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Breite Front stürzt Premier Barnier in Frankreich
Frankreichs heterogene Linke uneins über weitere Konfrontation mit Präsident Macron
Das Ergebnis ist überdeutlich: Für den von der linken Volksfront eingebrachten und von der extremen Rechten unterstützten Misstrauensantrag gegen die Mitte-rechts-Regierung von Michel Barnier haben 331 Abgeordnete gestimmt. Für die Annahme des Antrags hätten 288 gereicht. Mit nur 90 Tagen im Amt hat Barnier damit einen Negativ-Rekord in der Geschichte der 1958 gegründeten Fünften Republik aufgestellt, in der es außerdem nur noch 1962 einen zweiten Sturz einer Regierung per Misstrauensantrag gegeben hat.
Michel Barnier hat am Donnerstagvormittag Präsident Emmanuel Macron seinen Rücktritt und den seiner Regierung angeboten, den dieser dem Gesetz entsprechend annehmen musste. In diesem Zusammenhang wurde für Donnerstagabend eine Fernsehansprache des Präsidenten angekündigt. Insiderinformationen zufolge ist Macron höchst verärgert über das »willkürlich angerichtete politische Chaos«, das Frankreichs Position auf dem internationalen Parkett und seiner Wirtschaft auf den Finanzmärkten schadet. Der innenpolitische Streit um einen von Brüssel angemahnten Sparhaushalt angesichts der Staatsverschuldung von mehr als drei Billionen Euro sei verheerend. Nichts sei heute wichtiger als Stabilität.
Frankreich ohne stabile Mehrheiten
Der Präsident wird diesmal nicht wieder Wochen bis zur Ernennung eines neuen Regierungschefs verstreichen lassen, sondern schon in den nächsten Tagen seine Entscheidung fällen. Favoriten sind den Medien zufolge Sébastien Lecornu und Bruno Retailleau, die in der Regierung Barnier Verteidigungs- beziehungsweise Innenminister waren, ferner der erfahrene und anerkannte Zentrumspolitiker Francois Bayrou und schließlich Bernard Cazeneuve, der unter dem sozialistischen Präsidenten François Hollande Minister und Regierungschef war.
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In der Parlamentsdebatte über den Misstrauensantrag haben Redner der verschiedenen rechten und Zentrumsparteien bis zuletzt an die Sozialisten (PS) appelliert, sich nicht länger durch das radikale Bündnis La France insoumise (LFI) manipulieren zu lassen und nicht mehr deren Konfrontationskurs mitzutragen. Wenn sich nur ein Teil der sozialistischen Abgeordneten der Stimmen enthalten hätten, wäre der Misstrauensantrag gescheitert. Doch beim Votum hat keiner von ihnen gefehlt. Allerdings haben die Appelle wohl Spuren hinterlassen. Für die nächste Periode mit einem neuen Premier und einer neuen Regierung schlägt der PS-Vorsitzende Olivier Faure vor, die linke Volksfront sollte mit den verschiedenen rechten und Zentrumsparteien – mit Ausnahme des rechtsextremen Rassemblement National – verhandeln. Das Ziel: Eine Art »Nichtangriffspakt« zu schließen, um im Interesse der Stabilität des Landes in Sachfragen zu Kompromissen zu gelangen und auf den Einsatz des Ausnahmeparagrafen 49.3 zu verzichten.
La France insoumise bleibt unbeugsam
Das linke Bündnis La France insoumise setzt dagegen weiter auf Konfrontation. Nach wie vor fordern Jean-Luc Mélenchon und die anderen führenden LFI-Politiker, dass Präsident Emmanuel Macron angesichts der Stimmenmehrheit der Volksfront-Parteien bei den Parlamentswahlen vom vergangenen Juli die von ihnen nominierte Lucie Castets als Premierminister ernennen und mit der Regierungsbildung beauftragen soll. Gegen jeden anderen Premier werde LFI wieder einen Misstrauensantrag einbringen. »Um aus der Sackgasse zu kommen, (…) fordern wir, dass Macron geht«, sagte die LFI-Abgeordnete Mathilde Panot kurz nach der Abstimmung. »Auch wenn es alle drei Monate einen neuen Barnier gibt, wird Macron keine drei Jahre mehr durchhalten«, erklärte LFI-Chef Jean-Luc Mélenchon mit Blick auf die 2027 anstehende Präsidentschaftswahl. Doch wenn sich Mélenchon selbst Chancen auf den Einzug ins Élysée ausrechnet, dürfte er sich gewaltig irren. Übereinstimmenden Einschätzungen von Medien, Politikexperten und anderen Beobachtern zufolge würden vorgezogene Präsidentschaftswahlen Marine Le Pen an die Staatsspitze hieven.
Auch Marine Le Pen ist überzeugt, dass Macron schuld an der gegenwärtigen Situation ist, aber seinen Rücktritt fordert sie nicht. Sie kündigt sogar an, der neuen Regierung eine gewisse »Schonfrist« einzuräumen und gemeinsam mit allen interessierten Parteien zügig an einem neuen Haushalt für 2025 zu arbeiten, der für alle akzeptabel wäre.
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