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Tödliche Baumängel für Profite
Bürgerprotest in Serbien fordert nach der Katastrophe in Novi Sad politische Konsequenzen
Fast jeden Tag kommt es derzeit in den beiden größten Städten Serbiens, in Novi Sad und in Belgrad, zu Demonstrationen gegen die Regierung des Balkanlandes. Proteste, deren Abflauen absehbar ist, die aber zum ersten Mal seit langem auch das Potenzial haben, vielleicht doch Wirkung zu zeigen.
Auslöser war der Einsturz des Vordachs vom Bahnhofsgebäude in Novi Sad am 1. November, bei dem 14 Menschen ums Leben kamen und drei weitere verletzt wurden. Das Bahnhofsgebäude war gerade erst saniert worden, die Neueröffnung lag erst vier Monate zurück. Vier Tage nach dem Unglück kam es zum größten Protest in Serbien seit den 1980ern, bei dem 20 000 Menschen den Rücktritt aller Verantwortlichen und strafrechtliche Konsequenzen forderten.
Konsequenzen, welche einem Regierungssturz gleichkämen, da konkret auch der Rücktritt des amtierenden Premierministers Miloš Vučević verlangt wird. Der hatte als damaliger Bürgermeister der zweitgrößten serbischen Stadt Novi Sad die Sanierung mit beschlossen. Und seine regierende rechte Serbische Fortschrittspartei ist für die Deregulierung der Bauaufsicht verantwortlich. Wo es einst klare Vorschriften sowie eine Aufsichtsbehörde gab, wurden diese zugunsten des »freien Flusses von Kapital« weitestgehend abgeschafft.
In Verbindung mit einer häufig korrupten Bauaufsicht hat die Profitorientierung der Bauindustrie über die vergangenen 15 Jahre zu einer Zunahme von Einstürzen von Gebäuden in Serbien geführt. Der Mangel an Transparenz und Rechenschaftspflicht wird auch durch Bauverträge gefördert, die nicht öffentlich gemacht werden. So ist bei der Bahnhofssanierung lediglich bekannt, welche Firma beauftragt war, und das dafür zwischen 16 und 65 Millionen Euro gezahlt wurden.
Medienkampagne gegen Demonstranten
Kein Wunder, dass viele Serben nach dem Unglück voller Wut und Trauer auf die Straße gehen, auch wenn es weniger werden. Zu einer von Oppositionsparteien organisierten Kundgebung in Belgrad am 11. November kamen nur noch 10 000 Menschen. Das liegt auch am Regime, das nach einem bekannten Drehbuch reagiert. Daška Milinovića und Mladena Urdarevića, zwei prominente regimekritischen Podcaster, sind deshalb überzeugt, dass es keine Konsequenzen für die Regierung geben wird.
So ließ die Polizei die Demonstrationen unbehelligt, schickte jedoch viele Beamten in Zivil unter die Menge, um jeweils im Nachgang eine ganze Reihe von prominenten Aktivisten festzunehmen und einzuschüchtern, wobei die Beamten in Zivil auch als Provokateure auftreten. Gleichzeitig erfolgte eine Kampagne der Regierungspartei, welche die meisten Medien in Serbien kontrolliert, in der von »ausländischen Elementen« gesprochen wird, die mit »terroristischer Gewalt« den Staat angreifen würden.
Die regierungsnahen Medien im Land reproduzieren dieses Narrativ, wonach es den Protestierenden nicht um die Opfer des Unglücks ginge. Gleichzeitig schweigen sie über die Repressionen gegen die Demonstranten und erzeugen damit die Fiktion, dass demokratischer Protest in Serbien möglich sei.
Die Regierung ihrerseits tut parallel so, als würde das Unglück von Novi Sad aufgearbeitet. Zurückgetreten ist bisher lediglich der Bauminister. Die Arbeit der offiziellen Untersuchungskommission hat – trotz Anhörung von mehr als 70 Personen – zu keiner einzigen Anklage geführt. Am Ende wird jedoch jemand als Sündenbock gefunden werden, der bestraft wird, ohne das dauerhafte Konsequenzen aus dem Unfall gezogen werden, so die Einschätzung von Marko Miletić, Chefredakteur der unabhängigen Onlinezeitschrift »Mašina«.
Umweltproteste wirken nach
Gleichzeitig gibt es auch die Hoffnung, dass die übliche Dynamik von Beschwichtigung und heimlicher scharfer Repression dieses Mal anders ausgehen könnte. Denn diesmal sind es weniger die in den politischen Betrieb des Regimes eingebundenen Oppositionsparteien, sondern Studierende und andere engagierte Menschen, die ständig neue Aktionen und Kundgebungen auf die Beine stellen.
So organisierten verschiedene Gruppen nach jeder Festnahme Solidaritätskundgebungen. Es gab eine Brückenblockade, eine 14-minütige Schweigeaktion sowie einen Generalstreik in Novi Sad, dazu öffentliche Infoveranstaltungen an der Kunsthochschule, um die Forderungen zu untermauern.
Gleichzeitig wurden diese um die nach einer Untersuchung des Vorgehens der Polizei erweitert und dazu aufgerufen, öffentliche Einrichtungen zu melden, die sich in einem schlechten Zustand befinden. Auch wurde eine eigene, von Bürger*innen betriebene Untersuchung des Einsturzes des Bahnhofsvordachs eingeleitet.
Den politischen Widerstand in Serbien in diesen Tagen stimuliert auch der bisher erfolgreiche Umweltprotests gegen die Eröffnung einer Lithiummine im Westen des Landes. Noch ist unklar, ob all das reicht, um der autoritären Regierung konkrete Veränderungen abzuringen.
Profitorientierung und eine häufig korrupten Bauaufsicht haben zu einer Zunahme von Gebäudeeinstürzen geführt.
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