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Kein Ende des Tötens in Sicht
Christoph Ruf hat in seinen Kolumnen lange zum Krieg in Gaza geschwiegen. Nun geht das nicht mehr
Seit dem 7. Oktober 2023 ist jede Menge Zeit vergangen, furchtbar viel Zeit. Über 50 Kolumnen durfte ich seither hier schreiben und nicht einmal habe ich das Thema wirklich zum Thema gemacht. Weil ich den Eindruck hatte, dass im Nahostkonflikt von beiden Lagern nur Extrempositionen geduldet werden, vollkommene Loyalität zu einer der beiden Seiten – ohne Zwischentöne. Vor allem hatte ich den Eindruck, dass man, bevor man sich äußert, erstmal seinen Standpunkt erklären müsste. Und dass das nicht geht auf 3100 Zeichen.
Aber nach diesem Wochenende kommt es mir verlogen vor, über Schwachkopf-Habecks Mimosentum zu schreiben, wenn doch eigentlich ein ganz anderes Thema alles überlagert. Ein Ende des Tötens ist nicht in Sicht. Wann der Wahnsinn aufhört? Nicht so bald, weil beide Seiten es nicht wollen. Und weil sie nicht dazu gezwungen werden. Und jetzt? Einfach zurücklehnen? Spätestens jetzt, wo klar wird, dass das Kriegsziel »Zerstörung der Hamas« offenbar beinhaltet, dass in weiten Teilen Gazas kein menschliches Leben mehr möglich sein soll, wird das nicht mehr gehen. Es ging schon in den vergangenen Monaten nicht mehr.
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.
70 Prozent der wohl über 40 000 Toten in Gaza sind Frauen und Kinder. Von der deutschen Regierung kommt dazu nichts, von den USA statt zustimmendem Schweigen künftig unter Trump wohl offene Affirmation. Das empört mich, auch als jemand, der weiß, dass Israel von Feinden und Fanatikern umzingelt ist und man sich nur in Erinnerung rufen muss, was am 7.10. genau an Bestialitäten passiert ist, um sehr viel Verständnis für Israel zu haben. Zudem fühle ich mich Israel kulturell und menschlich nahe, im Iran möchte ich keine Sekunde leben. Aber hindert mich das daran, Kriegsverbrechen, Schändungen und religiösen Wahn auf beiden Seiten zu verurteilen? Und festzustellen, dass auch Israel jedes Maß verloren hat?
Es reicht eigentlich auch, auf das Völkerrecht hinzuweisen, das wir ohne rot zu werden den Kindern ab Jahrgangsstufe acht als für unsere Gesellschaften unverhandelbar verkaufen. Echt? Dann müsste doch unumstritten sein, dass israelische Siedler nicht das Geringste im Westjordanland verloren haben und dass das Netanjahu-Regime nicht das geringste Recht hat, Lebensmittellieferungen nach Gaza zu verhindern. Und dass ein Minister sofort abberufen gehört, der keinen Hehl daraus macht, dass er Gaza als künftiges israelisches Territorium sieht.
Die Wahrheit ist: Das Völkerrecht interessiert Netanjahu nicht, seine drei rechtsradikalen Minister schon mal gar nicht. Es muss sie aber auch nicht interessieren, denn dem Westen fällt ja auch nicht mehr ein als Appelle, die ungehört verhallen und über 20 US-Ultimaten, die ohne Konsequenzen verstreichen.
Wenn muslimische Kinder – und genau das bekommen Lehrerinnen und Erzieher derzeit gespiegelt – den Eindruck haben, dass um ihre Toten keiner trauert, haben sie recht. Wenn sie daraus den Schluss ziehen, dass der Westen ein rein instrumentelles Verhältnis zu seinem eigenen Menschenrechts-Pathos hat, auch. Auch das wird Folgen haben. Wie alles, was wir tun. Oder unterlassen.
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