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Tarifabschluss unter widrigen Bedingungen
Grünes Licht für Einigung in der Gebäudereinigung – Struktur der Branche erschwerte offensive Forderungen
»Wir haben in dieser politisch schwierigen und instabilen Zeit einen guten Kompromiss erzielt«, kommentiert Ulrike Laux die Zustimmung der Tarifkommission der IG BAU am Mittwoch zur Einigung in der Gebäudereinigung. Laux ist Verhandlungsführerin und Vorstandsmitglied der Gewerkschaft. Damit gibt es nun grünes Licht für den neuen Tarifvertrag, wonach die Entgelte der untersten Lohngruppe über die nächsten zwei Jahre in zwei Schritten um 1,50 Euro steigen. Höhere Lohngruppen erhalten 1,70 Euro mehr Lohn. Zudem steigen die Ausbildungsvergütungen je nach Lehrjahr auf bis zu 1300 Euro pro Monat.
Während die Gewerkschaft den Tarifabschluss positiv bewertet, kommt Kritik von Beschäftigten und Vereinen wie der Föderation Demokratischer Arbeitervereine (DIDF). »Wir halten den Abschluss für kein gutes Ergebnis«, erklärt die Vereinsjugend auf nd-Anfrage. Dem Verband gehören mehr als 35 Organisationen an, in denen türkische Migrantinnen und Migranten organisiert sind. Er informiert in türkischer Sprache über politische und gewerkschaftliche Themen.
Ursprünglich hatte die IG BAU eine Erhöhung des Stundenlohns um drei Euro gefordert. »Die Anhebung des Stundenlohns entspricht auch nach einer zweiten Anhebung von 0,75 Euro nach einem Jahr nicht mal einer Anhebung von zwei Euro«, kritisiert der DIDF-Jugendverband. Auch das geforderte 13. Monatsgehalt wird es erst einmal nicht geben und soll im kommenden Jahr nachverhandelt werden.
Systemrelevant und wenig sichtbar
Hintergrund für die niedrigen Löhne ist auch die herausfordernde Verhandlungsposition der IG BAU. Anders als etwa in der Metall- und Elektroindustrie oder in der Automobilbranche ist das öffentliche Interesse für die Arbeitsbedingungen gering.
Als »systemrelevant, aber wenig sichtbar« bezeichnen das Alexander Gallas und Maren Kirchhoff von der Universität Kassel. Sie erforschen Streik- und Tarifbewegungen und die politische Ökonomie von Arbeit und Migration. In der Öffentlichkeit sei es entscheidend, »immer wieder auf die Wichtigkeit der Gebäudereinigung« zu verweisen. Denn: »Wenn sie nicht stattfindet, können Arbeitsstätten schlicht nicht genutzt werden.«
Hinzu kommt, dass die Branche gewerkschaftlich schwer zu erschließen ist, obgleich sich »die Gewerkschaften bemühen, die Arbeitsbedingungen zu thematisieren und auch Arbeitskämpfe zu organisieren«, sagt Kirchhoff. Der Organisierungsgrad in diesem Bereich sei jedoch eher gering. Die Folge: Der Einsatz von gewerkschaftlichen Ressourcen ist laut Gallas mit Risiken verbunden. »Deshalb sind Hauptamtliche manchmal zögerlich, diese einzusetzen.« Hinzu kommt, dass die Reinigungsarbeit dezentral und zu Randzeiten stattfindet. Gallas: »Es ist schlicht und einfach schwierig, die Leute zu erreichen.«
Migrantisch, weiblich, schlecht bezahlt
Das hat auch damit zu tun, dass die sozialen Hintergründe und Erfahrungen von gewerkschaftlichen Aktiven und Beschäftigten sich stark unterscheiden, wie Kirchhoff betont. Der weit überwiegende Teil der rund 700 000 Reinigungskräfte ist weiblich, viele von ihnen haben einen Migrationshintergrund. Oft arbeiten sie in Teilzeit oder als Mini-Jobberinnen und etwa 500 000 von ihnen verdienen derzeit nur den Branchenmindestlohn von 13,50 Euro.
»Es gibt Gründe, warum vor allem Frauen und Migrantinnen und Migranten und Menschen mit Migrationsgeschichte in diesen Berufen arbeiten«, erklärt DIDF. Meist sei die Arbeitssuche für diese Gruppen am schwierigsten. Um überhaupt Arbeit zu finden, nähmen sie »die schwierigen Arbeitsbedingungen in Kauf«. Da bietet sich der Niedriglohnsektor an.
Asmara etwa arbeitet in Nordrhein-Westfalen bei einer Reinigungsfirma. Die junge Tschetschenin berichtet davon, dass sie ihren Arbeitsvertrag kaum verstehen konnte. Ihre Rechte und Pflichten kenne sie also nicht. »Natürlich ist der Lohn für die Knochenarbeit gering«, sagt sie im Gespräch mit »nd«. Dennoch sei sie froh, dass sie »überhaupt arbeiten kann.«
Basisarbeit und Tariftreue
Die DIDF fordert deutlich mehr gewerkschaftliches Engagement. »Die Aufmerksamkeit kommt leider nicht von allein, daher ist es wichtig, dass die Gewerkschaften als Sprachrohr für die Arbeitnehmer dieser Branche fungieren und Öffentlichkeitsarbeit leisten.« Das bedeutet: Betriebsratsarbeit und Arbeit an der Basis. »Das ist aufwendig, aber ohne diese Organisationsprozesse wird sich am Status quo nichts ändern«, sagt Gallas.
Auch die öffentliche Hand, also Behörden, Schulen und Universitäten, seien hier in der Pflicht. Denn sie dulde, dass Subunternehmen genutzt werden, die Beschäftigten zu prekären Bedingungen anstellen und schlecht entlohnen. Dem könnte das nun im Kabinett beschlossene Tariftreuegesetz entgegenwirken, wonach Unternehmen mit öffentlichen Aufträgen verpflichtet würden, sich an Tarifstandards zu halten.
Einstweilen bereitet sich die IG BAU auf die Verhandlungen über die Jahressonderzahlung im kommenden Jahr vor. »Da muss noch ordentlich etwas auf den Tisch«, sagt Verhandlungsführerin Laux.
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