Hilfslieferungen in den Gazastreifen nicht ausreichend

UN-Flüchtlingshilfswerk UNRWA meidet Lieferungen über den Grenzübergang Kerem Schalom wegen Plünderung von Lkw-Konvois

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.
Palästinenser stehen an, um eine Mahlzeit vom Welternährungsprogramm und dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) zu erhalten. Die Vereinten Nationen und internationale Organisationen warnen vor einer Hungersnot im Gazastreifen und fordern alle Konfliktparteien auf, ihre Einsätze zu erleichtern.
Palästinenser stehen an, um eine Mahlzeit vom Welternährungsprogramm und dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) zu erhalten. Die Vereinten Nationen und internationale Organisationen warnen vor einer Hungersnot im Gazastreifen und fordern alle Konfliktparteien auf, ihre Einsätze zu erleichtern.

Mosche Jaalon, Ex-Generalstabschef und Ex-Verteidigungsminister, Ehud Barak, einst Generalstabschef, dann Premierminister – die Liste derer, die sich in Israel offen gegen die Kriegsführung im Gazastreifen aussprechen, wird länger, reicht mittlerweile weit in das Who is Who des Sicherheitsapparates und der Politik hinein.

Warum, das sieht man besonders gut aus der Höhe: Wo einst dicht bevölkerte Stadtviertel lagen, zeigen Luftbilder nun Kilometer lange Trümmerfelder. Was man nicht sieht: die Toten. 44 249 Menschen seien bis Anfang vergangener Woche getötet worden, sagt das unter Kontrolle der Hamas stehende palästinensische Gesundheitsministerium. Das sind das 2,07 Prozent der Bevölkerung im Gazastreifen. Nicht mit einberechnet sind jene, die an Hunger oder Krankheiten starben.

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Kritische Lage im nördlichen Gazastreifen

Besonders kritisch ist die Lage im Norden des Gazastreifens. Er ist nach wie vor von israelischen Truppen abgeriegelt; um die 70 000 Menschen sollen sich dort noch aufhalten, sagt das UN-Flüchtlingshilfwerk UNRWA. Und nach wie vor greift Israels Militär dort Ziele an. Man wolle damit verhindern, dass sich die Hamas und der Islamische Dschihad neu formieren, heißt es. Allerdings äußerten Experten in den vergangenen Monaten immer wieder Zweifel, dass dieses Ziel erreicht werden kann.

Am Wochenende kam dann die nächste Hiobsbotschaft: Am Samstag gab UNRWA-Chef Philippe Lazzarini auf der Plattform X bekannt, dass man die Hilfslieferungen über den Grenzübergang Kerem Schalom einstelle. Grund: Mitte November sei ein »großer Konvoi« von bewaffneten Gruppen gestohlen worden. Am Samstag habe man dann einige Lastwagen nach Gaza geschickt, auch die seien geplündert worden.

Zahl der Hilfslieferungen seit 7. Oktober 2023 gesunken

Die Schuld daran gibt Lazzarini Israels Regierung: Die Hürden für Hilfslieferungen seien unnötig hoch, die Mengen würden zudem aus politischen Gründen beschränkt. Die Regierung von Benjamin Netanjahu bestreitet das vehement. Doch die Statistiken der Uno und der zuständigen israelischen Behörde Cogat zeigen eindeutig, dass die Zahl der Lastwagen zu je 20 Tonnen nach dem 7. Oktober 2023 stark sank. Allerdings: Dies muss nicht zwangsläufig an Beschränkungen durch Israel liegen. Durch die Vielzahl an Konflikten in der Welt sowie die gesunkene Spendenbereitschaft vieler Staaten stehen der Uno viel weniger Mittel als erforderlich zur Verfügung.

Das israelische Außenministerium hat einen Aufruf aus Berlin, London und Paris für »ungehinderte« humanitäre Hilfe im Gazastreifen mit deutlicher Kritik zurückgewiesen. Man erleichtere die Einfuhr von Hilfsgütern und schränke die Menge nicht ein, versicherte der Sprecher. Die Plünderer gehörten zur Hamas.

Zusammenbruch aller Strukturen im Gazastreifen

Grund für die Plünderungen ist aber vor allem der Zusammenbruch der Strukturen im Gazastreifen: Es gibt keine handlungsfähige Polizei mehr; wem die von Lazzarini genannten »bewaffneten Gruppen« zuzuordnen sind, ist unklar. Am wahrscheinlichsten ist, dass es sich dabei um selbst organisierte Bürgerwehren handelt.

Wer auch immer nach dem Krieg die Kontrolle über den Gazastreifen übernimmt, wird vor einer schwierigen Aufgabe stehen. In Kairo wird erneut über eine Waffenruhe verhandelt. Nachdem sich Israel und die mit der Hamas verbündete Hisbollah im Libanon auf eine Waffenruhe geeinigt hatten, bekundete auch die Hamas-Führung Bereitschaft zu einer Vereinbarung.

Widersprüchliche Signale aus Israel wegen Waffenruhe

Doch die Signale aus Israel sind nach wie vor widersprüchlich: Die israelischen Familien der Geiseln fordern sofort einen Deal, in der Hoffnung, dass damit wenigstens das Leben einiger der Verschleppten gerettet werden kann. Dabei haben sie einen Großteil der Öffentlichkeit hinter sich. Netanjahus rechtsradikaler Koalitionspartner »Religiöser Zionismus« wendet sich strikt gegen ein Kriegsende, facht den Konflikt noch an: Anfang der Woche ordnete der ultrarechte Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben Gwir, die Beschlagnahme der Lautsprecher von Moscheen vor allem in Ost-Jerusalem an, »um Ruhestörung zu bekämpfen«.

Einem Bericht der Nachrichtenagentur AFP zufolge haben sich die von der Fatah dominierte Regierung der Palästinensischen Autonomiebehörde und die Hamas geeinigt, dass ein unabhängiges Komitee künftig den Gazastreifen regieren soll. Aber: Beide sind miteinander verfeindet, haben sich in den vergangenen 17 Jahren immer wieder auf gemeinsame Regierungen verständigt. Alle Vereinbarungen scheiterten.

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