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Reptilien und Spinnen im Schlaflabor
Viele Tiergruppen weisen ähnlich wie Menschen eine REM-Schlafphase auf
Gesunder Schlaf ist für unser Immunsystem und unser seelisches und emotionales Gleichgewicht ungeheuer wichtig. Aus Forschungsperspektive spannend ist vor allem der REM-Schlaf als letzte Phase eines Schlafzyklus, wobei REM für »Rapid Eye Movement« steht. Das ist die Phase, in der wir Menschen träumen.
Schlaf wird bei allen großen Tiergruppen von Fischen bis hin zum Menschen beschrieben – so auch bei Würmern, Quallen, Insekten und Kopffüßern. Schlafforschung bei Tieren ist aber eine ziemlich junge Wissenschaftsdisziplin und erst recht am Anfang steht die REM-Forschung bei Tieren. Über Meeressäuger wie Delfine und Orcas weiß man aber schon, dass ihnen die REM-Phase fehlt. Weil sie regelmäßig zum Luftholen auftauchen müssen, wird im Schlaf nur eine Gehirnhälfte abgeschaltet, während die andere hellwach bleibt.
Forschende der Ruhr-Universität Bochum (RUB) haben laut einer Veröffentlichung vom Juni 2023 die Schlaf- und Wachzustände von 15 Tauben mit Infrarot-Videokameras und funktioneller Kernspintomografie beobachtet und aufgezeichnet. »Während der REM-Phasen waren vor allem Gehirnbereiche aktiv, die für die Verarbeitung visueller Reize zuständig sind, darunter auch Areale, die analysieren, wie sich die Umgebung einer Taube während des Flugs bewegt«, berichtet Mehdi Behroozi vom Team der Biopsychologie in einem Beitrag auf der Webseite der RUB und fügt hinzu: »Aufgrund dieser Beobachtungen vermuten wir, dass Vögel wie wir Menschen in REM-Phasen träumen, vielleicht sogar Flugsequenzen durchleben.«
Der REM-Schlaf existierte möglicherweise schon vor 320 Millionen Jahren.
Vor acht Jahren stellte die Forschungsgruppe von Gilles Laurent am Max-Planck-Institut für Hirnforschung einen REM-ähnlichen Zustand bei der Bartagame, einem Reptil, fest. Diese Entdeckung deutete darauf hin, dass der REM-Schlaf ein gemeinsames Merkmal aller Lebewesen sein könnte und möglicherweise bereits bei ihren gemeinsamen Vorfahren vor 320 Millionen Jahren existierte, hieß es im November 2024 in einem Beitrag über Reptilien auf der Webseite der Max-Planck-Gesellschaft.
Im Jahr 2012 berichteten Forscher über einen schlafähnlichen Zustand und REM-ähnliches Verhalten bei Tintenfischen: In regelmäßigen Abständen bewegten die Tiere ihre Augen schnell, zuckten mit den Armen und veränderten die Farbe ihrer Körper. Fasziniert von diesen Beobachtungen ging die Verhaltensbiologin Teresa Iglesias am »Marine Biological Laboratory« in Massachusetts diesem Phänomen weiter auf den Grund, indem sie ein halbes Dutzend Tintenfische unter Langzeitvideoüberwachung stellte. Zu sehen waren sich etwa alle 30 Minuten wiederholende REM-ähnliche Aktivitäten wie Armbewegungen, Augenbewegungen und Farbwechsel der Haut. Das deute auf eine Art von REM-Schlaf hin, sagte Iglesias dem »Knowable Magazine« von Ars Technica. Ähnliches beobachteten Forscherkollegen bei Oktopussen. Wenn aber Oktopusse und Tintenfische träumen, »sprengt das irgendwie die Grenzen dessen, was wir von der Besonderheit der Menschheit halten«, sagte Iglesias.
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Daniela Rössler, Verhaltensökologin an der Universität Konstanz, beschäftigt sich mit dem Schlafverhalten von Spinnen. Bei Springspinnen und der Gartenkreuzspinne konnte sie bereits durch Experimente Schlaf und REM-ähnliche Phasen beobachten. Dank eines Emmy-Noether-Stipendiums von rund 1,5 Millionen Euro wird Rössler die Forschungsgruppe »Schlafen mit acht offenen Augen: Morphologie, Funktion, Ökologie und Entwicklung des Schlafes bei Spinnen« starten. »Wir werden uns auf die Untersuchung des Spinnenschlafs in einem vergleichenden evolutionären Rahmen konzentrieren«, freute sich Rössler im Juni auf ihrer Webseite.
Bei Tieren kann man Hirnströme und das Verhalten während des Schlafes messen, dokumentieren und mit den Daten eine zumindest REM-ähnliche Phase belegen. Aber ob Tiere tatsächlich träumen und wenn ja was, entzieht sich der Forschung.
Aber keine Regel ohne Ausnahme. Das im Zoo von San Francisco geborene Gorillaweibchen Koko hatte die amerikanische Gebärden- und Taubstummensprache gelernt und soll ihren Pflegern von Angstträumen erzählt haben. Wissenschaftlich belegt ist das aber nicht.
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