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Unkürzbar: Für ein soziales Berlin
In einem großen Bündnis demonstrieren Sozialverbände und Gewerkschaften vor dem Abgeordnetenhaus
»Is’ doch k-a-a-a-a-c-k-e«, singt der Meckerchor vor dem Abgeordnetenhaus in Berlin. Sie stehen vor einem festlich geschmückten Weihnachtsbaum, in Feierlaune sind sie aber nicht. »Is’ doch kacke, wenn die Kürzungen spalten / Is’ doch kacke, antisoziales Verhalten / is’ doch kacke, wenn wir uns nicht zusammentun«, singen sie. Weder allein noch unsozial sind sie am Donnerstag: Mit 5000 Menschen stehen sie bei drei Grad auf der Straße, um sich einer Politik, die soziale Interessen weitestgehend übergeht, in den Weg zu stellen.
Unter dem Hashtag »Unkürzbar« heizen Lehrende, Erziehende, Pflegende, Kunstschaffende und Sozialarbeitende am kalten Wintertag ordentlich ein. Sie sagen, dass ihre Arbeit systemrelevant ist und nicht dem Spardiktat des Senats zum Opfer fallen dürfe. Trillerpfeifen, Rasseln und ein basslastiges Soundsystem geben ihrem Kampf eine bis über das Landtagsgebäude hallende Stimme. Zahlreiche neonpinke Westen und rote Karten, die die Demonstrierenden in die Luft halten, verleihen ihrem Ärger Farbe.
Am 26. November hat der Senat den Entwurf des Haushalts beschlossen. Drei Milliarden sollen demnach eingespart werden. Am heftigsten treffen die Einsparungen die Etats der Verwaltungen für Verkehr, für Kultur und für Bildung. Damit stehen die freien Einrichtungen, Initiativen und Projekte in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Jugend und Soziales vor teils dramatischen Situationen: Stellen werden gestrichen, Angebote eingestampft. Vor allem fehlt die Sicherheit, das kommende Jahr zu planen. Am Mittwoch gab die Koalition laut Informationen des RBB bekannt, dass ein erster Kürzungsvorschlag zurückgenommen wird: circa 48 Millionen Euro bei der Tarifvorsorge für Angestellte bei freien Trägern.
»Das erreicht unser Protest«, ruft eine Sprecherin der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) Berlin unter Beifall ins Mikrofon. Sie steht in der Stresemannstraße vor knapp 1000 Lehrer*innen und Erzieher*innen, die an diesem Tag streiken. Zum Warnstreik aufgerufen habe die GEW, »weil der Finanzsenator noch immer mit Verweis auf seinen Arbeitgeberverband keine Verhandlungen mit uns aufnimmt«, heißt es in einer Mitteilung.
Sie wollen zum einen auf die Arbeitsbelastung in Berliner Schulen hinweisen und fordern sogleich einen Tarifvertrag über Maßnahmen zum Gesundheitsschutz. Ziele sind kleinere Klassen und mehr Personal für die Schulsozialarbeit. Mehr als neun Millionen Euro werden laut aktuellem Sparplan bei der freien Jugendarbeit gekürzt, dreieinhalb Millionen bei der schulbezogenen Sozialarbeit.
Die Ärztin Sarah Pagel, die Pflegerin Louisa Haber und der Sozialarbeiter Richard Rosenberg betreiben das Arztmobil der Caritas, mit dem sie vor das Abgeordnetenhaus gefahren sind. Sie versorgen wohnungslose Menschen, die keine Krankenversicherung haben. Wie sich die Kürzungen für ihre Arbeit genau auswirken, können sie nicht sagen. »Wir versorgen chronisch Kranke, die regelmäßig auf Medikamente angewiesen sind«, sagt Rosenberg. Ohne eine sichere Finanzierung für 2025 können sie ihren Patient*innen nicht die Verlässlichkeit geben, die sie brauchen.
Auch die Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege sind dem Aufruf der Demonstration gefolgt. Andrea Asch ist Liga-Federführerin und Vorständin des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Es sei zwar gut, dass die 48 Millionen für die Tarifmittel nun frei werden, sagt sie auf der Bühne – damit seien aber nicht alle Probleme gelöst. Der größte Teil der Kürzungen bleibe. »Es kann nicht sein, dass eine Frau in einer Berliner Zufluchtswohnung im Dezember nicht weiß, ob sie im Januar zurück in die Wohnung ihres gewalttätigen Partners muss«, sagt Asch. Die Demonstrierenden seien am Donnerstag nicht nur aus einem Eigeninteresse gekommen, um für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, sondern auch, weil sie einen »lebenswichtigen Job« leisten. Davon profitiere auch die Berliner Wirtschaft.
»Wir haben der Justiz dieses Jahr rund 780 000 Euro gespart.«
Sophie Achner Sozialarbeiterin (Awo)
Sophie Achner ist Sozialarbeiterin in der Straffälligenhilfe beim Kreisverband der Awo in Mitte. In ihrem Bereich sollen 38 Prozent gekürzt werden – ob sie ihr Angebot 2025 fortsetzen kann, wisse die Awo nicht. Für die Frauen, mit denen Achner arbeitet, sei es das einzige Angebot in Berlin, um eine Geldstrafe abzuarbeiten, statt im Gefängnis abzusitzen. Die meisten der Frauen, die Achner begleitet, seien alleinerziehend, arm, haben psychische oder physische Einschränkungen oder Gewalt erfahren. Durch das Angebot der Awo müssten die Frauen nicht von ihren Kindern getrennt werden. 3404 Hafttage habe das Projekt allein in diesem Jahr verhindert. »Das spart der Justiz rund 780 000 Euro«, sagt Achner zu »nd.«
Am 11. Dezember will das Bündnis #Unkürzbar wieder demonstrieren. Am 19. Dezember soll der Nachtragshaushalt verabschiedet werden.
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