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Cum-Ex-Betrug: Nach der Vergesslichkeit
Bundeskanzler erneut vor Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschuss
Im Haus am Adolphsplatz in Hamburg wird diesen Freitag Geschichte geschrieben – oder auch nicht. Das recht junge Gebäude in Sichtweite des Rathauses hatte das Parlament erst im vergangenen Jahr angemietet. Dort wird Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss »Cum-Ex-Steuergeldaffäre«, kurz PUA, der Bürgerschaft erneut Rede und Antwort stehen müssen. In der Vergangenheit hatte der frühere Bürgermeister der Hansestadt sich zum Thema Cum-Ex auf Gedächtnislücken berufen.
Bei Cum-Ex dreht sich alles um Aktienkreisgeschäfte. Banken, spezialisierte Börsenhändler und -makler hatten Wertpapiere mit Dividendenanspruch (»Cum«) und ohne (»Ex«) hin und her verschoben. Durch eine mehrfache Rückerstattung der Kapitalertragsteuer wurden von den Akteuren Milliardengewinne eingefahren und dem Fiskus ein ebensolcher Schaden zugefügt.
In Hamburg sagt man »Cum-Ex«
In Hamburg besitzt der Cum-Ex-Skandal eine lokale Note. Geklärt werden soll die Frage, warum der Hamburger Senat und die hamburgische Steuerverwaltung bereit waren, Steuern in Millionenhöhe mit Blick auf die Geschäfte (zunächst) verjähren zu lassen. Und inwieweit es dafür politische Einflussnahmen aus dem Rathaus gab.
Die 1798 gegründete Hamburger Privatbank M. M. Warburg führte nach eigenen Angaben Cum-Ex-Geschäfte in den Jahren 2007 bis 2011 durch. Warburg soll sich insgesamt 161 Millionen Euro Steuern zu Unrecht zurückerstattet haben lassen. Anfang 2016 ermittelte die Staatsanwaltschaft Köln dazu und durchsuchte Büros der Bank und von deren Vorsitzenden Christian Olearius. Ein Prozess gegen den Banker, der seine Schuld bestritt, wurde im Juni dieses Jahres vom Bonner Landgericht wegen der angeschlagenen Gesundheit des 82-Jährigen eingestellt. Die Bank selbst gibt sich längst schuldbewusst: »Die steuerliche Beurteilung der Cum-Ex-Geschäfte durch die Warburg Gruppe hat sich als falsch erwiesen.« Mit Zahlungen im Jahr 2020 seien die Steuerforderungen (plus Hinterziehungszinsen) in der Sache allerdings beglichen worden.
Linkspartei vermutet politische Einflussnahme
Damit könnte die Geschichte zu Ende sein, wären da nicht die Ermittlungen der Kölner Steuerbeamten um die ehemalige, mittlerweile international bekannte Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker. Die Kölner Ermittler sandten ihre Erkenntnisse in die Hansestadt. Im Oktober 2016 reagierte das Hamburger Finanzamt für Großunternehmen und erhob eine Millionenforderung. Innerhalb weniger Wochen kam es dann aber zu einer Kehrtwende: Die Stadt ließ die Rückforderung der hinterzogenen Steuergelder scheinbar verjähren.
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Vor allem die Linkspartei um den Abgeordneten Norbert Hackbusch geht von einer politischen Einflussnahme aus. Der damalige Bürgermeister Scholz (SPD) hatte sich mehrfach mit Olearius getroffen. An sich kein ungewöhnlicher Vorgang, schließlich gehört es zu den Aufgaben von Regierungschefs, sich mit führenden Managern und Unternehmern zu treffen. Politisch gerieten die Begegnungen zwischen Olearius und Scholz jedoch ins Zwielicht, weil bereits gegen den Banker wegen Steuerbetrugs ermittelt wurde. Tagebuchaufzeichnungen von Olearius belasteten den Kanzler zusätzlich. Vor den Parlamentariern in der Bürgerschaft erklärte Hamburgs ehemaliger Bürgermeister, sich an die Treffen nicht erinnern zu können.
Befragung zur HSH Nordbank
Scholz wird zum dritten Mal vor dem Hamburger Untersuchungsausschuss aussagen – im Mittelpunkt sollen dieses Mal allerdings nicht die Ereignisse rund um die Warburg-Bank stehen, sondern der tiefe Fall der HSH Nordbank. Neben dem Bundeskanzler werden unter anderem der damalige Finanzsenator und jetzige Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und der ehemalige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Peter Harry Carstensen (CDU), sowie Monika Heinold als Zeugen vernommen. Grünen-Politikerin Heinold war von 2012 bis 2024 Finanzministerin des nördlichsten Bundeslandes.
Der Hamburger Untersuchungsausschuss unter Vorsitz von Mathias Petersen (SPD) hatte bereits früher Zeugen zu den Cum-Ex-Geschäften der ehemaligen HSH Nordbank befragt. 2013 war bekannt geworden, dass die öffentliche Landesbank von Hamburg und Schleswig-Holstein in dubiose Aktienkreislaufgeschäfte verwickelt war. Die Länder hatten die später teilprivatisierte Landesbank mit einem zweistelligen Milliardenbetrag gerettet. Von den 4500 Arbeitsplätzen überlebten im Nachfolgeinstitut »Hamburg Commercial Bank«, die längst wieder profitabel wirtschaftet, gerade einmal 1000.
Die HSH Nordbank wurde im November 2018 für rund eine Milliarde Euro an eine amerikanische Investorengruppe unter Führung des US-Hedgefonds Cerberus verkauft. Kritiker sprachen von einem Dumpingpreis. Der damalige Finanzsenator Tschentscher teilte in einer Presseerklärung mit, dass »die erforderlichen Konsequenzen gezogen würden«.
Die Befragung der ersten sieben Zeugen hierzu durch den PUA zeigte im Sommer jedoch, dass die Finanzbehörde personell und inhaltlich zu schlecht aufgestellt war, um Tschentschers Versprechen erfüllen zu können. Bei einem milliardenschweren Unternehmen seien 1,6 Prüferstellen einfach zu wenig. Auch in diesem Fall fiel öffentlich ein schlechtes Licht auf die Staatsanwaltschaft und frühere Justizsenatoren, die nach dem Gerichtsverfassungsgesetz – wie in allen Bundesländern – gegenüber der Staatsanwaltschaft Weisungsbefugnis haben.
Aufklärung ist unwahrscheinlich
Licht in den verworrenen Fall zu bringen, dürfte auch diesen Freitag nicht gelingen. Eine Koalition aus CDU, Linkspartei und einer FDP-Abgeordneten hatte vor vier Jahren den PUA »Cum-Ex« eingesetzt. Im Februar dieses Jahres erschien ein 1055 Seiten starker Zwischenbericht des Ausschusses. Die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen bewerten die Affäre jedoch lediglich als »Finanzskandal, kein Politikskandal«. Hamburg sei unterm Strich kein finanzieller Schaden entstanden, es habe trotz mehrerer Anzeigen keine strafrechtlichen Ermittlungen gegeben und Olaf Scholz habe sich vor dem Ausschuss nicht in Widersprüche verstrickt.
Laut Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung hat es auch innerhalb des Ausschusses immer wieder Streit gegeben. Eine Mitarbeiterin des Arbeitsstabs warf etwa dem Leiter Steffen Jänicke (SPD) vor, die Aufklärung behindern zu wollen. Mit der aktuellen Legislaturperiode in Hamburg endet im März auch das Mandat des PUA. Wahrscheinlich, dass es dann nicht einmal einen Abschlussbericht geben wird.
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