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Wenn gesundes Essen zu teuer ist
Studie: Ernährungsarmut ist in Deutschland unter Haushalten mit Kindern weit verbreitet
»Dringend benötigte Erkenntnisse« würden am Mittwoch zur Ernährung armutsgefährdeter Familien vorgestellt, bemerkte Eva Bell vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) bei der Präsentation des neuen Ernährungsberichts der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Insgesamt 22,4 Prozent der bei einer neuen Studie befragten Haushalte waren demnach 2022 und 2023 von moderater oder starker Ernährungsunsicherheit betroffen.
Das bedeutet laut Definition der Vereinten Nationen, sie hatten nur einen eingeschränkten Zugang zu ausreichenden, sicheren und nahrhaften Lebensmitteln. Immerhin 3,2 Prozent der Teilnehmer*innen mussten sogar tageweise hungern. Unter sozialer Ernährungsunsicherheit litten 68,9 Prozent der Elternteile, fühlten sich also aufgrund der Nahrungssituation aus Aspekten des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen. Das Team rund um die Studie »Multidisziplinäre Erhebung der Ernährungs- und Gesundheitssituation von Personen in armutsgefährdeten Haushalten mit Kindern« (Mega-Kids) untersuchte die Ernährungssituation in knapp 500 armutsbetroffenen Haushalten, die sie über Tafeln, Jobcenter und Kleiderkammern rekrutierten.
Die Studie hat allerdings eine Einschränkung: Etwa 46 Prozent der teilnehmenden Eltern lebten zu Untersuchungsbeginn kürzer als ein Jahr in Deutschland, ein Großteil von ihnen wurde in der Ukraine geboren. Damit sind die Ergebnisse nur bedingt auf die armutsgefährdete Bevölkerung in Deutschland übertragbar.
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Mega-Kids soll dennoch Licht ins Datendunkel bringen. Wie Expert*innen so wie die Chefredakteurin des DGE-Reports, Ulrike Arens-Azevêdo, in der Vergangenheit wiederholt bemängelten, gibt es in Deutschland bisher keine verlässlichen Statistiken zu Ernährungsarmut. Das hänge, so die Vermutung, mit der verfehlten Annahme zusammen, die Ernährungslage sei in Deutschland nicht problematisch. In Schweden und Großbritannien gibt es dagegen eine sogenannte nationale Verzehrsstudie, in Frankreich Schuleingangsprüfungen, die die Versorgung der Kinder testen.
Nun zeigt sich in Deutschland: Sowohl armutsbetroffene Kinder, Jugendliche als auch Erwachsene verzehrten mehr Fleisch- und Wurstwaren sowie nährstoffarme Lebensmittel als empfohlen, stellte das Mega-Kids-Team weiter fest. Dafür nahmen sie weniger Obst, Gemüse, Fisch und Getreideprodukte zu sich. Was sich in der Studie außerdem herausstellte: Ernährungsunsicherheit steht in starkem Zusammenhang mit der psychischen Erkrankung eines Elternteils. Und: Ein geringes Haushaltsbudget für Lebensmittel schränkte nach Ansicht der Befragten auch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ein.
Die Autor*innen empfehlen künftig ein systematisches Monitoring der Ernährungssicherheit. Außerdem müssten Gemeinschaftszentren mit Mittagstisch, Lokale mit reduzierten Preisen für armutsgefährdete Familien und bessere Qualitätsstandards an Kitas- und Schulen eingeführt werden.
Eine Voraussetzung für die Überwindung von Ernährungsarmut sei darüber hinaus, wie Studienautorin Anja Simmet auf »nd«-Anfrage feststellte, dass die Regelsätze der Grundsicherung ausreichen müssten. Ob dem so sei, habe ihr Team nicht überprüft. Die Arbeit der Tafeln, die Armutsbetroffene mit Lebensmitteln unterstützen, dürfe jedoch höchstens als ergänzendes Angebot gelten.
»Wenn arme Menschen in Armut bleiben, durch etwa eine Nullrunde beim Bürgergeld, wird sich wenig ändern.«
Joachim Rock Paritätischer Wohlfahrtsverband
Joachim Rock, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, sieht die Probleme mit der Ernährungsunsicherheit in zu geringen Regelsätzen begründet, wie er gegenüber »nd« betont. Menschen mit wenig Geld würden notgedrungen zu weniger hochwertigen Produkten greifen, mit »fatalen physischen und psychischen Folgen« für sich und ihre Familie. »Wenn arme Menschen in Armut bleiben, durch etwa eine Nullrunde beim Bürgergeld, wird sich daran wenig ändern. Das wird uns allen noch auf die Füße fallen.« Denn das vermeintlich gesparte Geld komme durch hohe Behandlungskosten im Gesundheitssystem wieder »als Rechnung auf den Tisch«, ergänzt Rock.
Die Studienautor*innen verorten außerdem Barrieren im Bildungs- und Teilhabepaket. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung gaben deutlich weniger Personen an, Zugang zu einer warmen Mahlzeit in der Schule zu haben. Diese sollte das Paket Familien mit geringem Einkommen eigentlich finanzieren. Familien müssen das jedoch beantragen, es scheint hier eine Wissenslücke zu geben. Maßnahmen wie ein kostenloses Mittagessen an Bildungsstandorten wünschten sich die Studienteilnehmer*innen selbst am häufigsten. Bell vom BMEL kündigte an, bei künftigen Projekten auf den Bericht aufzubauen, zum Beispiel in Bezug auf Vernetzungsstellen zu Kita- und Schulverpflegung.
In naher Zukunft werde es auch mehr Forschung zu anderen Bereichen der Ernährungsarmut geben müssen, stellte DGE-Chefredakteurin Arens-Azevêdo fest, unter anderem zur Sitation von Senior*innen. Die Tafeln hatten noch im Sommer bemängelt, es gebe keine Zahlen zur Gemeinschaftsverpflegung von Menschen in Betrieben, Gesundheits- und Pflegeinstitutionen sowie Bildungseinrichtungen. Im DGE-Dokument findet sich nun ein erster Bericht zur Ernährung in Krankenhäusern und stationären Altenpflegeeinrichtungen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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