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Wahlkampf: Zwischen Urlaubssperre und Glühwein
Die vorgezogene Bundestagswahl am 23. Februar bereitet Parteien und Kommunen viel Kopfzerbrechen
Die Plakate könnten ein Problem werden. In dem Wahlkampf, in dem Sören Pellmann 2021 im Leipziger Süden ein Direktmandat für Die Linke errang und dieser so den Verbleib im Bundestag sicherte, wurden knapp 15 000 Werbeflächen mit seinem Konterfei und verschiedenen Slogans gehängt, »gestaffelt und über etliche Wochen hinweg«, sagt er.
Ab sofort ist Pellmann wieder im Wahlkampf. Ob er am 23. Februar im Wahlkreis 152 zum dritten Mal die meisten Erststimmen erringt, könnte erneut zur Existenzfrage für seine Partei werden. Bis zur Wahl sind es aber nur noch 95 Tage. »Wir haben viel weniger Zeit, um Plakate zu hängen«, sagt Pellmann. Zuvor müssen sie auch noch gedruckt werden, »und in den Druckereien klopfen ja jetzt alle Parteien an«.
Die Plakate sind freilich nur ein Problem, und nicht das größte. Seit der Fahrplan für die Vertrauensfrage von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag, die anschließende Auflösung des Parlaments und die vorgezogenen Neuwahlen steht, schießt bei den Kandidaten, aber auch bei Verantwortlichen in Parteien und Kommunen der Adrenalinspiegel in die Höhe.
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Zwar sei man prinzipiell »gut aufgestellt«, sagt Lars Kleba, Landesgeschäftsführer der Linken in Sachsen: »Wir haben schnell umgeplant.« Eine gewisse »Zeitnot« räumt er aber ein. In Windeseile müssen zunächst 16 Direktkandidaten und dann eine Landesliste aufgestellt werden. Für die Einladungen sind Fristen einzuhalten, für die Versammlungen braucht man Säle. »In der Vorweihnachtszeit ist das ein echtes Problem«, sagt Kleba.
Kurze Frist für Briefwahl
Laut Wahlgesetz müssten die Kandidaten schon am 16. Dezember feststehen. Regulär sind Wahlvorschläge am 69. Tag vor der Wahl einzureichen und bis zum 58. Tag von den Kreiswahlausschüssen zu prüfen. Diese Fristen dürften vom Bundesinnenministerium per Verordnung verkürzt werden. Bei der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 wurde sie halbiert. Erst dann aber können auch Wahlscheine gedruckt und Unterlagen für die Briefwahl verschickt werden. Die Zeit, die Briefwählern zur Stimmabgabe bleibt, ist damit deutlich kürzer als üblich; eine Wahl aus dem Ausland könnte am langen Postweg sogar scheitern.
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Dabei dürfte die Briefwahl zumindest in Sachsen im Februar gefragt sein wie nie, denn der Wahltermin ist genau in der Mitte der zweiwöchigen Winterferien. Dass man bei der Festlegung keine Rücksicht auf den Ferienkalender im bevölkerungsstärksten ostdeutschen Bundesland nahm, nennt Pellmann »respektlos«. Auf einen Wahltermin mitten im rheinischen Karneval hätte sich die Bundespolitik nie eingelassen, vermutet er: »Sie ist eben noch immer westdeutsch dominiert.«
Ferien-Wahltermin als Problem
Dass die Wahl in den Ferien stattfindet, vertieft auch bei den Verantwortlichen in Sachsens Rathäusern die Sorgenfalten. Dort steht man zum Beispiel vor der Aufgabe, Wahllokale zu finden und personell zu besetzen. Ausreichend Ehrenamtliche zu finden, sei generell ein Problem, »und in der Ferienzeit erst recht«, sagt Bert Wendsche, Oberbürgermeister von Radebeul und Präsident des sächsischen Städte- und Gemeindetages, der im MDR »schon ein bisschen Bauchschmerzen« einräumt.
Kommunen wie Chemnitz haben für Verwaltungsmitarbeiter bereits Urlaubssperren rund um den Wahltag verhängt. Allein dort werden 2000 Wahlhelfer benötigt. Theoretisch könnten Bürger zwangsverpflichtet werden, sagt Wendsche: »Aber das tut dem demokratischen Wahlprozess nicht gut.«
Für viele in den Parteien Engagierte fällt auch die Ruhepause zum Jahreswechsel weitgehend aus. »Am Tag nach Neujahr kommen die Plakate aus dem Druck«, sagt Kleba, »dann geht es richtig los.« Für Pellmann, der in Leipzig offiziell am 4. Dezember aufgestellt und am 11. Januar auch an die Spitze der Landesliste gewählt werden soll, hat der Wahlkampf schon begonnen: »Wir sind immer im Wahlkreis unterwegs und fahren das jetzt hoch.«
Dass es sich um einen Winterwahlkampf handelt, wie es ihn in Sachsen seit der Bundestagswahl 1990 nicht mehr gab, muss bei der Planung berücksichtigt werden. »Infostände machen wir trotzdem«, sagt Pellmann. »Aber Marktplätze füllt man da eher nicht.« Ermutigung kommt aus anderen Regionen. In Berlin etwa sei man »leiderprobt«, sagt die Linke-Ko-Vorsitzende Ines Schwerdtner. Dort wurden die Wahlen für Abgeordnetenhaus und Bundestag zuletzt jeweils im Februar 2023 und 2024 wiederholt. Schwerdtner verteilt wärmende Schals an die sächsischen Genossen. Pellmann will derweil verstärkt auf Haustürwahlkampf setzen, auch, »weil wir da immer mal im Trockenen sind«. Und Parteimanager Kleba empfiehlt den Wahlkämpfenden, auch Glühwein zu ordern – es aber nicht zu übertreiben: »Fünf Promille wären Mist, aber fünf Prozent wären toll!«
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