IG Metall mischt sich ein

Die Gewerkschaft ruft mit umfassendem Forderungskatalog zu politischer Großmobilisierung auf

In Anbetracht von Wirtschaftsflaute, Investitionsstau und Industriekrise könnte die IG Metall für die Umsetzung ihrer Forderungen Superkräfte gut gebrauchen.
In Anbetracht von Wirtschaftsflaute, Investitionsstau und Industriekrise könnte die IG Metall für die Umsetzung ihrer Forderungen Superkräfte gut gebrauchen.

Um großspurige Ankündigungen ist Deutschlands mächtigste Industriegewerkschaft nicht verlegen. »Es wird die größte öffentliche Aktion der IG Metall seit Jahrzehnten«, kündigte Jürgen Kerner, Zweiter Vorsitzender der Gewerkschaft, am Dienstag einen bundesweiten Aktionstag im März 2025 an. Mit der Großmobilisierung in den Betrieben wolle man Zehntausende Beschäftigte auf die Straße bringen, um nach den vorgezogenen Bundestagswahlen Einfluss auf die Koalitionsverhandlungen zu nehmen. Ziel ist es, Druck aufzubauen, um mit Blick auf die Wirtschaftsflaute und Industriekrise gewerkschaftspolitische Forderungen durchzusetzen.

Der Wahlkampf dürfe kein Wettstreit schriller Töne bei Migration oder Bürgergeld werden, mahnte auch Christiane Benner bei der Vorstellung der Forderungen zur Bundestagswahl. Die Erste Vorsitzende der IG Metall betonte: »Es muss um die zentrale Frage gehen, wie wir industrielle Wertschöpfung erhalten, heutige Arbeitsplätze sichern und neue Perspektiven schaffen.« Denn die Industrie sei ein entscheidender Pfeiler für Beschäftigung. »In Deutschland hängen etwa acht Millionen Arbeitsplätze direkt von ihr ab«, unterstrich sie.

In dem nun veröffentlichten 22 Seiten umfassenden Katalog fordert die IG Metall von der künftigen Regierung unter anderem eine aktive Arbeitsmarktpolitik, darunter die Ausweitung von Kurzarbeit und Qualifizierungsmaßnahmen. Das Arbeitslosengeld soll auf 36 Monate verlängert und stabile Rentenniveaus sollen ebenso finanziert werden wie Investitionen in die Energiewende, den Erhalt der Industrie und öffentliche Infrastrukturprojekte. Es braucht ein Konjunkturprogramm, eine »industriepolitische Fitnessspritze«, wie Benner sagte. »Aber uns ist es am Ende wumpe, wie man es nennt. Hauptsache, es passiert etwas«, drängte sie auf zügiges Handeln.

Hilfen für Stahl- und Automobilindustrie

An zentraler Stelle stehen für die IG Metall insbesondere die Bewältigung der Krisen in der Stahl- und Automobilindustrie, die auch die für die Gewerkschaft so wichtigen Zulieferbetriebe hart treffen. »Wir brauchen mehr Tempo beim Hochlauf der Elektromobilität«, sagte Benner mit Blick auf die zuletzt sinkenden Absatzzahlen im E-Auto-Markt. Dazu seien Maßnahmen dringend geboten: Vereinfachte Abschreibungsmöglichkeiten für elektrische oder hybride Dienstfahrzeuge, Steuervergünstigungen für gebrauchte E-Autos, soziale Leasingprogramme für Geringverdienende und der Ausbau der Ladenetzinfrastruktur.

Daneben brauche es eine »Local Content«-Strategie, wie Benner betonte. Danach soll etwa in E-Autos ein bestimmter Anteil aus heimischer Fertigung stammen. Für Deutschland und die EU schlägt die IG Metall eine Quote von 75 Prozent vor, wie die Gewerkschaftsvorsitzende auf nd-Nachfrage erklärte. Ähnliche Ansätze gebe es bereits in China und den USA, begründete sie die Notwendigkeit solcher protektionistischen Maßnahmen. Zwar gibt es dort keine derart konkreten Quoten. Doch für die Unternehmen besteht ein erheblicher Lokalisierungsdruck, also vor Ort zu produzieren, aufgrund von Einfuhrbeschränkungen und Zöllen.

Um die energieintensive Industrie weiter zu entlasten, fordert die Gewerkschaft zudem einen Deckel für Strompreise, wonach die Kosten fünf Cent pro Kilowattstunde nicht überschreiten sollen. Im Juli lag der Preis laut Statista noch bei rund 16 Cent. Hintergrund ist unter anderem die derzeitige Krise der Stahlindustrie, die aufgrund von hohen Energiepreisen über sinkende Profitmargen klagt. Um Milliardeninvestitionen in die Produktion von emissionsarmem »Grünen Stahl« zu finanzieren, plant etwa Branchenriese Thyssen-Krupp einen massiven Stellenabbau. Nach dem Willen der IG Metall soll die staatliche Förderung an Standortsicherung und Jobgarantien geknüpft werden.

90 Milliarden Euro jährlich

Insgesamt sieht die IG Metall einen öffentlichen Finanzierungsbedarf für die Industrie von 30 Milliarden Euro bis 2030 – zusätzlich zu den bereits von der Bundesregierung vorgesehenen 20 Milliarden. Im Bereich der Infrastruktur kämen jährlich rund 60 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren hinzu, die auch die ächzenden kommunalen Haushalte entlasten sollen.

Die Zahlen stützen sich auf eine gemeinsam vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) und vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) veröffentlichte Studie. Insbesondere bei der Strom- und Verkehrsinfrastruktur, aber auch im Bereich Bildung klaffen demnach riesige Finanzlöcher.

»Bei Themen wie Energiewende und Investitionsbedarf gibt es einen breiten Konsens«, betonte Kerner von der IG Metall. Die Parteien müssten sich nach der Wahl darauf verständigen, was Experten vorschlagen und für eine solide Finanzierung sorgen. »Die nächste Regierung muss eine Koalition des Umsetzens werden«, unterstrich er.

Um die Investitionen zu finanzieren, sei eine Reform der Schuldenbremse notwendig, wozu zuletzt sogar die Union Verhandlungsbereitschaft signalisierte. Die IG Metall will eine ebenfalls vom IMK vorgeschlagene »Goldene Regel« einführen. Die soll produktive Schulden, etwa Kredite für einmalige Investitionen, von der Regelung ausnehmen. Mit einer EU-weiten Lockerung der Schuldenregel will man zudem die Handlungsspielräume vergrößern. Die soll konjunkturbereinigt 1,5 Prozent betragen, sodass in Rezessionen das nominale Defizit höher ausfallen kann. In Aufschwungphasen würden die Grenzen enger gesteckt.

Strategische Mitbestimmung fehlt

Der Wunschzettel der Gewerkschaften ist in Anbetracht der enormen Herausforderungen also groß. Doch bemerkenswert ist auch, was im Papier fehlt. Etwa die von Gewerkschaftschefin Benner zu Beginn ihrer Amtszeit vorgebrachte strategische Mitbestimmung bei der ökologischen Transformation. Das bedeute keineswegs, dass man davon abrücke, erklärte Benner auf nd-Nachfrage. »Wir haben aber bei unseren Forderungen priorisiert.« Heißt also: Diese für die Demokratisierung der Transformation so wesentliche Forderung wird in den kommenden Jahren keine besondere Priorität genießen.

Stattdessen fokussiere man sich auf die Stärkung der Tarifautonomie und der Tarifbindung, »weil das Tariftreuegesetz in der Pipeline ist«, wie Benner betonte. Das hatte das Kabinett zuletzt nach mehreren Verzögerungen beschlossen. Wann es im Bundestag behandelt wird, ist derzeit nicht absehbar. Nach nd-Informationen sind die Unionsparteien noch zu keinem Austausch darüber bereit. Das ändert sich möglicherweise nach der Vertrauensfrage.

Ob auch der angekündigte Druck vonseiten der IG Metall dazu beitragen wird, ist unklar. Der bundesweite Aktionstag, um die Forderungen zu untermauern, soll am 15. März stattfinden, mit Protesten unter anderem in Hannover, Leipzig, Köln, Frankfurt und Stuttgart. Auf die Frage, ob auch andere Gewerkschaften mobilisierten, erklärte Benner, man habe die Aktion auch im DGB-Bundesvorstand geöffnet. »Wir machen das als IG Metall«, sagte sie, »aber andere können dazukommen.«

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