Klima-Debatte: Unruhig bleiben in verwirrenden Zeiten

Haben wir Nachhaltigkeit doch eher übergestülpt, statt sie gemeinsam zu gestalten? Eine Selbstreflexion.

  • Melanie Jaeger-Erben
  • Lesedauer: 3 Min.
Interessiert die Menschen überhaupt noch, wie schnell die Gletscher schmelzen?
Interessiert die Menschen überhaupt noch, wie schnell die Gletscher schmelzen?

Vor kurzen hatte ich mein 20-jähriges Jubiläum in der Nachhaltigkeitsforschung, aber die Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate versetzen mich in alles andere als Feierlaune. Bis vor Kurzem war ich überzeugt, ich würde »am Puls der Zeit« forschen, nah an den alltäglichen Herausforderungen der Menschen. Trotz vieler Hindernisse und auch immer wieder politischen Gegenwinds hat mich und viele andere Nachhaltigkeitsforschende die Hoffnung hochgehalten: »Sustainability sells in the end«. Wenn auch nicht heute oder morgen, wird sich also langfristig die Überzeugung durchsetzen, dass es eine gute Idee ist, Ressourcen zu schonen, natürliche Lebensgrundlagen zu erhalten und die Speisekammer der globalen Gesellschaft nicht so leer zu fressen, dass das Baumaterial anfängt zu leiden.

Doch dann wählen fast ein Drittel der Menschen in drei ostdeutschen Ländern eine Partei, die den Klimawandel für ein grünes Märchen hält, in den Niederlanden gewinnen anti-klimapolitische Narrative die Wahl und eine Mehrheit der US-Bevölkerung entscheidet sich für einen Kandidaten, der grüne Investitionen als »woke scams«, also Betrug, bezeichnet. Alles keine guten Nachrichten für die Nachhaltigkeit. Doch besonders irritierend war, dass gerade junge Menschen in einigen ostdeutschen Ländern zu mehr als einem Drittel für die AfD stimmen. Als würde uns diese Generation unsere vermeintlich Lebenswelt-nahe und beteiligende Forschungsarbeit um die Ohren hauen und all die Bemühungen um nachhaltige Bildung ad absurdum führen.

Melanie Jaeger-Erben

Prof. Melanie Jaeger-Erben lehrt Technik- und Umweltsoziologie an der Brandenburgischen TU Cottbus-Senftenberg.

Wo lag der Fehler? Wir waren überzeugt, dass wir mit unseren partizipativen Ansätzen die Menschen erreichen und »Teilhabe fördern« oder »Selbstwirksamkeit stärken«. Uns trieb die Überzeugung an, niemand würde nachhaltigen Wandel ablehnen, wenn nur die verschiedenen Lebensrealitäten dabei ausreichend berücksichtigt werden. Doch die Wahlergebnisse sprechen eine andere Sprache. Unsere jahrzehntelange Forschung scheint an einer wachsenden Zahl junger Menschen vorbeigegangen zu sein.

Nachhaltigkeit ist ein sperriges Thema. Es verkauft sich nicht wie Fast Fashion, die suggeriert, man könne für fünf Euro ein neuer Mensch werden. Stattdessen fordert Nachhaltigkeit Verantwortung, Geduld, Veränderungswillen – Dinge, die sich in einem Tiktok-Video schlecht darstellen lassen. Doch anstatt zu lamentieren, dass »die anderen« nicht verstehen, wie wichtig das alles ist, müssen wir uns fragen: Haben wir es falsch erzählt? Nachhaltigkeit ist keine Excel-Tabelle voller CO₂-Einsparpotenziale. Es sollte ein Versprechen an die Zukunft sein. Aber wer glaubt schon Versprechen, wenn der Gegenwart die Luft ausgeht?

»Stay with the trouble«, sagt die Wissenschaftsforscherin Donna Haraway – Bleib unruhig. Also keine schnellen Antworten, kein reflexhaftes Zeigen mit dem Zeigefinger. Stattdessen hinterfrage ich: Haben wir Nachhaltigkeit doch eher übergestülpt, statt sie gemeinsam zu gestalten? Nach 20 Jahren in der Nachhaltigkeitsforschung wünsche ich mir vor allem eines: weniger Selbstvergewisserung und (noch) mehr Neugier, weniger Glaskugeln und mehr Gespräch. Bleiben wir unruhig, bleiben wir dran. Denn Veränderung beginnt genau dort, wo wir aufhören, sie zu kontrollieren.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.