Gleichstellungsbericht: Kühler Kopf in heißen Zeiten

Melanie Jaeger-Erben kommentiert den vierten Gleichstellungsbericht, der diese Woche im Kabinett beschlossen wurde

Gleichstellung und Nachhaltigkeit – Gleichstellungsbericht: Kühler Kopf in heißen Zeiten

In dieser Woche wurde der vierte Gleichstellungsbericht mit dem Titel »Gleichstellung in der sozial-ökologischen Transformation« im Kabinett beschlossen. Moment mal: Gleichstellung, Soziales, Ökologie – sind das nicht Themen von gestern? Die aktuellen Schlagzeilen dominiert doch ein ganz anderes Vokabular: Migration (natürlich immer als Problem), Aufrüstung (selbstverständlich als Lösung) und Emanzipation? Letztere findet allenfalls als geopolitisches Muskelspiel in Debatten zum Verhältnis zu den USA statt. Wer hat da schon Zeit, sich um so was wie Gleichstellung zu kümmern?

Aber genau deshalb ist dieser Bericht so wichtig. Während die Welt von Krise zu Krise zu taumeln scheint, gibt es langfristige Herausforderungen, die nicht einfach verschwinden, nur weil die Erregung gerade woanders liegt. Gleichstellung und Nachhaltigkeit sind keine Luxusdebatten für ruhigere Zeiten – sie sind die Basis dafür, dass Gesellschaften überhaupt zukunftsfähig bleiben.

Was also steht drin in diesem Bericht, der von einer unabhängigen Sachverständigenkommission verfasst wurde, in der auch ich mitgearbeitet habe? Der Fokus liegt auf den Wechselwirkungen zwischen sozialen Ungleichheiten und Umwelt- sowie Klimafragen. Die ökologische Krise ist nicht geschlechtsneutral. Wer verursacht sie? Wer leidet darunter? Wer profitiert von Umwelt- und Klimapolitiken? Und wer wird dabei vergessen? Der Bericht geht diese Fragen mit einer intersektionalen Perspektive an. Das heißt, er betrachtet nicht nur unterschiedliche Betroffenheiten entlang von Geschlecht, sondern berücksichtigt auch andere Faktoren wie Einkommen, Herkunft oder Bildung.

Melanie Jaeger-Erben

Prof. Melanie Jaeger-Erben lehrt Technik- und Umweltsoziologie an der Brandenburgischen TU Cottbus-Senftenberg.

Wie wichtig das ist, zeigen viele Beispiele: Steigende Temperaturen in Städten treffen arme Haushalte härter – und die bestehen überdurchschnittlich oft aus Frauen. Erneuerbare Energietechnik ist wichtig für Emissionsreduktionen – doch es sind oft Frauen und indigene Gruppen, die für Lithiumabbau und Co. von ihrem Land vertrieben werden. Und in der Stadtplanung stehen weiterhin das Auto und der Berufsverkehr im Vordergrund – und nicht die Mobilitätsbedürfnisse von Menschen, die Pflegearbeit leisten.

Der Bericht fordert daher, Gleichstellung als Querschnittsaufgabe in allen umwelt- und klimapolitischen Maßnahmen zu verankern. Es geht um Mitbestimmung, um faire Verteilung von Kosten und Nutzen, um Anerkennung marginalisierter Gruppen. Denn eine Transformation, die bestehende Ungleichheiten nicht abbaut, sondern sogar verschärft, wird sozialer Sprengstoff.

Solche umsichtigen wie umfassenden Vorschläge sind gerade in Zeiten der »muzzle velocity« wichtig, in denen antiökologische, antifeministische und letztlich antidemokratische Akteure wie Trump und Co. die Welt mit einem rapiden Dauerfeuer an irrlichternden Maßnahmen und Aussagen paralysieren. Auch wenn es an der politischen Front heiß zugehen mag: Der kühle Kopf im Hintergrund, der abwägt, reflektiert und langfristige Strategien im Blick behält, ist genau dann wichtig, wenn alle heiß laufen. Der Gleichstellungsbericht stellt hierfür ein ganzes Kühlhaus an klugen Analysen und Vorschlägen zur Verfügung.

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