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  • IStGH/ Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant

Staatsräson oder Völkerrecht? Das muss die Regierung noch prüfen

Auf mehrfache Nachfragen, wie es Deutschland mit den Haftbefehlen gegen Netanjahu hält, hatte der Regierungssprecher keine klare Antwort parat

Der Regierungssprecher Steffen Hebestreit mit dem Rücken an der Wand der Bundespressekonferenz.
Der Regierungssprecher Steffen Hebestreit mit dem Rücken an der Wand der Bundespressekonferenz.

Es gibt Tage, an denen der Regierungssprecher Steffen Hebestreit in die Bundespressekonferenz geht und weiß, dass er mit dem Rücken an die hellblaue Wand gepresst stehen wird. Freitag war genau so ein Tag. Am Vortag hatte der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) einen Haftbefehl gegen den israelischen Premier Benjamin Netanjahu erlassen. Binnen weniger Stunden trudelten die obligatorischen Reaktionen aller möglichen Staaten ein – seitens der Bundesregierung blieb es fast 24 Stunden lang still. Die Gretchenfrage: Deutschland, wie hältst du es eigentlich mit dem Völkerrecht?

Vielleicht wollte man erst einmal abwarten, wie die Reaktionen im In- und Ausland ausfielen, um dann den besten Spin mit möglichst wenig Angriffsfläche zu finden. Der beste Spin war dann allerdings immer noch recht dünn: Man habe die Entscheidung »zur Kenntnis genommen« und werde jetzt gründlich prüfen, welche Konsequenzen daraus für Deutschland folgen, hieß es in einem Schreiben des Bundeskanzlers, das eine halbe Stunde vor der Regierungspressekonferenz veröffentlicht wurde. Ein eindeutiges Bekenntnis zum Völkerrecht fehlte im Statement.

Auf die Frage des »nd«, warum die rechtlichen Konsequenzen nicht längst geprüft worden seien – die Haftbefehle seien doch absehbar gewesen –, musste Hebestreit gleich zweimal erwidern, er verstehe die Frage nicht. Dass der sonst so gewitzte Regierungssprecher die Frage sehr wohl verstand, davon ist auszugehen – nur wollte er sie nicht beantworten. Also griff er zum allerletzten, etwas verzweifelten Trick in der Sprechertrickkiste: »Ich habe Ihre Frage nicht verstanden.« Beim dritten Anlauf schob er knapp hinterher: Für eine Prüfung bestehe ja gar keine Eile.

Unbefriedigt von Hebestreits dürftiger Antwort, bohrten andere Journalisten weiter nach: Was will man denn überhaupt prüfen? Denn eigentlich ist klar: Die Entscheidung des IStGH ist für Deutschland als Unterzeichnerstaat rechtlich bindend. Sollte etwa Netanjahu Deutsches Staatsgebiet betreten, müsste man ihn festnehmen lassen.

Hebestreit aber falle es schwer, sich vorzustellen, »auf dieser Grundlage Verhaftungen in Deutschland durchzuführen«. Der Regierungssprecher der Bundesrepublik Deutschland hat also Schwierigkeiten mit dem Gedanken, das Völkerrecht durchzusetzen, dem sich das Land nicht nur verpflichtet hat, sondern das aus den historischen Verbrechen Nazideutschlands gegen Juden, Sinti und Roma und andere Gruppen erwachsen ist.

Irgendwann entglitt Hebestreit schließlich ein tatsächliches Argument für die zurückhaltende Position der Bundesregierung. Es sei »unter Juristen nicht unumstritten«, ob der IStGH in diesem Fall tatsächlich zuständig ist. Dabei ist die Frage höchstrichterlich geklärt, wie einer der Journalisten anmerkte: Zum einen hat der IStGH schon 2021 eindeutig über die Zuständigkeit für die besetzten palästinensischen Gebiete entschieden.

Und auch der Einwand, den die Bundesregierung in ihrer Amicus-Curiae-Erklärung vor dem IStGH vorgebracht hatte – dass man nämlich den israelischen Gerichten Zeit geben sollte, sich der Vorwürfe gegen die israelische Regierung anzunehmen – greift aus Sicht des Den Haager Gerichts nicht. Denn bisher hat sich kein israelisches Gericht mit den entsprechenden Vorwürfen gegen die israelischen Regierungsmitglieder beschäftigt. Also besteht eine Rechtslücke, die der IStGH nun füllt.

Ob Netanjahu noch in Deutschland willkommen ist? Wieder windet sich Hebestreit mehr oder minder geschickt um eine klare Antwort herum. Noch vor ein paar Monaten hatte der Regierungssprecher auf die Frage, ob sich Deutschland im Falle eines Haftbefehls gegen Netanjahu an Entscheidungen des Strafgerichtshofs halten werde, geantwortet: »Ja, wir halten uns an Recht und Gesetz.« Deutschland sei »grundsätzlich« ein Unterstützter des IStGH. Daraufhin warf der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz der Regierung »Täter-Opfer-Umkehr« vor. Eine weitere Frontalattacke von rechts wollte der Chefsprecher offenbar diesmal vermeiden.

Die wichtigste aller Fragen wurde bei dieser Pressekonferenz nie explizit gestellt und blieb dennoch erschreckend unbeantwortet: Was hat für Deutschland Priorität, die Staatsräson oder das Völkerrecht? Das muss die Bundesregierung wohl noch prüfen. Bis die Prüfung abgeschlossen ist, dürfte Merz im Kanzleramt sitzen. Wofür er sich entscheiden würde, hat er längst klar gemacht: Die Staatsräson.

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