An der Zukunft bauen

Das Start-up Kubik macht Baumaterial aus Plastikmüll

  • Bettina Rühl
  • Lesedauer: 7 Min.
In der Sammelstelle von Kubik in der Nähe von Addis Abeba wird der Plastikmüll für die weitere Verwendung sortiert.
In der Sammelstelle von Kubik in der Nähe von Addis Abeba wird der Plastikmüll für die weitere Verwendung sortiert.

In einer Lagerhalle außerhalb der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba wühlen sich zwei Frauen und ein Mann durch Berge von Plastikmüll. Sie sortieren Tüten auf einen Haufen, arbeiten sich durch Flip-Flops, Kosmetikflaschen, Haarbürsten, Schüsseln, Eimer und was die städtische Gesellschaft sonst noch so ausspeit. Balai Nesh durchforstet die Berge schon seit fast acht Stunden in gebückter Haltung, bald hat sie Feierabend.

Die junge Frau ist mit ihrem Job zufrieden: Sie verdient ihren Lebensunterhalt schon seit Jahren mit dem Sammeln von Müll. Seit einigen Monaten ist sie umgestiegen, vom Sammeln auf den wilden Halden der Stadt, hin zum Sortieren. Dafür bekommt sie jetzt ein festes Gehalt und ist dadurch besser abgesichert. Das Start-up Kubik, für das sie den Müll sortiert, hat ihr und den anderen Sortierenden außerdem Arbeitskleidung zur Verfügung gestellt: einen orangen Overall, einen Schutz für die Haare sowie Handschuhe.

Jeden Tag werden 5000 Kilogramm Müll verarbeitet

Nach Plastik-Arten vorsortiert, wird der Müll von der Lagerhalle in die Fabrik von Kubik gebracht, um zu Ziegeln umgeschmolzen zu werden. 5000 Kilogramm Plastikmüll werden dort nach Angaben des Unternehmens jeden Tag in Baustoff verwandelt. Der Abfall stammt aus mehreren Sammelstellen im Einzugsgebiet.

Die Idee dazu hatte Kidus Asfaw. Der Enddreißiger gründete Kubik im September 2021 und ist seitdem Geschäftsführer des Unternehmens. Kidus möchte den Bausektor revolutionieren und klimafreundlicher machen, indem er gleichzeitig zur Lösung im Umgang mit Plastikmüll beiträgt und bezahlbaren Wohnraum schafft. Und zwar, indem er Ziegel aus Plastik herstellt und sie möglichst breit vertreibt. »Wir sind nicht die Ersten, die Plastik zu Ziegeln umwandeln«, räumt der Unternehmensgründer ein, »aber dadurch hatten wir Zeit, von den anderen zu lernen.«

Idee soll »Mainstream« werden

Aus deren Erfahrungen hat der gelernte Softwareingenieur verschiedene Schlüsse gezogen: Kubik interessiert sich nicht für PET, das als Grundstoff für Plastikflaschen genug Abnehmer findet, sondern für andere Kunststofftypen, die auf dem Recyclingmarkt ansonsten kaum gefragt sind. Ein besonderes Ärgernis sind Plastiktüten und Verpackungsmaterial. Vieles davon landet auf Äckern, in den Weltmeeren, in Fisch- und Viehmägen – und letztlich als Mikroplastik auch im menschlichen Körper. »Wir haben lange getüftelt, um herauszufinden, wie wir auch diese weichen Plastikprodukte in unsere Lösung integrieren können«, sagt Kidus. Die meisten Produkte enthalten allerdings Kunststoffmischungen, was das Recycling schwierig macht.

Wichtig ist Kidus außerdem, das Bauen möglichst billig zu machen, damit er viele Kundinnen und Kunden erreicht. Deshalb lassen sich die Plastikziegel zusammenstecken, im »Grunde wie Lego-Steine«, sagt Kidus. Dadurch könne damit »jeder eine Wand hochziehen, der mit einem Hammer umgehen kann«. Seine Idee zu »mainstreamen« ist ihm wichtig, um seine Firma am Leben zu halten. Ihm liege aber auch daran, mit seiner Idee möglichst viele Nutzende zu erreichen, damit möglichst Beton im Bau eingespart wird. Denn dieser kostengünstige und leicht formbare Baustoff hat den Nachteil, dass er viel Zement enthält. Und der ist extrem klimaschädlich, weil bei der Herstellung viele Treibhausgase frei werden.

Bauboom in Afrika

Auf dem afrikanischen Kontinent nimmt die Urbanisierung in rasantem Tempo zu. Bis 2050 werden 70 Prozent der Bevölkerung in einer Stadt leben. Diese Entwicklung hat einen Bauboom ausgelöst.

»Wir sind nicht die Ersten, die Plastik zu Ziegeln umwandeln. Aber dadurch hatten wir Zeit, von den anderen zu lernen.«

Kidus Asfaw Kubik-Gründer

Addis Abeba ist ein gutes Beispiel für die rasante Verstädterung. Wenn Kidus über seine Heimatstadt spricht, wird er leidenschaftlich: Er liebt den Moloch, der seit einigen Jahren in rasantem Tempo in alle Richtungen wächst und inzwischen mit seinen fünf Millionen Einwohnern aus allen Nähten platzt. »Als ich aufwuchs, fühlte sich Addis Abeba wie eine Kleinstadt an«, erinnert sich der Vater dreier Kinder. »Dann wurden direkt vor meinen Augen Autobahnen gebaut. Wir sahen, wie die Straßen breiter wurden, wie Wolkenkratzer von links und rechts kamen.«

Bauvorschriften sind nicht klimagerecht

Der alte Stadtkern musste den neuen Hochhäusern weichen, von denen viele eine verglaste Fassade haben. So bekam Addis Abeba eine Skyline aus Bürotürmen, die zum guten Teil leer stehen. Draußen am Stadtrand wachsen zusätzlich Wohnblocks. Die meisten Neuankömmlinge erhoffen sich von der Stadt ein besseres Leben – für viele eine trügerische Hoffnung. Nach Schätzungen des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) sprang der Anteil derer, die in Addis in absoluter Armut leben, von 18 Prozent im Jahr 2016 auf 24 Prozent im Jahr 2022.

Der anhaltende Bauboom beschäftigt nicht nur Start-up-Gründer Kidus, sondern auch Abel Estifanos, den Programmbeauftragten des UN-Büros für nachhaltige, menschliche Siedlungsentwicklung, kurz UN Habitat in Äthiopien. Seine Spezialgebiete sind Stadtplanung und Geografische Informationssysteme (GIS), außerdem Maßnahmen zum Umweltschutz. Es gebe schon seit Längerem einen Bauboom in Addis, bestätigt der Stadtplaner. »Dass die Gebäude klimagerecht sind, hat dabei keine Priorität.« Viele Türme seien verglast und verstärkten den Effekt, dass die Stadt eine Wärmeinsel sei. Abel ist besorgt, weil das in den Vorschriften für Baugenehmigungen keine Rolle spielt, »weder in denen des Landes noch in denen der Stadt«

Hehre Ziele mit problematischen Folgen

Dass Addis Abeba immer mehr Menschen anzieht, liegt laut Abel auch am Klimawandel. Denn Dürren und Überschwemmungen nehmen zu, vernichten Ernten und Existenzen auf dem Land. Viele hoffen aber auch einfach auf eine bessere Arbeit in der Stadt. Die Kommune versuche schon lange, die dadurch entstehenden Probleme zu lösen. 2007 startete sie ein großes Projekt namens »Integrierte Wohnbebauung«, um die Wohnungsnot in Addis Abeba zu lindern. »Aber die Folgen für die Umwelt waren erheblich, durch das Projekt wurden etwa zehn Prozent der freien Flächen der Stadt bebaut«, bedauert Abel. »Das wiederum hat Auswirkungen auf das Klima in der Stadt.«

Der massive Wohnungsbau ab 2000 hatte laut Abel auch damit zu tun, dass sich Äthiopien im selben Jahr zusammen mit 188 weiteren Staaten auf die sogenannten Milleniums-Entwicklungsziele verpflichtet hatte. Dazu zählen Armutsbekämpfung, Friedenserhaltung und Umweltschutz. Aber auch angemessener Wohnraum für alle Menschen. Ziele, die über jeden Zweifel erhaben scheinen. Trotzdem hatte der großflächige Wohnungsbau zum Teil katastrophale Folgen, weil immer mehr Flächen versiegelt wurden. Dadurch habe es in den vergangenen Jahren immer mehr Überschwemmungen gegeben, hat Abel beobachtet.

Unternehmer hat trotz Krisen seinen Optimismus bewahrt

Die Zeit drängt also, sich den Herausforderungen durch die rasante Verstädterung zu stellen. Kidus hat sich trotz aller Krisen zupackende Energie und Optimismus bewahrt, sieht in der rasanten Veränderung auch eine Chance: Was im Fluss sei, lasse sich noch prägen. Und zwar – so hofft Kidus – in Richtung einer sauberen und wirtschaftlichen Lebensweise. Das Herz seines jungen Unternehmens schlägt in Adama, einer neu entstandenen Wirtschaftszone knapp 100 Straßenkilometer von Addis Abeba entfernt. Dort werden die verschiedenen Plastiksorten nach einem bestimmten Rezept gemischt, geschmolzen und zu Ziegeln gepresst.

Assefa Ayale, der Betriebsleiter, ist von seiner Arbeit begeistert: »Ich bin sehr, sehr stolz darauf, hier zu arbeiten. Ich habe das Gefühl, etwas für die Umwelt und für die Gemeinschaft zu tun.« Der Chemie- und Umweltingenieur arbeitete rund sieben Jahre lang in verschiedenen Recyclingunternehmen, bevor er im Frühjahr 2023 zu Kubik stieß. Das Bauen mit Plastik hält der 40-jährige Vater zweier Kinder für eine »ausgezeichnete Lösung für unsere Erde«: »Viele Seen, Meere und Ozeane werden immer stärker durch Plastikabfälle verschmutzt. Wenn wir überall auf der Welt Recycling-Dörfer bauen würden, ließe sich ein großer Teil des Plastiks immer wiederverwenden.«

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