Wiedereröffnete Kathedrale Notre-Dame strahlend wie nie

Nur fünf Jahre nach verheerendem Brand wurde die weltberühmte Pariser Kathedrale wiedereröffnet

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 5 Min.
Erste Messe nach fünfeinhalb Jahren Bauzeit am Sonntag in der Kirche Notre Dame de Paris, deren Innenraum dank Spezialreinigung aller Oberflächen so hell ist wie seit Jahrhunderten nicht mehr
Erste Messe nach fünfeinhalb Jahren Bauzeit am Sonntag in der Kirche Notre Dame de Paris, deren Innenraum dank Spezialreinigung aller Oberflächen so hell ist wie seit Jahrhunderten nicht mehr

Nach nur fünf Jahren, wie es Präsident Emmanuel Macron am Abend des Brandes am 15. April 2019 versprochen hatte, wurde die Kathedrale Notre-Dame de Paris am Wochenende wiedereröffnet. Die erste Messe wurde am Sonntagmorgen gelesen. Am Vorabend waren zur Eröffnungszeremonie mit 3000 geladenen Gästen auch mehr als 40 Staats- und Regierungschefs gekommen. Unter ihnen befanden sich auch der designierte US-Präsident Donald Trump und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, die vor den Feierlichkeiten von Macron zu einem vertraulichen Gespräch im Elysée-Palast zusammengeführt wurden. Während der Eröffnungszeremonie erhielt Selenskyj langanhaltenden Applaus, vergleichbar mit jenem für die Feuerwehrleute.

In seiner Rede während der Zeremonie in der Kathedrale, zu der neben den Staatsgästen auch Feuerwehrleute und Vertreter der verschiedenen Gewerke der Baustelle eingeladen waren, betonte Macron »die Dankbarkeit der Nation denen gegenüber, die Notre-Dame gerettet und wiederaufgebaut haben«. In Anspielung auf die gegenwärtige Regierungskrise betonte er, dass der Wiederaufbau aller Welt demonstriere, »wozu eine große Nation in der Lage ist: das Unmögliche zu schaffen«.

Die Ursache für den Brand konnte bis heute nicht ermittelt werden. Klar wurde aber, dass Personal und Technik für den Brandschutz seinerzeit nicht zu den Prioritäten gehörten, weder bei den Kirchenverantwortlichen noch beim Staat. Der Staat ist seit der Französischen Revolution von 1789 und der Nationalisierung allen Kirchenbesitzes verantwortlich für die Erhaltung der 87 Kathedralen des Landes, während die Kirchen in die Zuständigkeit der Kommunen fallen.

Daten und Fakten: Beispiellose Konzentration von Spezialisten und Geld
  • Geschichte
    Der Grundstein der Kathedrale Notre Dame wurde 1163 gelegt. An ihr wurde etwa 200 Jahre lang gebaut. Der gesamte Bau und der Dachstuhl waren auch nach mehr als 800 Jahren original. Eine erste große Restaurierung erfolgte im 19. Jahrhundert durch den Architekten Eugène Viollet-le-Duc, der dabei großzügig seine Vorstellungen von Mittelalter und Gotik umsetzte und die Kathedrale durch einen Spitzturm ergänzte, den er selbst entworfen hatte.
  • Finanzierung des Wiederaufbaus
    Die Nachricht vom Brand wurde in Frankreich und in vielen anderen Ländern mit großer Betroffenheit aufgenommen. Durch eine noch am selben Abend einsetzende Spendenwelle kamen in kurzer Zeit 846 Millionen Euro zusammen. Die größten Sponsoren waren die französischen Milliardärsfamilien Arnault und Bettencourt mit je 200 Millionen sowie die Familie Pinault und der Total-Konzern mit je 100 Millionen Euro. Von den 340 000 Spendern waren mehr als 300 000 Privatpersonen aus ganz Frankreich. Die Spenden deckten sämtliche Kosten des Wiederaufbaus. Es blieben sogar 18 Prozent des Geldes übrig. Damit sollen in den nächsten Jahren auch noch die äußeren Fassaden der Kathedrale gereinigt werden.
  • Ablauf der Arbeiten
    - Von April 2019 bis September 2020 werden 4000 Rohre eines 250 Tonnen schweren Gerüsts, das bei Ausbruch des Feuers den Spitzturm umgab, weil er restauriert werden sollte, abgetragen. Die Außenmauern werden durch hölzerne Stützen und die seitlichen Strebbögen durch Einsätze aus Holz gesichert.
    - Von Oktober 2020 bis Februar 2021 werden im Innern die tragenden Rippen der beschädigten Gewölbe durch Holzbögen gestützt, um sie während der Maurerarbeiten zu schützen. Damit sind die Sicherungsarbeiten abgeschlossen.
    - Ab März 2021 werden in ganz Frankreich mehr als 2000 Eichen gefällt, davon 1200 für den Dachstuhl. Sie müssen 18 Monate trocknen, bevor sie zu Balken zurechtgeschlagen werden.
    - Im November 2022 ist eins der beiden durchgeschlagenen Gewölbe wieder komplett verschlossen.
    - Ab Juli 2023 erfolgt die Montage der in externen Werkstätten vorgefertigten Elemente des Dachstuhls und des neuen Spitzturms, am 12. Dezember ist Richtfest.
    - Im November 2024 werden das neu angefertigte Gestühl, der Altar, das Taﯬken und andere Teile des liturgischen Mobiliars werden aufgestellt und die beim Brand in Sicherheit gebrachten und später restaurierten Bilder wieder aufgehängt.
  • Zahlen
    Insgesamt rund 2000 Menschen – Schreiner, Steinmetze, Gerüstbauer, Kunstglaser und Angehörige vieler anderer Gewerke haben an und in der Kathedrale gearbeitet. Mehr als 250 Firmen, meist führende Spezialisten auf ihrem Gebiet, waren Zulieferer oder Dienstleister. Außerdem forschten 200 Wissenschaftler aus 50 Universitäten und Institutionen auf der Baustelle

Als am Abend des 15. April 2019 die Feuerwehrleute aufgrund eines falsch gedeuteten »Fehlalarms« erst mit mehr als halbstündiger Verspätung bis zum Dachstuhl vordrangen, loderten dort Flammen und breiteten sich schnell aus. Es dauerte nur Minuten, bis das Feuer die Bleiplatten des Daches zum Schmelzen gebracht hatte. Tausende Pariser und Touristen wurden Augenzeugen, wie das Feuer durch das Dach züngelte und immer größere Teile davon erfasste. Ein Aufschrei ging durch die Massen, als um 19.50 Uhr der wie eine Fackel brennende Spitzturm, der über der Kreuzung von Längs- und Querschiff gestanden hatte, einstürzte und an zwei Stellen das Dach der Kathedrale und darunter die hohen gotischen Kreuzgewölbe durchschlug.

Der brennende Spitzturm stürzte wenig später in den Dachstuhl der Kirche, nachdem diese am 15. April 2019 Feuer gefangen hatte.
Der brennende Spitzturm stürzte wenig später in den Dachstuhl der Kirche, nachdem diese am 15. April 2019 Feuer gefangen hatte.

Bis zu 400 Feuerwehrleute waren im Einsatz, aber die engen Straßen um die Kathedrale setzten ihrer Technik Grenzen. Ein Löschflugzeug einzusetzen kam nicht infrage, weil die Außenmauern dem schlagartigen Druck des Wassers nicht standgehalten hätten. Auch einer der beiden Glockentürme war längst nicht so stabil, wie er aussah, denn auch hierher waren Flammen vom Dachstuhl des Längsschiffes vorgedrungen.

Experten schätzten später, dass es eine Frage von weniger als einer Stunde war, bis das Feuer so viele tragende Balken vernichtet hätte, dass der Turm und mit ihm große Teile des gesamten Baus eingestürzt wären. Doch nach zehnstündigem Kampf war der Brand in den frühen Morgenstunden gelöscht und Notre-Dame stand noch.

Erste Probleme bereitete die Luftbelastung durch Blei vom verbrannten Dach der Kathedrale. Das erforderte anfangs Schutzanzüge und zeitweise Atemschutzmasken. Dann kam die Corona-Epidemie und bremste die Rekonstruktion. Es dauerte allein zwei Jahre, um die Kathedrale so weit zu sichern, dass sie nicht einstürzen konnte. Besonders gefährdete Partien der Umgebungsmauern wurden durch Holzkonstruktionen verstärkt und gestützt, ebenso die 32 ausladenden Strebebögen, die seitlich den Druck der Wände und des Daches bis zum Boden ableiten.

Zwei der sieben Kreuzgewölbe des Längsschiffs waren aufgerissen. Doch die sich kreuzenden selbsttragenden Rippen waren nicht beschädigt, nur das Mauerwerk dazwischen. So konnten weiter die Druck- und Schubkräfte gleichmäßig auf die Pfeiler in den Ecken abgeben werden und keines der Gewölbe brach zusammen.

2022 konnte endlich mit dem eigentlichen Wiederaufbau begonnen werden. Zu diesem Zeitpunkt war auch die Diskussion darüber beigelegt, ob die Kathedrale etwa einen neuen Spitzturm in Form eines Leuchtturms bekommen sollte. Man entschied sich für einen originalgetreuen Wiederaufbau entsprechend dem Zustand, wie er im Zuge der großen Restaurierung unter Leitung des Architekten Eugène Viollet-Le-Duc im 19. Jahrhundert geschaffen worden war. Dazu trug sicher die Mahnung der UN-Kulturorganisation Unesco bei, die daran erinnerte, dass die Kathedrale seit 1991 auf der Weltkulturerbeliste steht und nicht verändert werden darf.

Für den Wiederaufbau war es ein großes Glück, dass in den Jahren vor dem Brand mehrere Wissenschaftler für ihre Dissertationen über Denkmalschutz oder Architekturgeschichte sowohl die Wände und Säulen als auch den hölzernen Dachstuhl bis ins Detail vermessen und in dreidimensionalen digitalen Modellen dokumentiert hatten. Ihre Grafiken und Daten dienten jetzt als Grundlage für die Wiederaufbaupläne. Gleichzeitig legten die Schreiner und die Steinmetze Wert darauf, so weit wie möglich mit historisch überlieferten Methoden zu arbeiten und nur ausnahmsweise mit heutiger Technik.

Die Baustelle auf der Pariser Stadtinsel, der »Île de la Cité« im Juli 2021
Die Baustelle auf der Pariser Stadtinsel, der »Île de la Cité« im Juli 2021

Da man die durch jahrhundertealten Staub und den Ruß des Brandes geschwärzten Wände und Gewölbe weder mit Wasser noch mit Druckluft oder Sandstrahl reinigen konnte, wurden die Steine dick mit Latex eingestrichen, das trocknete und dann mitsamt der Schmutzschicht abgezogen werden konnte. Dadurch erstrahlen die Wände heute so hell und sauber wie vielleicht noch nie. Insgesamt wurde auf diese Weise eine Fläche von 42 000 Quadratmetern gereinigt.

Von den Fabelwesen außen an der Fassade, die Victor Hugo im »Glöckner von Notre-Dame« so anschaulich beschrieben hatte, waren einige durch den Brand beschädigt, aber mehr noch im Laufe der Zeit verwittert. Darum wurden viele bei dieser Gelegenheit neu geschaffen. Auch beschädigte Figuren der hölzernen Wandverkleidungen wurden neu geschnitzt und die beim Brand rechtzeitig in Sicherheit gebrachten Gemälde sämtlich gereinigt und viele restauriert.

Wie durch ein Wunder wurde beim Brand keines der vielen Glasfenster in Mitleidenschaft gezogen. Doch die Zeit und die Mittel wurden genutzt, um sie, wo nötig, in verschiedenen Kunstglasereien – davon eine in Köln – reinigen und, wo nötig, überholen zu lassen, bevor sie wieder eingebaut wurden. Die große Orgel der Kathedrale hatte beim Brand nicht gelitten, sondern war nur durch Ruß verschmutzt. Sie wurde mit ihren 8000 Pfeifen und der Gebläsemechanik komplett demontiert, bei einer Orgelbaufirma gereinigt und dann wieder eingebaut. Auch die Glocken waren unbeschädigt geblieben, wurden aber ebenfalls ausgebaut und in einer Glockengießerei gereinigt und aufpoliert.

Wie durch ein Wunder wurde durch den Brand keines der wertvollen Glasfenster der Kirche in Mitleidenschaft gezogen. Hier ist das westliche Rosettenfenster über der Orgel zu sehen.
Wie durch ein Wunder wurde durch den Brand keines der wertvollen Glasfenster der Kirche in Mitleidenschaft gezogen. Hier ist das westliche Rosettenfenster über der Orgel zu sehen.

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