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Kosovo: In der Schwebe
Das Kosovo kommt nicht voran. Auch wegen nationalistischer Regierungen in Pristina und Belgrad
In den Straßen der kosovarischen Hauptstadt Pristina erinnert nur noch wenig an den Krieg vor 25 Jahren. Von März bis Juni 1999 hatten Flugzeuge der Nato völkerrechtswidrig die Bundesrepublik Jugoslawien bombardiert, um die eskalierende Gewalt in der damals südjugoslawischen Provinz Kosovo und Metochien zu unterbinden. Auch auf Pristina fielen Bomben. Deren Spuren sind längst beseitigt. An ihre Stelle ist eine rege Bautätigkeit getreten, angetrieben vor allem durch türkische Unternehmen.
Eines macht Pristina besonders: An mehreren zentralen Orten der 200 000-Einwohner-Stadt wird an US-Politiker*innen gedacht. Für Bill Clinton, Präsident während der Bombardierung, steht eine Statue an einem nach ihm benannten Boulevard. Ganz in der Nähe ist der Boulevard George Bush, während dessen Amtszeit die USA die Unabhängigkeit des Kosovos später anerkannten. Noch ein paar Schritte weiter findet man eine Büste von Madeleine Albright, Clintons Außenministerin.
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Normalisierungsabkommen wird nicht umgesetzt
Nach dem Krieg besetzte die Nato 1999 das Gebiet, während die Uno zunächst die politische Kontrolle übernahm. Anfang 2008 erklärten lokale Politiker*innen dann die Republik Kosovo für unabhängig. Eine Erklärung, die nicht allgemein Zustimmung fand: Nur etwa die Hälfte der UN-Mitgliedsstaaten erkennt die Unabhängigkeit heute an. In der Region selbst pflegen Griechenland, Serbien und Bosnien-Herzegowina keine diplomatischen Beziehungen mit dem Kosovo. Bis heute ist die De-facto-Republik weder Mitglied der UN noch der OSZE.
Premier des Kosovos ist seit dem März 2021 Albin Kurti von Vetëvendosje! (VV, »Selbstbestimmung!«). Die von Kurti mitgegründete Partei vertritt im Inneren linke, direktdemokratische und protektionistische Ansichten, ist jedoch in Bezug auf Serbien durch und durch nationalistisch. Im Frühjahr 2020 hatte Kurti das erste Mal als Premier amtiert, jedoch organisierte der Kosovo-Sondergesandte des US-Präsidenten Donald Trump, Richard Grenell, Kurtis Sturz. Unter US-Druck kam es dann zu einem Normalisierungsabkommen der Regierungen in Belgrad und Pristina, dessen wesentliche Punkte bis heute nicht umgesetzt wurden. Präsident Trump hatte aber einen schönen Fototermin im Weißen Haus und behauptete, er habe den Konflikt gelöst.
Kosovaren lehnen Gebietsaustausch ab
Grenell versuchte damals auch, einen Gebietsaustausch zu verhandeln. Zum Kosovo sollten drei Gemeinden des Tals um Preševo (auf Albanisch: Presheva) in Südserbien zugeschlagen werden und dafür erhielte die Zentralregierung in Belgrad die mehrheitlich serbischen Gemeinden im Nordkosovo zurück. Deren Bevölkerung sieht sich eh als serbisch an und ist mehr schlecht als recht in die De-facto-Republik integriert. Die Mehrheit im Kosovo lehnt solch einen Gebietsaustausch ab, da mit dem Norden die Trepča-Mine und der Gazivodasee, die wichtigste Trinkwasserquelle der De-facto-Republik, unter die Kontrolle Belgrads käme. In Pristina sind viele nicht erfreut über Trumps Wiederwahl.
Während die Regierungen sich nicht aufeinander zubewegen, gibt es in der Zivilgesellschaft kleine Ansätze einer Aussöhnung. So haben der Politikwissenschaftler Shkëlzen Gashi und sein Team in minutiöser Kleinarbeit alle Massaker beider Seiten in dem Konflikt 1998/1999 aufgelistet. In einem Café direkt neben der Vetëvendosje!-Parteizentrale präsentiert Gashi das Buch mit zahlreichen Fotos auf 840 Seiten. Die Publikation ist dreisprachig (Albanisch, Serbisch und Englisch), um beide Seiten im Konflikt anzusprechen.
Beide Seiten beharren auf ihre Sichtweise
»In den Schulbüchern beider Seiten werden die eigenen Opfer zu hoch und die Opfer der anderen Seite zu niedrig angesetzt«, erklärt Gashi gegenüber »nd«. Medien in der Region und sogar darüber hinaus rezensierten das jüngst erschienene Buch. Als Nächstes will das Team von Gashi die Orte der Massaker besuchen und alle Informationen auf einer dreisprachigen Homepage der Allgemeinheit zur Verfügung stellen, sagte er »nd«.
Doch die nationalistischen Regierungen in Belgrad und Pristina machen eine Annäherung der Zivilgesellschaften und auch den Austausch zwischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen kompliziert. Im Sommer verhinderte die serbische Polizei das Festival »Mirëdita, Dobar Dan!« (»Guten Tag« in beiden Sprachen), welches eigentlich jährlich abwechselnd dies- und jenseits der De-facto-Grenze stattfinden soll. »Beide Regierungen haben kein Interesse an einer Aussöhnung«, so der Politikwissenschaftler Gashi.
Kosovo bleibt vor allem von Deutschland abhängig
Nicht nur die internationale Anerkennung und die Aussöhnung vor Ort stocken, sondern auch die wirtschaftliche Entwicklung. Nachdem VV die Wahlen gewonnen hatte, änderte das Parlament die Regeln der Privatisierung. Zu spät, so der Konsens: Große Teile des Tafelsilbers waren bereits verscherbelt. Heute ist das Kosovo von den Überweisungen von Arbeitsmigrant*innen in der EU, hauptsächlich in Deutschland, abhängig.
Als zu Jahresbeginn die EU die Visapflicht für Kosovaren abschaffte, blieb der befürchte Exodus zwar aus, im Sommer aber gingen viele Saisonarbeiter*innen nach Deutschland. Agrarbetriebe im Kosovo hatten hingegen große Probleme, Arbeiter anzuheuern – auf den deutschen Feldern gab es mehr zu verdienen. So bleibt die gesamte Region in der Schwebe – ohne wirtschaftliche Perspektive für die breite Masse der Bevölkerung oder internationale Anerkennung.
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