Teilhabe bis zum Schluss

Sterbebegleitung: Frühzeitige gesundheitliche Beratung und strukturiertere Ausbildungen fördern Inklusion

Erste Einblicke in die palliative Versorgung von Menschen mit Behinderungen gab es erst 2011.
Erste Einblicke in die palliative Versorgung von Menschen mit Behinderungen gab es erst 2011.

Seit 2009 ist in Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft. Sie soll die Rechte von Menschen mit Behinderungen fördern und schützen. Beinahe ebenso lange ist es her, dass die Bundesärztekammer daraufhin einen Katalog zur Verbesserung der medizinischen Versorgung von Menschen mit Behinderungen herausgab.

»Das steigende Bewusstsein für das Recht auf Teilhabe verbesserte auch den Zugang zu Leistungen«, resümiert Sabine Schäper in einem neuen Bericht. Zugleich scheint Sterbebegleitung je nach Standort noch sehr unterschiedlich ausgeprägt. Schäper leitete von 2017 bis 2023 ein Forschungsprojekt zum Sterben und der Begleitung am Lebensende für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung.

Die Leitfrage: Wie kann gleichberechtigte Teilhabe bis zum Lebensende gesichert werden? Dahinter stehen erschreckende Zahlen – so sind Menschen mit Behinderungen erheblich häufiger von Fehl- oder Falschdiagnosen betroffen. Ein nahendes Lebensende und tödliche Erkrankungen bleiben deutlich häufiger unerkannt und dementsprechend unbehandelt, wie eine Studie des Wissenschaftlichen Instituts der Allgemeinen Ortskrankenkasse von 2023 aufzeigte.

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Laut Schäper machen besonders Organisationsstrukturen an den Wohnorten und wie sehr diese nach Grundprinzipien der Teilhabe ausgelegt sind, einen Unterschied in der Sterbebegleitung. Ein wichtiger Faktor ist außerdem der Stand der Beratung gesundheitlicher Versorgung. Er kann Menschen frühzeitig befähigen, sich einzubringen. Um Mitarbeitenden mehr Handlungsfähigkeit zu ermöglichen, müsse zudem »das Thema Sterben in der pädagogischen Ausbildung und in der pflegerischen und medizinischen Ausbildung das Thema Behinderung eine größere Rolle spielen«, stellt Schäper im Gespräch mit »nd« fest.

Das Forschungsteam rund um Schäper untersuchte die Perspektiven der Eingliederungshilfe, der Hospiz- und Palliativversorgung sowie Betroffener und deren Angehöriger. Die Eingliederungshilfe ist eine Sozialleistung, die die individuelle Lebensführung von Menschen mit Behinderungen erleichtern soll. Mit 57 Prozent waren Wohngruppen der Eingliederungshilfe der häufigste Sterbeort unter den untersuchten Fällen. Das ist ein gutes Zeichen, erklärt Schäper. Personen leben im vertrauten Umfeld, wodurch die Zahlen unvorhersehbarer Sterbefälle sinken. Gesamtgesellschaftlich verlagert sich Sterben eher vom häuslichen Rahmen ins Krankenhaus. Es gäbe aber Luft nach oben.

Inklusion als Auslegungssache

Seit 2015 das Hospiz- und Palliativgesetz in Kraft trat, erhalten Menschen in Wohneinrichtungen der Eingliederungshilfe Beratungsleistungen zur Behandlungsplanung am Lebensende. Umgesetzt wird das in unterschiedlichem Maße. In manchen Einrichtungen äußern Betroffene den Wunsch, Entscheidungen selbstständig treffen zu können, Angestellte sehen sie jedoch nicht dazu in der Lage.

Deswegen müssten, so Schäper, Machtverhältnisse in Entscheidungsprozessen kritisch beleuchtet werden. Das bedeutet konkret, eben jene paternalistischen Betreuungsverhältnisse zu bearbeiten, zum Beispiel durch einen stärkeren Fokus in der Ausbildung. Aber auch, wie sie ergänzt, die Strukturen der Gesamtorganisationen partizipativer zu gestalten. »Es gibt keine selbstbestimmten Bewohner ohne selbstbestimmte Mitarbeiter«, stellt sie fest.

Die deutsche Wissenschaft hat sich im internationalen Vergleich verzögert mit Sterben und Trauer mit Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen beschäftigt. Das hat historische Hintergründe: Die Verbrechen des Nationalsozialismus hinterließen eine Generationenlücke. Die Zahl der Menschen mit Behinderung stieg deswegen hierzulande – und auch aufgrund einer verbesserten gesundheitlichen und sozialen Versorgung – erst nach der Jahrtausendwende signifikant. Erste Einblicke in die palliative Versorgung von Menschen mit Behinderungen gab es deswegen erst ab 2011.

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