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- Krise der Nachhaltigkeit
Klima-Debatte: Unruhig bleiben in verwirrenden Zeiten
Haben wir Nachhaltigkeit doch eher übergestülpt, statt sie gemeinsam zu gestalten? Eine Selbstreflexion.
Vor kurzen hatte ich mein 20-jähriges Jubiläum in der Nachhaltigkeitsforschung, aber die Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate versetzen mich in alles andere als Feierlaune. Bis vor Kurzem war ich überzeugt, ich würde »am Puls der Zeit« forschen, nah an den alltäglichen Herausforderungen der Menschen. Trotz vieler Hindernisse und auch immer wieder politischen Gegenwinds hat mich und viele andere Nachhaltigkeitsforschende die Hoffnung hochgehalten: »Sustainability sells in the end«. Wenn auch nicht heute oder morgen, wird sich also langfristig die Überzeugung durchsetzen, dass es eine gute Idee ist, Ressourcen zu schonen, natürliche Lebensgrundlagen zu erhalten und die Speisekammer der globalen Gesellschaft nicht so leer zu fressen, dass das Baumaterial anfängt zu leiden.
Doch dann wählen fast ein Drittel der Menschen in drei ostdeutschen Ländern eine Partei, die den Klimawandel für ein grünes Märchen hält, in den Niederlanden gewinnen anti-klimapolitische Narrative die Wahl und eine Mehrheit der US-Bevölkerung entscheidet sich für einen Kandidaten, der grüne Investitionen als »woke scams«, also Betrug, bezeichnet. Alles keine guten Nachrichten für die Nachhaltigkeit. Doch besonders irritierend war, dass gerade junge Menschen in einigen ostdeutschen Ländern zu mehr als einem Drittel für die AfD stimmen. Als würde uns diese Generation unsere vermeintlich Lebenswelt-nahe und beteiligende Forschungsarbeit um die Ohren hauen und all die Bemühungen um nachhaltige Bildung ad absurdum führen.
Prof. Melanie Jaeger-Erben lehrt Technik- und Umweltsoziologie an der Brandenburgischen TU Cottbus-Senftenberg.
Wo lag der Fehler? Wir waren überzeugt, dass wir mit unseren partizipativen Ansätzen die Menschen erreichen und »Teilhabe fördern« oder »Selbstwirksamkeit stärken«. Uns trieb die Überzeugung an, niemand würde nachhaltigen Wandel ablehnen, wenn nur die verschiedenen Lebensrealitäten dabei ausreichend berücksichtigt werden. Doch die Wahlergebnisse sprechen eine andere Sprache. Unsere jahrzehntelange Forschung scheint an einer wachsenden Zahl junger Menschen vorbeigegangen zu sein.
Nachhaltigkeit ist ein sperriges Thema. Es verkauft sich nicht wie Fast Fashion, die suggeriert, man könne für fünf Euro ein neuer Mensch werden. Stattdessen fordert Nachhaltigkeit Verantwortung, Geduld, Veränderungswillen – Dinge, die sich in einem Tiktok-Video schlecht darstellen lassen. Doch anstatt zu lamentieren, dass »die anderen« nicht verstehen, wie wichtig das alles ist, müssen wir uns fragen: Haben wir es falsch erzählt? Nachhaltigkeit ist keine Excel-Tabelle voller CO₂-Einsparpotenziale. Es sollte ein Versprechen an die Zukunft sein. Aber wer glaubt schon Versprechen, wenn der Gegenwart die Luft ausgeht?
»Stay with the trouble«, sagt die Wissenschaftsforscherin Donna Haraway – Bleib unruhig. Also keine schnellen Antworten, kein reflexhaftes Zeigen mit dem Zeigefinger. Stattdessen hinterfrage ich: Haben wir Nachhaltigkeit doch eher übergestülpt, statt sie gemeinsam zu gestalten? Nach 20 Jahren in der Nachhaltigkeitsforschung wünsche ich mir vor allem eines: weniger Selbstvergewisserung und (noch) mehr Neugier, weniger Glaskugeln und mehr Gespräch. Bleiben wir unruhig, bleiben wir dran. Denn Veränderung beginnt genau dort, wo wir aufhören, sie zu kontrollieren.
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