäß zahlen oder ungünstige Bedingungen für das Land ausgehandelt haben.

Im Senegal wurde Öl und Gas entdeckt, viele hoffen auf mehr Staatseinnahmen, auch Deutschland will Gas importieren.

Der Senegal hat immense natürliche Ressourcen, die für die Entwicklung des Landes genutzt werden könnten. Aber um diese Ressourcen gerecht zu verteilen, braucht es Führungspersönlichkeiten, die ehrlich sind und den Willen haben, die Verhältnisse zu ändern. Was uns in dieser Hinsicht Hoffnung gibt, ist der Entwicklungsplan Vision 2050, mit dem auf die Schaffung von Agropolen (Agrarzentren) und Wasser-Autobahnen gesetzt wird. Diese Infrastrukturprojekte könnten der Jugend Arbeit und Perspektive bieten. Wenn diese Projekte gut umgesetzt werden, könnte das die Armut im Land bekämpfen und den Lebensstandard erheblich verbessern. Zudem laufen derzeit Verhandlungen zur Überarbeitung bestehender Öl- und Gasverträge, um eine gerechtere Verteilung der Gewinne zu ermöglichen. Es ist klar, dass der Senegal das Potenzial hat, ein wohlhabendes Land zu sein. Aber dazu müssen die bestehenden Missstände korrigiert werden.

Pastef-Führungsfigur und Premierminister Ousmane Sonko hat westliche Länder gewarnt, LGBTQ-Rechte im Senegal auf die Agenda zu setzen – Homosexualität stünde im »Gegensatz zu unseren Werten«. Wie sehen Sie die Haltung der Gesellschaft, insbesondere der Jugend, zu diesem Thema?

Homosexualität wird im Senegal, wie auch in vielen anderen westafrikanischen Ländern, nicht akzeptiert. Etwa 95 Prozent der Bevölkerung sind Muslime, rund drei Prozent sind Christen – in beiden Religionen gibt es eine klare Ablehnung der Homosexualität. Leider zeigt sich das in gewalttätigen Vorfällen, bei denen homosexuelle Menschen misshandelt werden. Es gab Fälle, in denen junge Leute mit Gewalt gegen Homosexuelle vorgegangen sind, sei es durch Verweigerung einer Beerdigung auf einem Friedhof bis zum Verbrennen von Menschen. Diese Vorfälle sind tragisch und geben einen Einblick in die gesellschaftliche Haltung, die Homosexualität mit Intoleranz begegnet. Kein Politiker, egal wie fortschrittlich er sein mag, wagt es daher, diese Rechte öffentlich zu verteidigen, weil er weiß, dass es massive Widerstände geben wird. Das ist eine der großen Herausforderungen, die wir als Gesellschaft angehen müssen. Leider gibt es viele junge Menschen, die diese Haltung verinnerlicht haben und wo noch keine Veränderung in Sicht ist.

Welche Erwartungen haben Sie an die kommenden Wahlen?

Es steht viel auf dem Spiel. Die Senegalesen sind müde von den alten Parteien, die das Land jahrzehntelang geführt haben, ohne echte Veränderungen zu bewirken. Es gibt eine klare Erwartungshaltung: Die Senegalesen wollen eine Regierung, die endlich für Gerechtigkeit sorgt, die Korruption bekämpft und die Entwicklung des Landes vorantreibt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -