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  • Brandenburg: Regierungsbildung

SPD und BSW segnen Koalitionsvertrag ab

Parteitage am Freitag in Potsdam machen Weg für Dietmar Woidkes nächste Amtszeit frei

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.
Der BSW-Landesvorsitzende Robert Crumbach begrüßt Parteichefin Sahra Wagenknecht in Potsdam-Pirschheide.
Der BSW-Landesvorsitzende Robert Crumbach begrüßt Parteichefin Sahra Wagenknecht in Potsdam-Pirschheide.

Am Potsdamer Bahnhof Pirschheide in der Eventlocation, dem Ort für Ereignisse, ist beim BSW-Landesparteitag am Freitagnachmittag die Parteivorsitzende Sahra Wagenknecht das Ereignis. Als sie eintrifft, werden Fotografen und Kameraleute hektisch, einer stößt sogar versehentlich einen Stuhl um. Die 32 anwesenden Parteimitglieder springen ebenfalls auf, filmen mit ihren Mobiltelefonen oder applaudieren fleißig.

Weil Wagenknecht im Stau stand und sich verspätet hat, bekommt sie keine Ruhepause, sondern wird sofort ans Rednerpult gebeten. Dort wirbt sie dafür, dem in Brandenburg mit der SPD ausgehandelten Koalitionsvertrag zuzustimmen. »In der Gesamtbilanz haben wir wirklich viel erreicht«, meint Wagenknecht. Sie kenne die Diskussionen um Bundeswehrstandorte. »Aber wir sind nicht die Partei, die sagt: Wir brauchen keine Bundeswehr.«

Der BSW-Landtagsabgeordnete Sven Hornauf hatte vor, Dietmar Woidke (SPD) im Landtag nicht zum Ministerpräsidenten zu wählen wegen der geplanten Stationierung des israelischen Raketenabwehrsystems Arrow 3 am Fliegerhorst Holzdorf. Die vier Milliarden Euro für diese Raketen wären sicher anders besser investiert, gibt Wagenknecht zu. Sie seien auch nutzlos, da sie die hoch fliegenden russischen Raketen gar nicht abfangen könnten. Aber: »Es sind keine Angriffsraketen.« Das sei der fundamentale Unterschied zu den US-Mittelstreckenraketen, deren Stationierung in Deutschland das BSW ablehnt.

Dass die Wagenknecht-Partei schon weniger als ein Jahr nach ihrer Gründung in Regierungsverantwortung kommt, sei so nicht geplant gewesen, gesteht Wagenknecht. Sie freut sich, dass man ein »Machtfaktor« auch in der friedenspolitischen Debatte geworden sei. Sonst wären vielleicht schon Bodentruppen in die Ukraine geschickt oder Taurus-Marschflugkörper geliefert worden – und wenn diese deutschen Raketen auf Russland abgeschossen werden, würde Russland irgendwann zurückschießen.

Mit Blick auf die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sagt Wagenknecht: »Wir sind so stark geworden, dass die anderen nicht an uns vorbei können.« Über den Brandenburger Koalitionsvertrag sagt Wagenknecht: »Das ist die Handschrift des BSW. Da haben wir uns gegen die SPD durchgesetzt. Wir haben unsere Inhalte der SPD aufgezwungen.« Sie frohlockt, dass Bußgelder wegen Verstößen gegen die Corona-Maßnahmen zurückgezahlt werden könnten.

Auch der Ex-Landtagsabgeordnete Hans-Jürgen Scharfenberg empfiehlt, den Koalitionsvertrag anzunehmen. Dieser sei »sehr vorzeigbar«. Scharfenberg hat den Vertrag mit ausgehandelt. Es ist nicht sein erster Einsatz dieser Art. In seiner alten Partei, der Linken, fädelte er auch schon Koalitionen mit der SPD ein.

Andere sind strenger, der Potsdamer Stadtverordnete Ralf Jäkel beispielsweise. Dass die Internationale Luftfahrtausstellung (ILA) in Schönefeld entwickelt werden soll, gefällt Jäkel durchaus. Könnte doch dabei sein Wunsch erfüllt werden: »Weniger Militaria-Schau und mehr zivile Luftfahrt!« Dass es aber im Koalitionsvertrag heißt, die Gedenkstätten bewahren die Erinnerung an zwei Diktaturen, macht Jäkel nachdenklich. Es ist die standardmäßige Formulierung, bei der Nazideutschland und DDR in einem Atemzug genannt werden. Doch Jäkel erinnert, mit der Nazidiktatur sei nichts zu vergleichen. »Da wünsche ich mir mehr Sensibilität.«

Am strengsten an diesem Freitagnachmittag ist der BSW-Landtagsabgeordnete Reinhard Simon. Als ehemaliger Theaterintendant ist er ein Quereinsteiger in die Politik, hat vorher noch nie einen anderen Koalitionsvertrag gelesen, wie er zugibt. Zuerst habe er sich die Kapitel zu Kultur und Bildung vorgenommen und sei derart enttäuscht gewesen, dass er erst einmal vier Ouzo habe trinken men. Den griechischen Schnaps intus, las er noch den Rest und war genauso unzufrieden. Aber auch Jäkel und Simon stimmen, wie alle 32 Anwesenden, um 17.26 Uhr für den Koalitionsvertrag. Es gibt nicht einmal eine Enthaltung.

»Wer sich um Verantwortung bemüht, darf nicht davor zurückschrecken, wenn er Verantwortung tragen muss.«

Robert Crumbach BSW-Landesvorsitzender

»Das ist ein überwältigender Vertrauensvorschuss«, bedankt sich der BSW-Landesvorsitzende Robert Crumbach. Die Landtagsfraktion werde nun liefern müssen. Crumbach verspricht, dass sie genau das tun werde. Er hatte zu Beginn des Parteitags schon gesagt: »Wer sich um Verantwortung bemüht, darf nicht davor zurückschrecken, wenn er Verantwortung tragen muss.« Er hatte auch gesagt: »Die AfD hatte uns Sondierungsgespräche angeboten. Wir haben das abgelehnt – allein deshalb, weil wir zusammen keine Mehrheit haben.« Auf seinen Vorschlag and die AfD, einmal mit ihr zu sprechen, wenn auch nicht über eine Koalition, habe er bis heute keine Antwort erhalten.

Um 17.29 Uhr ist der BSW-Landesparteitag nach knapp zwei Stunden beendet. Um 18 Uhr geht es wenige Schritte entfernt im Kongresshotel Potsdam mit einem SPD-Landesparteitag weiter. Dieser braucht sogar nur bis 74 Minuten, um den Koalitionsvertrag mit 108 Stimmen bei nur einer Enthaltung anzunehmen. »Es war nicht leicht. Es war auch für das BSW nicht leicht«, sagt dort Ministerpräsident Woidke. Um das zu illustrieren, erinnert er daran, wie jung der neue Koalitionspartner sei, mit der er nun eine Regierung bilden will. Der Landesverband des BSW sei erst im April letzten Jahres gegründet worden, sagt Woidke und muss sich gleich korrigieren. Es war dieses Jahr und im Mai. Es ist nun einmal schwer zu glauben, wie schnell das BSW an die Macht kommt. Einmalig sei das in der deutschen Parteienlandschaft, erklärte schon Wagenknecht in Potsdam.

Ministerpräsident Woidke will die unterschiedlichen Auffassungen nicht kleinreden, die es zu Krieg und Frieden gebe. Nicht umsonst wird im Kongresshotel in der Debatte über den Koalitionsvertrag auch gesagt, man dürfe nicht nachlassen im Engagement für die Ukraine. Aber »es gibt nur eine Option jenseits der Rechtsextremisten« in Brandenburg, wie Woidke sagt.

Ununterbrochen seit 1990 stellt die SPD in Brandenburg den Ministerpräsidenten. Um sich weiter im Sattel zu halten, gibt es jetzt tatsächlich nur eine Option: Das ist das Bündnis mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht. Am kommenden Mittwoch soll Woidke im Landtag zum bereits vierten Mal zum Landes-Chef gewählt werden. Am Freitagabend zählt er im Kongresshotel auf, welche Sozialdemokraten er zu Ministern ernennen will. Demnach bleiben Kathrin Schneider Staatskanzleichefin, Manja Schüle Kulturministerin und Steffen Freiberg Bildungsminister. Finanzministerin Katrin Lange wechselt auf den Posten der Innenministerin, Fraktionschef Daniel Keller wird Wirtschaftsminister, die Abgeordnete Hanka Mittelstädt Agrarministerin und Staatssektetär Benjamin Grimm Justizminister. Grimm ist im neuen Kabinett der einzige SPD-Vertreter mit einer West-Herkunft.

Beim BSW ist es der Landesvorsitzende Robert Crumbach, der Finanzminister werden soll. Templins Bürgermeister Detlev Tabbert wird für das BSW Infrastrukturminister und Britta Müller Sozialministerin. Müller war von 2014 bis 2019 noch SPD-Landtagsabgeordnete. Crumbach hat auch eine Vergangenheit in der SPD, während Tabbert von der Linken zum BSW stieß.

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